Venedig – Reflexion in Langzeitbelichtungen
Als die Entscheidung der diesjährigen Städtereise im Mai 2014 auf Venedig fiel, wurde mir – für eine bleibende Erinnerung aus fotografischer Perspektive – schnell bewusst, dass ich mir einen anderen Weg als den der „normalen“ Reisefotografie wünsche.
Auf der Suche nach neuen Ideen durchstreifte ich das Internet nach Venedig-Bildern. Aufgrund der Fülle und der immer gleichen Motive war ich der Resignation nahe und mir kam die Idee, Langzeitbelichtungen mit Graufiltern und Nachtaufnahmen zu versuchen.
Gerade diese Belichtungstechnik hat es mir seit einiger Zeit für Architektur- und Wasseraufnahmen angetan. Der Akt der Langzeitbelichtung ist während der Aufnahme eher technisch und nur bedingt kreativ. Der kreative Prozess ist der eigentlichen Aufnahme, in Form exakter Planung und eines exakten Entwurfs des Bildes im Kopf, vorgelagert. Während der Aufnahme geht es primär um die Umsetzung dieses inneren Bildes.
Die Umgebung am Aufnahmeort wirkt bei diesen Aufnahmen sehr stark auf mich – Emotionen dieser Momente werden zu Bestandteilen des Bildes. Meine Umgebung und die Stimmung nehme ich infolge langer Belichtungszeiten besonders intensiv war. Jedes kleine Detail der Szenerie und dessen Veränderung rückt in den Vordergrund, fordert Aufmerksamkeit und rückt sich als eventueller Bestandteil des endgültigen Bildes in den Aufnahmeausschnitt.
Meine Erinnerungen an bestimmte Orte und Bilder werden durch diese Art der Fotografie besonders intensiv, regelrechte Geschichten, ganze Spaziergänge, Begegnungen mit Menschen und eben auch Städte wie Venedig manifestieren sich so in meinem Gehirn. Es ist meine Art, anhand eines Bildes ein Video der Erinnerung nur für mich zu drehen.
Mit der Entscheidung der Langzeitbelichtung rückte ein neues Problem in den Vordergrund: Es wird ein voluminöses Equipment benötigt – und diese Reise war schließlich als Kurzurlaub und nicht als reine Fotoreise geplant.
Bei näherer Betrachtung erwies sich die Beschränkung auf das minimalistisch Notwendige konsequent – so konnte ich mich ganz auf die Aufnahme konzentrieren und mir drohte kein Zusammenbruch aufgrund von Schwergepäck in den Gassen Venedigs. Ich entschied mich für einen Body (Nikon D610)* und die Linsen Nikon 14 – 24 mm Weitwinkel* – sowie das Sigma 24 – 70 mm*, zwei Schraubgraufilter 10 stop* und ND stop und ein kleines Reisestativ nebst Kabelfernauslöser.
Natürlich ist ein solides Equipment Voraussetzung für qualitativ gute Langzeitbelichtungen, viel mehr aber noch die Idee und deren konsequente Umsetzung.
Als Tourist in einer fremden Stadt ist es für mich eine bewährte Strategie, die Umgebung zumindest am ersten Tag ohne Kamera auf mich wirken zu lassen und mich ein wenig treiben zu lassen. Dieses beherzigend zogen wir nach der Ankunft in unserem Hotel los, um das einzigartige Venedig zu entdecken. Natürlich ist es vermessen zu glauben, diese Schönheit für sich allein gepachtet zu haben – doch die Realität überrumpelte uns gelinde gesagt heftig.
Das touristische Zentrum Venedigs mit den bekannten Sehenswürdigkeiten Rialto-Brücke oder Markusplatz laden eher zum Schieben und „Geschoben-werden“ als zum Flanieren ein, kein Gedanke an ein Foto, geschweige denn eine Langzeitbelichtung. Dieser Zustand hält vom Morgen mit dem Eintreffen der ersten Tagestouristen, bis zum Abend (mindestens 20 Uhr) stetig an, eine entspannte Atmosphäre tritt erst danach ein. Damit waren Aufnahmen zur blauen Stunde von meinem Plan gestrichen.
Auch das Licht und die Wetterbedingungen waren anders als erhofft. Der Himmel war bedeckt von sich sehr langsam bewegenden dicken Wolken, die durchaus auch heftigen Regen über Venedig ergossen.
Als sich der Ankunftstag zum ersten typisch venezianischen Abend-Weißwein neigte, hatte ich vier Lokations im Kopf – Rialto-Brücke, Markusplatz, Accademia-Brücke sowie experimentell Fondamenta Zattere Ai Gesuati.
Am kommenden Tag hoffte ich auf gutes Wetter und Licht zum Sonnenaufgang, denn so früh sollten keine Menschenmassen auf den Beinen sein. Die geplante Location war die Rialto-Brücke. Der Wecker klingelte um 5:20 Uhr, ein kurzer Blick aus unserem Fensterschacht gen Himmel war vielversprechend und so machte ich mich im Halbdunkel auf den halbstündigen Weg durch die engen, verlassenen Gassen Venedigs, die ihrem Ruf in nichts nachstehen und einen morbiden Charme versprühen. Langsam begann ich, mich wohlzufühlen und das morgendlich friedliche Venedig in mich aufzunehmen, die Vorstellung des Bildes von der Rialto-Brücke kam dabei ganz von allein.
An der menschenleeren Location angekommen, begann ich, den mir vorschwebenden Bildausschnitt anhand von Testbildern zu erarbeiten, erst dann stellte ich mein Stativ auf. Auch, wenn mich etwa anderthalb Stunden gutes Licht während des Sonnenaufgangs erwarteten – diese Zeit ist bei Langzeitbelichtungen schnell verflogen.
Das frühe Morgenlicht zeigte deutliche Schatten und Reflexionen im Wasser und der Canal Grande ist auch zu dieser Stunde (6.15 Uhr) schon befahren, die Boote führten immer wieder zu unerwünschten Streifen im Bild. Außerdem gab es einen regen Bootslieferverkehr im unteren linken Bildrand. Im Endeffekt gelang mir innerhalb von einer Stunde genau ein Foto meiner Vorstellung ohne störende Einflussfaktoren mit 14 mm. Erst dann wagte ich eine zweite Aufnahme mit 24 mm Brennweite.
24 mm ist im Laufe der Zeit zu meiner Lieblingsperspektive geworden – nicht zuletzt wegen des Objektives mit 24 – 70 mm – irgendwie nehme ich meine Umwelt in 24 mm wahr. Auch für dieses Bild forderten mich die Schiffe auf dem Kanal, dennoch reichte es für eine Aufnahme, auf der ein Vaporetto weitestgehend unbeweglich am Anleger verblieb.
Grundsätzlich bevorzuge ich für meine Langzeitaufnahmen schwarzweiß und dennoch versuchte ich, die Aufnahme auch als Farbversion bestmöglich aufzunehmen, denn nur ein gutes Farbfoto ist die Ausgangsbasis für ein gutes Schwarzweißbild. Manchmal fällt mir die Entscheidung zwischen dem Farb- und dem Schwarzweißbild schwer, wie hier bei der Rialto-Brücke.
Nach anderthalb Stunden Fotografieren machte ich mich mit zwei Bildern im Gepäck beseelt auf den Rückweg. Beim Betrachten dieser Bilder erinnere ich mich immer wieder gern an die leeren Gassen auf meinem morgendlichen Spaziergang, die Ruhe und Schönheit an der Rialto-Brücke und nicht zuletzt an die Begegnungen und Gespräche mit den wenigen anderen Fotografen, die ich bei diesen Aufnahmen kennengelernt habe.
Dank des überaus guten Wetters an diesem Tag versuchte ich mich am Nachmittag an einer Aufnahme an der Fondamenta Zattere Ai Gesuati. Ich wählte eine Belichtung von 5 Minuten, nach 275 Sekunden treten immer wieder undefinierbare Lichtreflexionen auf, wobei eine längere Belichtung bei wolkenlosem Himmel keine signifikante Verbesserung des Bildes bringt.
Als Ausgangsbasis wähle ich, wenn möglich, die von Joel Tjintjelaar vorgestellte Regel f/8 und 5 Minuten; zum einen infolge der maximalen Abbildungsleistung der meisten Objektive bei f/8 und zum anderen der wundervollen Wolkenverläufe und Weichzeichnung des Wassers bei einer Belichtung von 5 Minuten.
Wie jede Regel sollte diese immer nur als Anhaltspunkt dienen. Beinhaltet das Motiv keine Wolken oder Wasser, so führt eine längere Belichtung nicht zwingend zu einem besseren Ergebnis. Ist zwar Wasser vorhanden, dafür aber keine Wolken, liegt der Fokus – wie hier – auf der Gestaltung des Wassers.
Während der Aufnahme konzentriere ich mich überwiegend auf die drei Farbkanal-Histogramme (rot, grün und blau) und versuche, diese möglichst über den gesamten Bereich auszubalancieren. Je nach gegebenen Lichtverhältnissen ist dies nicht immer möglich.
Zu vermeiden ist das Ausbrennen der hellen Bereiche, ersichtlich durch ein Ausbrechen der Histogramme am rechten Rand. Brechen die dunklen Bereiche etwas über den linken Histogrammbereich aus, ist dies in der Regel unproblematisch, lassen sie sich doch in der Nachbearbeitung leicht wiederherstellen.
Sicher kann dem Bild noch eine Bearbeitung anhand von Masken in Photoshop zuträglich sein. Wie bereits erwähnt, bin ich zur Zeit eher minimalistisch aufgestellt, dies bezieht sich auch auf die Nachbearbeitung. Diese ist, wenn möglich, begrenzt auf Lightroom und Nik Filter, speziell Silver Efex Pro. Die Grundlagen der Bildbearbeitung hat Martin Schmidt bereits in seinem Artikel „Architekturfotografie in schwarzweiß“ beschrieben.
Der folgende Tag war von intensiven und ausgiebigen Regenschauern geprägt. Als ich am späten Abend das Fotografieren für diesen Tag bereits innerlich abgeschrieben hatte, klarte es plötzlich auf. Diese Gelegenheit nutzte ich, um mich ein wenig an den Häuserspiegelungen im Kanal vor unserem Hotel zu versuchen. Die Spiegelungen waren dank der noch nassen Hausfassaden und des von den Straßenlaternen dominierten Lichts besonders intensiv.
Dank der bereits fortgeschrittenen Stunde und einer dichten Wolkendecke war es sehr dunkel, so dass die Lichtverhältnisse längere Belichtungszeiten ohne Graufilter zuließen. Allerdings begrenzten die Straßenlaternen als Lichtquelle die Belichtungszeit.
Nachdem wir uns in Venedig bereits bestens zurechtfinden konnten und uns in das ortsübliche Leben der Venezianer abseits der touristischen Hochgebiete integriert hatten – gutes, erschwingliches italienisches Essen, Spritz oder Weißwein mit dazugehörigen Chips in einem kleinen Café auf einem belebten Marktplatz, die Umgebung und das Treiben beobachtend – nahte auch schon der letzte Tag in dieser uns bereits sehr ans Herz gewachsenen, außergewöhnlichen Stadt.
So hoffte ich am kommenden Morgen erneut auf gutes Wetter, um die noch geplanten Locations (Markusplatz und Accademia-Brücke) bei Sonnenaufgang fotografieren zu können.
Ich hatte Glück und machte mich erneut um 5:30 Uhr auf den Weg. Kaum zu glauben, aber auch um kurz nach sechs am Morgen waren bereits die ersten vereinzelten Touristen auf dem Markusplatz. Also konzentrierte ich mich darauf, die Belichtung in einem menschenleeren Moment vorzunehmen. Leider war ich beim Weitwinkelobjektiv auf einen 10 stop Filter und somit eine kürzere Belichtungszeit beschränkt, obwohl ich die Belichtung gern auf 5 Minuten verlängert hätte. Allerdings ist mir der Bildausschnitt bei 24mm zu beschränkt und so entschied ich mich für die kürzere Belichtungszeit.
Wie bereits erwartet, benötigte ich für die beiden Aufnahmen am Markusplatz mehr Zeit und so eilte ich danach im Dauerlauf zu meiner letzten Wunsch-Location, der Accademia-Brücke, um die Szenerie noch bei grandiosem Sonnenaufgangslicht aufnehmen zu können.
Auf der Holzbrücke angekommen, baute ich mein für diese Zwecke etwas wackeliges Stativ auf, das ich wegen des Brückengeländers ganz ausziehen musste. Hin und wieder lief ein Jogger über die Brücke und versetzte das Holz in leichte Schwingungen. Zum Glück waren meine Befürchtungen der Verwacklung aufgrund der langen Belichtungzeit unbegründet und mit der ersten Schätzung von Belichtung und Aufnahmezeit entstand dieses Bild.
Alle nachfolgenden Aufnahmen sind infolge der sich stetig verändernden Lichtbedingungen und der den Kanal kreuzenden Boote wesentlich schlechter. Gerade bei Langzeitbelichtungen kommt es auf das richtige Timing und auch Glück an. An dieser Location traf ich einen amerikanischen Fotografen, der sich ausschließlich auf Langzeitbelichtungen spezialisiert hat und schmunzelnd mein Equipment belächelte.
Dennoch gab er mir den genialen Tipp, dass auch mit begrenztem Budget jeder Effekt darstellbar ist. So kann man zum Beispiel bei zu geringer Filterstärke die Belichtungszeit durch mehrmaliges kurzes Vorhalten einer Mütze vor das Objektiv verlängern, so wie es beim Lightpainting gang und gäbe ist. Auch das „Dodge and Burn“ der Nachbearbeitung lässt sich bei der Aufnahme bereits sehr effektiv einsetzen: Zu diesem Zweck fährt man mit der flachen Hand vor dem Objektiv mehrfach kurz über die auszubrennen drohenden Bildelemente, um diese zu verdunkeln.
Bei diesem Bild wäre der obere linke Bereich, in dem die Sonne durchscheint, dafür geeignet – leider erfahre ich von dieser Technik erst nach der Aufnahme.
Während ich mich mit meinem Equipment bereits von der Brücke zum Hotel aufmachen wollte, entdeckte ich aus dem Augenwinkel am Fuße der Brücke diese Szenerie und konnte nicht anders, als das Stativ erneut aufzustellen, um in dieser letzten Aufnahme die intensiven Spiegelungen auf dem Canal Grande als Abschluss einer tollen Städtereise festzuhalten.
Auf dem Rückweg ins Hotel – die bevorstehende Abreise im Blick – stellte ich mit gewisser Wehmut fest: Venedig ist mehr als eine Reise wert. Insbesondere, um das italienische Flair, das Alltagsleben und auch die Architektur abseits der bekannten Touristenhighlights zu erleben und fotografisch festzuhalten. Ich kann nur jedem eine Reise in diese wunderbare Stadt außerhalb der Saison ans Herz legen – es gibt so viel Wunderbares zu entdecken.
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