Grenzgänger: eine Reise durch Jordanien und Israel
Aufgrund großer Flexibilität in meinem Job habe ich glücklicherweise häufig die Möglichkeit, zu reisen. Außerdem ist auch das Gehalt ausreichend, um das zu finanzieren. Neben der Erkundung fremder Länder habe ich in den letzten 15 Jahren auch eine große Leidenschaft für die Fotografie entwickelt. Auf Reisen entsteht für mich die Freiheit, Neues mit der Kamera auszuprobieren und zu lernen.
Außerdem wird meine Kreativität durch die vielen neuen Eindrücke geweckt und ich kann diese vor Ort ausleben. Ich traue mich mehr mit meiner Kamera, habe keine Scheu vor Menschen, bin experimentierfreudiger und ich mache auch mehr Fehler. Kurz gesagt: Ich lerne, besser zu werden.
Hauptsächlich fotografiere ich analog, habe aber auf Reisen meist noch meine Nikon P7800 als Backup zur Verfügung. Hauptsächlich nutze ich meine alte Canon AE-1 und meine Mamiya 645, dazu sind neuerdings auch zwei Kompakte – die Contax T und Yashica T4 – dabei.
Mir wurde bereits häufig von der Schönheit Jordaniens und seinen kulturellen Stätten berichtet. Die Werbekampagne des dortigen Tourismusverbandes tat Ihres dazu, sodass ich mich entschloss, mir das Land einmal genauer anzusehen. Meine Partnerin war auch überzeugt, sodass die Flüge gebucht wurden. Uns stand ein Zeitraum von zweieinhalb Wochen zur Verfügung, als es im Herbst 2016 losging. Der Rucksack war bis oben vollgestopft, alle Kameras verstaut und die Vorfreude riesig.
Wir kamen mitten in der Nacht in Amman an. Die Taxifahrt in die Stadt dauerte ungefähr eine Stunde und das Hotel war schnell gefunden. Die Stadt war erstaunlich ruhig, aber bereits dabei, zu erwachen. Nach einer kurzen Nacht im Hotel begannen wir, die Stadt zu erkunden. Die Ruhe war vollends gewichen und überall wuselten Menschen umher. Wir liefen über den großen Basar, besichtigten das Amphitheater, verloren uns in den Straßen und Cafés und erstiegen die alte Zitadelle.
Im Vergleich zu anderen nahöstlichen Großstädten war Amman jedoch erstaunlich ruhig, das typische, allgegenwärtige Hupkonzert war nicht zu vernehmen. Der Grund dafür war unsere Reisezeit, die genau mit dem muslimischen Opferfest übereinstimmte. In Amman war das durchaus von Vorteil und wir konnten schnell überallhin gelangen. Aber an anderen Stellen der Reise waren die Feiertage eher von Nachteil, dazu später mehr.
Nach einigen Tagen in Amman und einem Abstecher in die nördlichen Vororte zu einer Bekanntschaft über Couchsurfing ging die Reise durch das Land erst richtig los. Wir hatten vor, in den Süden des Landes zu fahren und auf dem Weg Petra, Wadi Rum und dem Mujib- Naturreservat einen Besuch abzustatten. Ebenso stand das Tote Meer auf unserer Liste.
Feste Pläne gab es selbstverständlich nicht und so fuhren wir relativ spontan mit dem Bus in Richtung Süden bis nach Madaba. Das sollte eigentlich nur eine kurze Zwischenstation sein, wir blieben dann aber doch zwei Tage. Die Kleinstadt hat neben einer schönen Altstadt viele Kirchen und eine alte Ausgrabungsstätte zu bieten.
Wir erhielten ein gutes Angebot für einen Tagesausflug, um im Canyon zu wandern und im Toten Meer baden zu gehen. Wir genossen einen Tag in der Natur nach der Anstrengung der Großstadt. Wanderungen im Wüstenklima in einem Fluss klingen anfangs super, das Wasser wird einen sicherlich abkühlen, so war der Gedanke. In der Realität sah das jedoch anders aus. Das Wasser hatte Badewannentemperatur und Abkühlung gab es nirgends. Aber dafür eine unbeschreiblich schöne Landschaft.
Nach der Wanderung am Vormittag ging es zum Toten Meer. Eine Freundin warnte mich vorab per E-Mail, sich nicht zu rasieren und darauf zu achten, keine offenen Wunden zu haben. Das hat jedoch nicht geklappt, bei der Kraxelei über Felsen und im Fluss gab es einige kleine Schürfwunden. Diese machten im Toten Meer auch sofort mit einem starken Brennen auf sich aufmerksam.
Nichtsdestotrotz ist die Erfahrung äußerst beeindruckend: Die ersten zehn Minuten habe ich nur gelacht. Das Gefühl, sich im Wasser auf dem Rücken einfach treiben zu lassen oder im Schneidersitz auf Wasser zu sitzen, war für meinen Verstand absurd. Nach dieser Lachattacke führte das Tote Meer aber zu einer völligen Entspannung.
Unser etwas älterer, sehr netter und ketterauchender Guide hatte sich nach einigen Verhandlungen bereiterklärt, uns beide am nächsten Tag mit dem Auto nach Petra zu fahren. Eine öffentliche Busverbindung oder ähnliches war leider nicht zu finden. Die Fahrt durch die karge Landschaft, eine Mischung aus Gebirge und Wüste mit vereinzelten Tankstellen und alter Schwerindustrie, dauerte ein paar Stunden und die Touristenhochburg Petra war erreicht.
Nach dem Einchecken im Hotel gab es Falafel und Ayran, dazu eine kurze Erkundung der Stadt, bevor es hinunter in die alte Felsenstadt ging. Wir gönnten uns den Drei-Tages-Pass und machten uns auf den unerwartet langen Weg vom Eingang bis zu der eigentlichen Felsstadt.
Der Weg schlängelt sich zuerst an kleineren Hügeln vorbei, bevor er in einem Canyon mündet. Dieser zieht sich eine ganze Weile hin und dann gibt es plötzlich den bekannten Ausblick auf die in den roten Stein gehauenen Bauten. Es ist überwältigend, auch wenn man die Geschichte hierzu nicht kennt: Seit Tausenden Jahren leben Menschen an diesem Ort in Höhlen.
Schlugen riesige Bauten mit bloßer Muskelkraft aus dem Fels heraus. Auch die verschiedenen Besetzer des Landes in den Jahren führten das Projekt fort. Und in diesem Augenblick steht man selbst dort, hat die Bilder vorher in Reiseführern gesehen und ist trotzdem zutiefst beeindruckt von der Größe und Macht dieser Bauten aus geraumer Vorzeit.
Die drei Tage vor Ort vergingen wie im Flug. Die Erkundung der Stätte ist aufgrund des Geländes und Klimas schwierig und anstrengend. Am beeindruckendsten war jedoch der dritte Tag vor Ort, denn wir waren plötzlich allein. Die Tage zuvor war die Stadt gut gefüllt gewesen, wahrscheinlich waren alle Ammanis nach Petra gefahren, um dort das Opferfest zu feiern und den Familienurlaub zu verbringen.
Das war nun vorüber und mit einem Mal waren wir die einzigen Menschen dort. Es war ein unglaubliches Gefühl, plötzlich allein in dieser alten Welt zu sein, über Jahrtausende alte Stufen auf Berge zu steigen und sich vorzustellen, wie Menschen hier früher wohl lebten.
Aus Petra ist es glücklicherweise möglich, mit einem Bus weiter in Richtung Süden zu reisen. Dieser muss am Vortag angerufen werden und sammelt die Mitfahrenden dann ab 5 Uhr morgens ein. Frühes Aufstehen gehört anscheinend überall auf der Welt zum Reisen dazu. Es ging dann einige Stunden auf dem Highway in den Süden bis nach Wadi Rum, der bekannten Wüste Jordaniens.
Vor Ort leerte sich der Bus und alle sonstigen Tourist*innen wurden von ihren Guides abgeholt. Da standen wir nun. Wir hatten im Vorhinein nichts organisiert und am Welcome Point war alles geschlossen. Nach etwas hin und her klärte sich alles. Der Bruder des Aufsehers vor Ort organisierte alles. Wir hatten nun einen Fahrer samt Jeep und ein Camp, in dem wir die Nacht in der Wüste verbringen konnten.
Alles nicht günstig, aber zu einem annehmbareren Preis als bei der Buchung vorab. Es ging also in die Wüste. Der gute alte Toyota Landcruiser von 1984, wahrscheinlich sogar älter als meine Mamiya 645, tat seinen Dienst und es gab eine mehrstündige Rundfahrt. Auch hier war es im Prinzip eine Mischung aus Wüste im klassischem Sinne und Gebirge. Aber die Fotos sprechen für sich.
Nach einem wunderbaren Sonnenuntergang in der Wüste mit grandiosem Sternenhimmel und leckerem Beduinenessen ging es am nächsten Morgen zurück zum Bus. Dieser nahm uns mit bis zum Highway und wir trampten dann von dort weiter nach Akaba am Rotem Meer. Zwei Nächte verbrachten wir dort in einem kleinen Hotel in der Innenstadt und nutzen den Tag, um Schnorcheln zu gehen.
Das Rote Meer vor Akaba gilt als Paradies zum Schnorcheln. Für mich war es das erste Mal und es war, als ob man in ein Aquarium springt; überall bunte kleine und große, dicke und dünne und glitzernde Fische. Außerdem gibt es noch einen alten Panzer am Meeresgrund. Hier wäre eine gute Gelegenheit gewesen, eine Unterwasserkamera zu besitzen.
Wir entschlossen uns dann sehr spontan, am nächsten Tag nicht weiter durch Jordanien zu reisen, sondern zu versuchen, die Grenzen nach Israel zu überqueren. Es war mir bewusst, dass es sicher Probleme geben würde, da ich vor Kurzem erst in Beirut und der Stempel noch im Pass vorhanden war. Wie erwartet wurde ich ausführlich befragt, in der Sonne warten gelassen und nochmals befragt. Nach drei Stunden Warten und weiteren Fragen durften wir dann doch gemeinsam einreisen.
Mit dem Überschreiten der Grenze betritt man eine ganz andere Welt. Es gab plötzlich westliche Popmusik, westliche gekleidete Menschen, Fastfoodketten, ein öffentliches Bussystem mit Wifi und Strom am Platz, aber auch überall stark bewaffnete Sicherheitsleute und Luftschutzbunker.
Aber wir als europäisch aussehende Menschen waren auf einmal wieder ganz normal, niemand wunderte sich über die Tattoos meiner Reisepartnerin, niemand versuchte, uns ein Kamel zu verkaufen. Dafür waren die Menschen nun verwundert, dass wir kein Hebräisch sprachen.
Es ging von der Grenze nach Tel Aviv zu Freunden von Freunden. Wieder eine lange Busfahrt, dieses Mal klimatisiert, sodass wir zu frösteln begannen. In Tel Aviv angekommen, brauchten wir eine Weile, um uns zurecht zu finden und waren dann zum Glück mit Hilfe einen älteren Herrn auf dem richtigen Weg. Wir wollten uns in Israel auf jeden Fall den Strand von Tel Aviv ansehen und Yad Vashem besuchen, hatten aber wegen des bereits gebuchten Rückflugs nur noch fünf Tage Zeit.
Also gab es einen Tag am Strand in Tel Aviv und danach ging es weiter nach Jerusalem. Die Städte könnten unterschiedlicher nicht sein. Tel Aviv ist komplett neu, jung und hip, etwas wie Berlin am Mittelmeer, nur mit mehr bewaffneten Sicherheitskräften und alle kiffen.
Jerusalem im Gegensatz dazu ist alt – alte Häuser, kleine Gassen und das nicht nur in der Altstadt. Es erinnert etwas an ein geschrumpftes Paris. Die Menschen sind wesentlich religiöser, konservativer und es sind noch viel mehr Bewaffnete auf den Straßen zu sehen.
In Jerusalem verbrachten wir einen Tag in Yad Vashem. Ich empfehle jedem, sich die Zeit zu nehmen und diesen Gedenkort zu erkunden. Das Museum ermöglicht einen umfassenden Überblick über die Zeit der Shoa, es entsteht durch die Ausstellung ein beklemmendes Gefühl, das durch die Architektur gekonnt verstärkt wird.
Am Ende verlässt man das Museum mit einem Ausblick in die Freiheit über einige Hügel in Israel, auf einmal ist alles offen und warm. Es entsteht dadurch und durch den am Museum befindlichen Park eine gute Möglichkeit, um über das Gesehene nachzudenken, ohne in dem eingeengten und durchaus grausigen Gefühl zu verharren.
Am folgenden Tag gingen wir dann in die Altstadt von Jerusalem. Die Klagemauer wurde besichtigt und der Versuch, die al-Aqsa-Moschee zu sehen, von Polizisten unterbunden. Freitags ist Freitagsgebet. Wir waren genau zum Ende des Gebetes in der Altstadt und diese füllte sich langsam immer weiter. Wir ließen uns in den Strömen durch die Altstadt treiben und erkundeten die Süßwarenläden.
Am Abend begann im jüdischen Teil Jerusalems der Sabbat. Es war ein gespenstisches Gefühl, auf einmal wieder fast allein zu sein. Niemand ist draußen unterwegs und kein Geschäft hat geöffnet. Mit dem Sonnenuntergang am Samstag erwachte das Leben dann wieder voll. Alle Menschen strömten auf die Straßen und feierten das Leben. Es gab Livemusik, die Geschäfte hatten wieder geöffnet und natürlich gab es wieder beste Falafel.
Nach diesem leider nur kurzen Abstecher nach Israel mussten wir wieder zurück nach Amman. Unser Flug ging um 3 Uhr nachts. Wir fuhren am Morgen mit dem Bus von Jerusalem nach Bet Sche’an, um die Grenze nach Jordanien wieder zu überqueren. Ein wesentlich näherer Grenzübergang im Westjordanland ermöglicht die Einreise nach Jordanien nur dann, wenn dort auch die Ausreise aus Jordanien stattgefunden hatte.
Dementsprechend mussten wir einen Umweg über den Norden von Israel und Jordanien machen. Die Ausreise verlief auch problemlos, nur die Einreise war etwas schwieriger. Wir als junges Pärchen mit vielen Stempeln im Pass schienen nicht in das Bild der Grenzbeamten zu passen. So wurden wir zuerst länger befragt. Der Grenzbeamte war ganz überrascht, dass Menschen freiwillig in den Libanon reisen oder auch Marokko besuchen.
Immer wieder kam auch die Frage auf, ob wir Arabisch sprächen. Alles schien höchst verdächtig zu sein. Wir durften uns dann doch wieder ein Visum kaufen und wurden eingelassen. Das dortige ist eindeutig das schönste in meinem Pass. Im Prinzip ist es eine eingeklebte Briefmarke.
Bei der Durchsuchung unseres Gepäcks wurden die Sicherheitsleute bei meiner Mamiya 645 unruhig und mussten erst einmal telefonieren. Sie wussten nicht, um was es sich dabei handelt und riefen ihren Vorgesetzten dazu. Daraufhin wurden wir weiter aufgehalten und mussten in einem separaten Raum warten. Nach langem Hin und Her wurde glücklicherweise klar, dass es sich dabei um eine Kamera handelt und wir durften einreisen.
Ein Stein fiel mir vom Herzen, ich hatte bereits befürchtet, die Kamera dort lassen zu müssen. Bei allen Reisen hatte ich nun immer die Bedienungsanleitung zu den Kameras dabei, diesen Tipp erhielt ich von einem befreundeten Fotografen. Aber seit dieser Erfahrung an der israelisch-jordanischen Grenze hat niemand mehr meine Kameras kritisch beäugt. Von der Grenze mussten wir nun zuerst mit dem Taxi in die nächstgelegene Stadt fahren, um von dort mit dem Bus zurück nach Amman zu kommen.
Wir speisten noch in Ammans Innenstadt das letzte Mal – die superleckeren Falafel – und fuhren dann direkt zum Flughafen. Die Stadt war nun wesentlich belebter und lauter. Die Straßen quollen vor Autos über und ein ständiges Hupen war jetzt zu vernehmen.
Von den zweieinhalb Wochen ständig auf Achse, dem Lärm der Stadt und den vielen neuen Eindrücken waren wir ziemlich kaputt und irgendwie auch froh, wieder nach Hause zu kommen. Unser Flug ging um 3 Uhr morgens, wir waren zu diesem Zeitpunkt schon seit 20 Stunden wach. Erst am Nachmittag waren wir letztendlich wieder zu Hause. Geschafft von der Reise, aber mit vielen neuen Eindrücken und Erfahrungen bereichert.