02. Dezember 2022 Lesezeit: ~7 Minuten

La Serenissima farblos im Herbstlicht

Venedig – Wasser, Steine und Licht. Eine Stadt, in der selbst der Himmel bunt ist! Sie scheint ein Trugbild einer Fata Morgana, die sich mit leuchtenden Farbtönen aus der Adria erhebt.

All diesen Farben versuche ich zu widerstehen und konzentriere mich auf die Reduktion der Formen auf den Plätzen, Gassen und Kanälen. Venedig – es gibt wohl kaum eine andere Stadt, die so viele historische Fassaden zu bieten hat wie die Lagunenstadt.

Angefangen bei Canaletto über Turner und Monet bot sie schon früh der Malerei eine beeindruckende Kulisse. Die einen geben sie mit jedem Pinselstrich farb- und konturengetreu in klaren Formen wieder. Andere romantisieren oder lassen dem Farbrausch des Impressionismus freien Lauf.

Ihnen folgten die frühen Fotografen: Carlo Naya, Domenico Bresolin oder Giuseppe Cimetta, Antonio Perini und weitere. Mit ihren großen Plattenkameras (Aufnahmeformate beispielsweise von 70 × 50 cm) und den neuen Entwicklungsverfahren konnten sie die Studios verlassen und sich den venezianischen Stadtszenen widmen.

Zurück in die Gegenwart: Venedig wurde zwischenzeitlich auf die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen und ist mit seinem historischen Altstadtkern ein beliebtes Ausflugsziel. Während die einen gemütlich durch die Gassen schlendern oder mit der Gondel am städtischen Treiben teilnehmen, suchen andere gezielt nach Perspektiven und Blickwinkeln.

Fotografisch ist sicherlich der Herbst eine interessante Reisezeit: Das grelle Licht des Sommers weicht den warmen Farben dieser Jahreszeit. Mit etwas Glück ist die Lagune in den Morgenstunden in Nebelschwaden gehüllt, die sich in der noch tiefstehenden Sonne zusehends auflösen. Acqua alta lässt das Wasser über die Ufer steigen. Die Piazza sowie die zahlreichen Campi und Gassen werden durch die Schachtdeckel geflutet.

gebäude spiegelt sich im Wasser

Als Herzstück Venedigs gilt die Piazza San Marco mit ihrem imposanten Blick auf die reich verzierte Fassade der Basilica di San Marco und ihre mächtigen Dachkuppeln. Sie wurde im 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung als Palastkapelle des Dogenpalastes erbaut.

Ebenfalls eine beindruckende Kulisse bieten die Fassaden der Procuratie Vecchie mit ihren Arkaden. Sie beherbergte im Mittelalter einst die venezianische Baubehörde. Außerdem der Uhrenturm auf der Nord- und den Campanile auf der Südseite des Platzes. Zwischen Campanile und Basilika führt der Weg von der Piazza hinüber zum Dogenpalast auf die Piazzetta und weiter an den Canal Grande.

Cafe

An der Piazzetta schließen sich die sanft in den Wellen der Lagune wippenden Gondeln mit Blick auf die Basilica San Giorgio Maggiore an. Ein Stück weiter links von der Ponte della Paglia reicht der Blick auf die Ponte dei Sospiri, bekannt als Seufzerbrücke. Ein ganzes Stück weiter rechts auf der Piazzetta in Richtung des Anlegers San Marco Giardinetti öffnet sich der Blick auf die Basilica di Santa Maria della Salute.

Allesamt Motive, die aus fotografischer Sicht als „Hotspot“ oder auch „Must-have“ gelten. Auch wenn sie zwischenzeitlich sprichwörtlich totfotografiert wurden, dürfen sie im Verlauf einer fotografisch ambitionierten Annährung an diese Stadt nicht fehlen.

Laternen an einem Fluss in der Stadt

Eine der zahlreichen fotografischen Herausforderungen sind die Menschenmengen, die sich mit mir durch die Gassen und über die Plätze bewegen. Um diesen aus dem Weg zu gehen, starte ich oftmals zwei Stunden vor Sonnenaufgang, gerade wenn es zur Piazza San Marco und der angrenzenden Piazzetta geht. Gelegentlich breche ich auch nach dem Abendessen auf. Unter der Woche sind die Gassen und Plätze nach 23 Uhr ebenfalls fast menschenleer.

Durchstreife ich tagsüber die mitunter engen, verwinkelten Gassen, verzichte ich in diesem organischen Getümmel aus Platzgründen auf mein Stativ. Meinen Fotorucksack tausche ich dann gegen eine schlanke Fototasche inklusive Trinkflasche, die ich mir seitlich umhänge. Auch wenn ich eine Wochenkarte für die Vaporetti zwischen meinen Spots nutze, zeigt mir die Health-Care-App auf dem Handy eine tägliche Bilanz von 15.000 bis 23.000 Schritten an.

Ein Lob an die Technik bzw. Weiterentwicklung der Kameras: Wie leicht, handlich und leistungsfähig heutige Kamerasysteme sind. Sie ermöglichen, im Vergleich zu den historischen Stadtfotografien des späten 19. Jahrhunderts, ein komfortables Fotografieren.

Gebäude in der NachtVase voller Blume

Straßenecke

Wie komme ich jetzt auf die Idee, eine solche Traumkulisse mit Schwarzweißentwicklungen abzubilden? Es ist der Versuch, dem lauten, schrillen, übersättigten Treiben entgegenzutreten. Ein bewusstes Reduzieren auf klare Formen, unterstützt durch einen Hell-Dunkel-Kontrast.

Als sich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zusehends Farbfilme etablierten, galt es, in der Bildgestaltung umzudenken. Neben den bisherigen Gestaltungselementen wie Punkt, Linie, Flächen und Formen sollte nun das „damals“ neue Element Farbe mit seinen Kontrasten in die Bildgestaltung integriert werden. Heute ist es genau andersherum: In unserer Zeit liegt die Herausforderung im bewussten Verzicht auf Farbe als Gestaltungsmittel!

Boote an Land

Auf meinen Streifzügen abseits von San Marco entdecke ich auf San Polo, Dorsoduro, Castello und anderen Inseln Details und Nebensächlichkeiten, die im Alltagstrubel eher ungesehen bleiben oder nur flüchtig wahrgenommen werden. Konzentriere ich mich in erster Linie auf das Entdecken und Ausgestalten des Bildausschnittes, schwanke ich vor Ort je nach Lichtverhältnissen zwischen einem automatischen Weißabgleich und den Voreinstellungen „Tageslicht“ und „bewölkt“.

Die nachgelagerte Bildentwicklung, die zu Hause auf mich wartet, reduziert sich mit der Filmsimulation ACROSS meines Fuji-Systems auf ein Anpassen der Tiefen und Lichter sowie gelegentlicher Feineinstellung der Kontraste.

Was mir bei der späteren Bildsichtung noch auffallen soll: Ich habe entgegen meiner Vorliebe für das Querformt im Verlauf dieses Stadtbesuches erstaunlich viel im Hochformat fotografiert. Ich schreibe diese Veränderung meines Fotografierens allerdings eher einer Sensibilisierung meiner Wahrnehmung zu als meinem Schwarzweißversuch.

Am letzten Abend meiner Tour passiere ich auf dem Rückweg ins Hotel die Ponte dell’Accademia. Zu meiner Überraschung stoße ich dort mitten auf der Brücke nachts um halb eins auf eine quirlige Menschentraube. Meine letzte Bildidee für diese Reise entpuppt sich im Handumdrehen als undurchführbar, da die Brücke die Bewegungen der Gruppe abfedert, was bei Langzeitbelichtungen unweigerlich zu Unschärfen führt.

Wie sich herausstellt, ist es eine Gruppe Student*innen, die sich der Malerei verschrieben hat. Unter Anleitung ihres Professors üben sie sich in der Darstellung der Lichtreflexe, die die Laternen auf dem Canal Grande zahlreich hinterlassen. Faszinierend, wie dort mit wenigen Pinselstrichen derart detaillierte Skizzen entstehen.

HauseckeZugewachsenes Tor

Bojen auf dem Wasser, in der Ferne ein beeindruckendes Gebäude

Zwischenzeitlich heißt es für mich wieder Abschied nehmen von der Lagune. Während ich mit dem Vaporetto in Richtung Piazzale Roma fahre, erinnere ich mich der Worte Claude Monets: „Man kann nicht aus Venedig abreisen, ohne wiederkehren zu wollen.“ Wie recht er doch behalten sollte.

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