11. Juli 2017

Die Leere, die wir hinterlassen

Wie fühlt es sich an, älter zu werden? Was bedeutet es, sich völlig einsam zu fühlen? Wie fühlt es sich an, wenn der Körper nicht mehr mitmacht? Was wird bleiben, nachdem ich diese Welt verlasse? – Diesen Fragen möchte der Fotograf Oded Wagenstein in seiner Serie „The void we leave“ auf den Grund gehen. Durch Zufall erhielt er die Möglichkeit, Menschen in einem Altenheim in Cienfuegos in Kuba zu fotografieren.

Obwohl zwischen uns 60 Jahre lagen, fanden wir eine Bindung. Ich kehrte zurück und besuchte sie ein paar Mal im Jahr. Die Aufnahmen waren dann immer nur ein kleiner Teil: Ich half Einkäufe tragen, wir sahen zusammen Telenovelas und vor allem, trotz der Sprachbarriere, unterhielten wir uns viel. Wir redeten über unsere Ängste und Delphin sagte mir dabei einmal: „Das Altern ist kein schönes Ding. Es gibt keine Zeit mehr, um Träume zu erfüllen, Orte zu besuchen. Bald werde ich gehen und hinterlasse nur die Leere zwischen den Wänden.“

Eine Frau

Onelia Katyo beobachtete die Straße durch die Haustür ihrer Wohnung. Da es kaum Licht und keine Klimaanlage gibt, bleiben die meisten Türen in der kleinen Gemeinde den ganzen Tag geöffnet und jeder, der an Onelias Tür vorbeigeht, ist ihr potentieller Freund: Ein vorübergehender Nachbar, Kinder auf dem Weg zur nahe gelegenen Schule, sogar eine streunende Katze. Seit 2014 trafen wir uns sieben Mal und ich sah sie nie ohne ein geblümtes Kleid. Sie meinte, dass Blumen sie glücklich machen.

Ein Bett

Ein Männerportrait

Michael Reynaldo in seiner Einzimmerwohnung. Er drängte mich, sein Portrait in seinem Stuhl aufzunehmen. Es war das erste Portrait, das ich in der Gemeinschaft aufnahm. Ein paar Monate später starb er und ich sah ihn nie wieder.

Eine rosa Schlafzimmerwand

Ein Mann

Delphin Fernadez in seiner kleinen Hütte, umgeben von Bildern von Lenin und Studien von Marx. Obwohl er vor langer Zeit in den Ruhestand ging, war es ihm sehr wichtig, jeden Tag seine Zöllneruniform zu tragen und umgab sich mit alten Gegenständen des Sozialismus. Die Leute in der Gemeinschaft (die ihn „Kapitän“ nannten) gaben ihm Essen oder Seife und im Gegenzug erzählte er Geschichten über die Zeiten, in denen „sogar die Kriege besser waren“. Im Dezember 2016 erlitt er einen Schlaganfall und starb.

Ein dunkler Gang

Ein schlafender Mensch

Eine Frau auf einem Stuhl

Leonada Gelato Machena in ihrer Einzimmerwohnung. Sie erzählte mir, dass sie es liebte, mit Freund*innen im lokalen Park zu sitzen, aber jetzt, da einige von ihnen gegangen sind, bliebe sie lieber im Haus. Sie sagt, dass das Wort „älter“ nicht zu ihrem Charakter passt.

Ein leerer Raum

Ein leeres Bett

Eine Frau in einem dunklen Raum

Ilama Bural Morachon in ihrer Wohnung. Nachdem sie sich ihren Arm und ihre Schulter gebrochen hatte, brauchte sie Hilfe bei beinahe allen Tätigkeiten. „Der Körper betrügt dich. Das ist ein schreckliches Gefühl“, erzählte sie mir.

Ein Bett vor einer schmutzigen Mauer

Die Angst vor dem Altern und der Einsamkeit ist für Oded die schlimmste. Bei jedem Besuch, den er im Haus machte, fand er wieder Wohnungen leer vor. Die Bewohner hinterließen nach ihrem Tod ein paar persönliche Gegenstände und die leeren Wände.

Die meisten Menschen auf diesen Bildern sind nicht mehr am Leben. Heute verstehe ich den Drang, ein Portrait von ihnen machen zu müssen. Ich hatte gehofft, dass die Kamera mit ihrer bemerkenswerten Fähigkeit, die Zeit einzufrieren, mir helfen kann, sich an sie zu erinnern.

Oded Wagenstein ist ein israelischer Fotograf und Autor. Mehr seiner Arbeiten findet Ihr auf seiner Webseite. Folgen könnt Ihr ihm auch auf Facebook oder Instagram.

7 Kommentare

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  1. Das sind ungewöhnlich starke und berührende Bilder. Sie lassen einen richtiggehend verstummen, betrachtet man die Umgebung, wo diese Betagten zu Leben haben. Wie steht es da wohl um medizinische Versorgung usw.? Wenn ich daran denke, auf welch hohem Niveau hier in der Schweiz über Pflege- Wohnqualität, institutionelle Rahmenbedingungen diskutiert und auch lamentiert wird, wir mir ganz anders…

  2. Eine Serie von Fotos die mich bewegt ! schön ist jetzt nicht das richtige Wort aber einprägsam und es regt zum nachdenken an.
    Ich der Beruflich öfters mal in Altenheime gearbeitet hat muss feststellen dass es keinen sooo großen Unterschied von Kuba und Deutschland gibt!
    Die Rentner sind hierzulande besser Medizinisch versorgt auch die Zimmer sind moderner, cleaner aber das Zwischenmenschliche kommt auch hier in Deutschland fast überall zu kurz…
    Kein Wunder bei einer Gesellschaft wo Wachstum und das Bruttosozialprodukt an erster Stelle steht.

  3. Mir hat es beim Betrachten der Bilder schier den Atem verschlagen.
    Wirklich eine eindrucksvolle und gut gemachte Reportage mit extrem eindringlichen Bildern.

    Auch wenn wir hier in Deutschland (oder globaler in MIttel-/Europa) tatsächlich eine bessere medizinische Versorgung haben, so ist doch das Grundproblem dasselbe. Man wird alt und älter, die Beweglichkeit nimmt ab und damit einhergehend ebenso der Radius des sozialen Umfelds. Wenn dann Familienbindungen wegbrechen, Freunde und Bekannte sterben, dann folgt die Einsamkeit.
    In Verbindung mit dem kleiner werdenden Horizont schleicht sich diese Leere ein, die eigentlich niemand erleben (müssen) sollte.

    Da bleibt einem nur die Hoffnung, dass man selbst einmal ein anderes Schicksal erlebt……wer weiß, die Hoffnung stirbt zuletzt.