28. November 2016 Lesezeit: ~5 Minuten

Rezension: Castros Kuba von Lee Lockwood

Der Fotoreporter Lee Lockwood hatte schon immer ein gutes Gespür für kontroverse Themen. Dieses Gespür war es auch, das ihn Ende 1958 nach Kuba führte, wo er die letzten Tage des Batista-Regimes aufzeichnen wollte. Er war vor Ort, als Fidel Castro am Neujahrsabend 1959 den Sieg der Revolution ausrief.

Lockwood reiste kreuz und quer durchs Land, um die Insel und seine Bevölkerung kennenzulernen, bis ihm Castro schließlich ein Interview gewährte, das sich als siebentägiger Gesprächsmarathon und einzigartiges Dokument der Zeitgeschichte erweisen sollte. Er bannte die Bilder dieser Besuche in sein Werk „Castros Kuba. Ein Amerikaner in Kuba. Reportagen aus den Jahren 1959–1969“ .

Aufsicht eines Buchcovers

Ursprünglich erschien die ebenso text- wie bildgewaltige Arbeit bereits 1967. Ein knappes halbes Jahrhundert später legt der Verlag Taschen den Band mit vielen bisher unveröffentlichten Farbfotos, einem Vor- und Nachwort von Lateinamerikaexperte Saul Landau sowie einem Fazit von Lee Lockwood neu auf.

Auf den ersten Seiten des ansprechend gestalteten Buches empfangen uns Eindrücke der triumphalen Machtübernahme Castros. Es wird schnell klar, dass sich das Land in Aufbruchsstimmung befindet.

Auch die Aufnahmen aus Lockwoods gemeinsamer Zeit mit Castro bestätigen diesen Eindruck. Die detaillierten Tagebucheinträge des Fotografen erlauben zudem einen unmittelbaren Einblick in den Alltag eines Reporters und das Leben der Kubaner*innen während der Revolution.

Aufnahme aufgeschlagener Buchseiten mit der Abbildung eines vor hinten aufgenommenen Mannes vor einer Menschenmenge

Das gewaltige Interview, das der als schonungslos offen und überaus selbstbewusst bekannte Lockwood im Sommer 1965 mit Castro führt, macht den Hauptteil des Buches aus. Castro wiederum ist ein begeisterter und begeisternder Redner, dessen Hang zur fanatischen Gewinnsucht sich selbst beim Dominospiel zeigt.

Dennoch stellt er sich bereitwillig Lockwoods Fragen, gibt Auskunft über das Wesen der Revolution, den Gegensatz von Kapitalismus und Kommunismus und seine Hoffnungen für ein sozialistisches Kuba. Auch Themen wie Sprache als demagogisches Mittel oder der Rassismus in den USA werden diskutiert. Offenbar erkennt Castro die Chance eines solchen Gesprächs mit dem amerikanischen „Klassenfeind“.

Aufnahme aufgeschlagener Buchseiten mit der Abbildung einer Parade

Und so schreckt Lockwood, der vorher aus Vietnam berichtete und aufgrund seines ausgeprägten politischen Bewusstseins unter anderem die amerikanische Bürgerrechtsbewegung dokumentierte, auch vor kritischen Themen nicht zurück, etwa dem Umgang mit Zensur und Dissens.

Er lässt den Worten Taten folgen und spricht mit politischen Gefangenen, darunter vielen Bauern aus den Bergen, die sich wissentlich oder unwissentlich „konterrevolutionärer“ Umtriebe schuldig gemacht haben. Auch den Exodus ausreisewilliger Kubaner*innen hält Lockwood in Wort und Bild fest.

Aufnahme aufgeschlagener Buchseiten mit Text und Bild

Für Lockwood selbst war eine umfassende Reportage über Kuba absolut unerlässlich, um den „Feind“ im amerikanischen „Hinterhof“ kennenzulernen. In seinen Augen war gegenseitiges Verständnis der Schlüssel zu einer fruchtbaren Debatte:

Wir mögen Castro nicht, also verschließen wir die Augen und halten uns die Ohren zu. Aber wenn er wirklich unser Feind und für uns so gefährlich ist, wie man uns erzählt, dann, meine ich, sollten wir über ihn so viel wie möglich wissen. Und wenn er es nicht ist – dann sollte das auch bekannt sein. Egal ob man mit seinen Vorstellungen übereinstimmt oder nicht: Am besten lernt man einen Menschen kennen, indem man sich anhört, was er zu sagen hat.

Erst vor Kurzem rief der mittlerweile scheidende US-Präsident Obama zu einer Aussöhnung mit Kuba auf. Castro, bis heute zumindest nominal commandante und maxímo líder des sozialistischen Kubas, feierte im Sommer dieses Jahres seinen 90. Geburtstag. Vor drei Tagen starb er nach langer Krankheit. Lockwood dagegen verstarb schon 2010.

Aufnahme aufgeschlagener Buchseiten mit Text und Bild

Er hinterlässt mit „Castros Kuba“ nicht nur einen Bildband im klassischen Sinne, der mit exklusivem Material aus dem revolutionären Kuba der 1960er Jahre aufwartet, sondern auch ein einmaliges Stück Zeitgeschichte:

Was ich erreichen wollte, ist eine absichtliche Doppelbelichtung, also ein Doppelportrait von Kuba und Castro mit Fidel im Vordergrund.

„Castros Kuba. Ein Amerikaner in Kuba. Reportagen aus den Jahren 1959–1969“ ist im Verlag Taschen erschienen und kostet 49,90 €. Auf insgesamt 366 Seiten entspannt sich in Hunderten Farb- und Schwarzweißaufnahmen sowie detaillierten Abschriften der Gespräche mit Fidel Castro ein Panorama Kubas, das Lockwood jenseits propagandistisch aufgeladener Klischees zeigen wollte. Der Rest ist Geschichte.

Die hier gezeigten Abbildungen stammen zum Teil aus der englischsprachigen Ausgabe. In der deutschen Fassung sind alle Texte selbstverständlich auf Deutsch enthalten.

Dieser Artikel war schon seit einiger Zeit geschrieben und für heute geplant, die zeitliche Nähe zu Castros Tod war nicht beabsichtigt.

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