Venedig zur Blauen Stunde
Ich fotografiere nun schon seit über zehn Jahren und obwohl Venedig ein sehr populäres Reiseziel mit zahlreichen Fotomotiven ist, hatte ich es bis vor kurzem bei meinen Reiseplanungen immer vernachlässigt. In der Woche vor Ostern war es aber endlich soweit und wir machten uns auf den Weg in den Norden Italiens.
Schon als wir nach der Ankunft in Venedig unsere Koffer durch die engen Gassen zogen, ließ ich meinen Blick schweifen und war sofort von den zahlreichen Motiven begeistert, die ich auf dem Weg zu unserem Airbnb sah. Ich wusste sofort, dass fünf Tage nicht ausreichen würden, dieser Stadt fotografisch gerecht zu werden. Es gibt einfach zu viele fotogene Bauwerke, Gassen, Brücken und Kanäle und jeden Tag zu wenig Zeit, diese bei bestem Licht in Szene zu setzten.
Die Tage vor Ostern waren vermutlich auch keine gute Wahl für eine Reise nach Venedig. Tagsüber bis spät abends waren die Straßen prall gefüllt und sowohl das Erkunden als auch das Fotografieren der Stadt problematisch. Mein Plan war daher, hauptsächlich morgens zu und vor Sonnenaufgang zu fotografieren und mich abends mit Aussichten zu begnügen, bei denen mir niemand ins Bild laufen konnte.
Und gleich am ersten Morgen gab es schon eine magische Lichtstimmung zu bestaunen, als ich im verschlafenen Stadtteil Dorsoduro meine ersten Fotos von Venedig machte. Das war schon einmal ein guter Start, aber leider auch der einzige glühende Himmel meines Aufenthalts.
In den nächsten Tagen blieb der Himmel überwiegend wolkenlos. An magische Lichtstimmungen war deshalb nicht zu denken. Aber für die Stadtfotografie sind diese auch nicht nötig, denn das beste Licht für Stadtfotos bietet meiner Meinung nach die Blaue Stunde. Die Kontraste sind dann vergleichsweise sanft und die Lichter der Stadt erzeugen den perfekten Farbkontrast zum blauen Himmel.
Ich hatte also jeden Morgen und Abend ungefähr 30 Minuten Zeit, meine Fotos aufzunehmen. Denn obwohl in der Bezeichnung Blaue Stunde das Wort „Stunde“ vorkommt, variiert das Zeitfenster, das sich fürs Fotografieren eignet, je nach Ort und Jahreszeit und liegt oft deutlich unter 60 Minuten. Während der Blauen Stunde findet ein stetiger Wechsel der Lichtverhältnisse statt. Am einen Ende dominiert noch das bläuliche Umgebungslicht, am anderen Ende der Blauen Stunde sind die Lichter der Stadt die vorherrschende Lichtquelle.
Der beste Zeitpunkt für harmonische Fotos liegt irgendwo in der Mitte, wenn sich die warmen und kühlen Farbtöne im Foto die Waage halten. Um diesen Zeitpunkt einzufangen, konzentriere ich mich meist auf nur ein Motiv und fotografiere dieses über einen längeren Zeitraum. So kann ich sicherstellen, dass ich am Ende die beste Lichtstimmung eingefangen habe. Dabei lohnt es sich auch, trotz der relativ ausgeglichenen Lichtverhältnisse, Belichtungsreihen aufzunehmen. Besonders in den hellen Lampen kann ich dann noch etwas mehr Details einfangen.
Damit ich die kostbare Zeit während der Blauen Stunde nicht verschwende, ist es wichtig, vorher eine gute Motivauswahl zu treffen. In Venedig habe ich dafür jeden Tag über 10 km zu Fuß zurückgelegt. Dabei hatte ich oft kein wirkliches Ziel, wenn ich durch die engen Gassen schlenderte. Interessant erscheinende Orte habe ich dabei auf Google Maps mit einem Stern markiert. Gerade in einem Labyrinth wie Venedig war das wichtig, da ich sonst einige Motive nur schwer wiedergefunden hätte. Dazu tippe ich in Google Maps einfach auf den Ort, den ich markieren möchte und klicke danach auf Speichern. Es erscheint ein neues Fenster, in dem ich Listen anlegen oder einfach einen Stern für markierte Orte vergeben kann.
Am Ende stellte ich jedoch fest, dass die am meisten fotografierten Orte in Venedig tatsächlich auch die fotogensten sind. Aber auch an diesen lohnt es sich, sich vorher die Zeit zu nehmen, diese zu erkunden und nach besonderen Blickwinkeln zu suchen.
In Venedig ist das nicht einfach. Beim Stöbern durch diverse Fotoplattformen hatte ich vor meiner Reise das Gefühl, dass fast jede Perspektive schon fotografiert wurde. Als ich dann aber an Orten wie zum Beispiel dem Markusplatz war, fand ich trotzdem Blickwinkel, die ich in solchen Fotos nicht gesehen hatte. Oft sind es auch die Details, die den Unterschied machen. Deshalb achte ich immer sehr darauf, wie ich die Elemente im Foto platziere, um den Hauptelementen genug Platz zu geben und den Blick der Betrachter*innen gezielt zu lenken.
Gerade dafür eignet sich die Blaue Stunde hervorragend. Es gibt keine schnellen Wechsel in den Lichtverhältnissen, wie es zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang vorkommen kann. Da kann schnell Hektik aufkommen und manchmal bleibt die Komposition auf der Strecke. Wenn ich jedoch zur Blauen Stunde fotografiere, habe ich reichlich Zeit, mich mit meinem Motiv zu beschäftigen, um eine optimale Anordnung der Bildelemente zu finden.
Dabei zoome ich im Live-View gern ins Foto hinein und kontrolliere sowohl die Randbereiche als auch den Horizont. Im Foto oben seht Ihr am Horizont zum Beispiel den Turm der Kirche San Giorgio Maggiore. Bei diesem Bild war es mir wichtig, dass dieser nicht von den Lampen und Säulen verdeckt wird und seinen Platz im Foto bekommt.
Ich hoffe, dieser Artikel und die gezeigten Fotos machen deutlich, wie wichtig die Blaue Stunde für die Stadtfotografie ist. Im folgenden Video (englische Sprache) habe ich weitere Tipps zur Fotografie von Städten für Euch.