Fukushima now
Freitag, 11. März 2011, 14:47 Uhr, Fukushima. An diesem Tag traf Japan ein schweres Erdbeben, gefolgt von einem Tsunami. In den folgenden Tagen sah man viel darüber in den Medien. Zerstörung, fliehende Menschen, ganze Landstriche ausradiert und nicht zuletzt das Bild des explodierenden Atomkraftwerks Fukushima Daiichi.
Häuser lassen sich wieder aufbauen, Felder kann man neu bepflanzen und Straßen neu pflastern. Der schwerwiegendste Teil der Katastrophe jedoch waren die Schäden am Atomkraftwerk und die daraus resultierende Kernschmelze.
Weite Teile Japans wurden von der Strahlung getroffen, aber am schlimmsten traf es die Gegend in der das Atomkraftwerk steht, die Präfektur Fukushima. In einem Umkreis von 30 km um das Kraftwerk ist ein Evakuierungsbefehl in Kraft getreten. Die Anwohnenden mussten ihre Häuser schlagartig verlassen. Sie mussten alles so zurücklassen, wie es in diesem Augenblick war. Die Evakuierungszone wurde nach kurzer Zeit zusätzlich nach Nordwesten erweitert.
Schon damals war ich an diesem Ereignis sehr interessiert, doch in letzter Zeit hört man kaum noch etwas über dieses Thema. Vieles, was ich dazu fand, war entweder einseitig oder wirkte auf mich instrumentalisiert bzw. unseriös. Ich wollte mir über den derzeitigen Zustand ein eigenes Bild machen, wollte es selbst sehen, selbst erleben.
Meine Reise führte mich im November 2015 durch nahezu alle verstrahlten Gegenden in Fukushima und ich war mir nicht sicher, was mich erwarten würde. Geisterstädte, unbefahrbare Straßen, verlassene Fahrzeuge oder gar nahezu vollständig wiederhergestellte Städte. Das Geschehen in der Evakuierungszone zeigt sich in vielen verschiedenen Formen.
Im Osten liegen die Küstenstädte, die starke Spuren des Tsunamis aufweisen. Hier zeigen sich die gewaltigen Kräfte des Wassers. Eingestürzte Gebäude, deformierte Fahrzeuge oder weite, freie Flächen, auf denen früher ganze Stadtteile standen.
Im Gegensatz dazu befinden sich im Nord-Nordwesten dörfliche Regionen, umgeben von Hügeln und Wäldern. Sie waren vom Tsunami unberührt und zeigen die reine Auswirkung von Strahlung. Leere Häuser, an denen der Zahn der Zeit nagt und stapelweise schwarze Säcke, in denen die abgetragene, verstrahlte Erde lagert.
Meine Konzentration richtete sich hauptsächlich auf die Städte Tomioka, Futaba, Okuma, Namie und Teile von Minamisoma sowie Naraha. Sie liegen in unmittelbarer Umgebung des Atomkraftwerks, im Osten entlang der Küste. Weiter westlich der Evakuierungszone liegt die Stadt Koriyama, etwa 80 km vom havarierten Kraftwerk entfernt.
Zu meiner Überraschung waren die meisten Straßen in sehr gutem Zustand und führten teilweise durch wunderschöne Gebirge. Es war Tag für Tag ein skurriles Erlebnis auf meiner Route zwischen Koriyama und der Küste. Auf leeren Straßen zwischen hohen Bergen, geschmückt von mehrfarbigen Laubbäumen, vorbei an Checkpoints, die mich zusammen mit meinem immer energischer werdenden Klicken des Geigerzählers daran erinnerten, wohin mich mein Weg führte.
Gelegentlich begleitete mich ein Auto, manchmal auch mehrere. Meistens jedoch waren es LKWs, deren Ziel eine der Städte war. Mir war nicht bewusst, dass eine der geöffneten Nebenstraßen anscheinend durch einen kleinen der Teil der roten Zone führte.
Lediglich der hohe Messwert auf dem Geigerzähler und die Polizeistreife, die mich sofort kontrollierte, wiesen mich darauf hin. Anhalten wäre erlaubt, allerdings nicht ratsam; Aussteigen strengstens untersagt. Das sollte nur eine von vielen Kontrollen auf meiner Reise sein. Eine von vielen, das bedeutet mindestens einmal am Tag. Das mag zwar lästig klingen, jedoch ist zu bedenken, dass diese Polizeistreifen dazu da sind, auf das Hab und Gut derjenigen zu achten, die es selbst nicht mehr können. Sie halten Plünderer fern bzw. kontrollieren „unpassende“ Fahrzeuge nach Diebesgut.
Meine Erfahrungen waren durchweg positiv, da jede der Streifen trotz Kommunikationsproblemen immer äußerst höflich und freundlich war. Einer der Polizisten sprach gutes Englisch, was in einem netten Plausch und anschließendem Austausch von Snacks endete. Man konnte glatt vergessen, dass man tief in einer verstrahlten Region steht.
Meine Routen führten mich rund einen Monat lang jeden Tag in die verschiedenen Zonen der verstrahlten Regionen Fukushimas. Ich habe dort vieles gesehen, vor allem aber wie unterschiedlich Orte sein können, obwohl sie nicht weit voneinander entfernt sind.
Vielleicht wurde der Eindruck durch die Leere verstärkt, vielleicht nur durch die intensive Beschäftigung mit der Thematik oder dem Eigenantrieb. Meine letzten drei Tage in Japan habe ich in Tokyo verbracht, um etwas Distanz von der Arbeit zu gewinnen. Ich mache das immer so, es hilft mir, einen objektiveren Blick bei der Auswahl zu haben.
3.663 gefahrene Kilometer und etwas mehr als 7.000 Bilder später stand ich wieder am Flughafen. Zuhause angekommen, stürzte ich mich auf die Auswahl und erstellte mehrere mögliche Konzepte für die Dramaturgie des Buches, was in einer fertigen Auswahl von 1.001 Bildern endete, die immer noch in ungefährer Postkartengröße neben meinem Schreibtisch liegen.
Es war von Anfang an geplant, dass daraus ein Buch werden sollte. Allerdings hätte ich nie gedacht, dass ich mal auf einer Leiter stehend auf meine Bilder herabblicken würde, die meinen kompletten Wohnzimmerboden, dicht an dicht, bedecken würden. Etwa ein halbes Jahr später hatte ich mein Buch dann fertig.
Mir war es wichtig, alles selbst zu machen bzw. einen Teil zu den Dingen beizutragen, die ich nicht selbst machen konnte, wie Druck und Ausführung der Bindung. Also machte ich die Farbkorrektur selbst und stand mit in der Druckerei, als die ersten Seiten aus der Maschine kamen. Ich wählte mit der Buchbinderin sorgfältig die Art der Bindung und das Papier für das Cover aus, erstellte die einzelnen Ebenen für die Siebe des Coverdrucks selbst und brachte sie händisch zum Siebdrucker.
Nicht zu vergessen die unzähligen Stunden, die ich Seite an Seite mit meinem guten Freund Mirelind Neziri vor zuerst Stift und Zeichenblock und dann Tablet und Monitor verbrachte und nahezu pedantisch auf die Form jedes einzelnen Tropfens achtete. Er ist maßgeblich für das Cover, so wie es jetzt ist, verantwortlich. Danke dafür.
Letztendlich kam dabei ein Buch raus. Weil das Thema eine gewisse Schwere besaß, sollte das Buch eine passende physische Präsenz haben. Über 290 Seiten dick und fast drei Kilo schwer, spannt es aufgeklappt über 70 cm. Dreht man es aufgeklappt um, erstreckt sich eine von Hokusais Holzschnitt inspirierte Welle vom Rück-Cover über den Rücken bis zur Front. Ein Buch genau wie ich es mir vorgestellt habe.
Ich plane, ein weiteres Mal in die Strahlungszonen zu reisen. Einerseits, um die Veränderung zu beobachten und anderseits, um mich mehr auf die rote Zone zu konzentrieren. Leider habe ich zur damaligen Zeit noch keine Genehmigungen für die komplette Sperrzone bekommen, aber daran arbeite ich zur Zeit.
Abschließend kann ich nur sagen, dass es meiner Meinung nach wichtig ist, Projekte anzugehen, die einen persönlich interessieren bzw. am Herz liegen. Egal, was andere versuchen, einem ein- oder auszureden. Man sollte selbst wissen, welche Risiken man bereit ist, einzugehen und welche nicht. Bei keinem anderen Projekten wird man so bereitwillig „alles“ geben und keine anderen werden so erfüllend sein.