„Onkel Uwe, es brennt!“
Der Ort, in dem Uwe lebt, schmiegt sich an einen der zahlreichen Seen in Mecklenburg und ist gerahmt von dichten Wäldern und Pferdekoppeln. Die wenigen Häuser sind schnell abgeschritten und kurz vor dem Waldrand steht das Gebäude, in dem Uwe wohnt. Es ist ein Komplex in T-Form. Groß, mächtig, an die 100 Jahre alt und verwittert.
Der zur Dorfstraße weisende Teil ist von Büschen überwuchert und steht seit 1992 leer. „Hier ziehen alle weg, hier ist nichts los.“ Von den vier Familien, die einst hier gelebt haben, sind nur Uwe und seine acht Katzen geblieben. Seit 1967 wohnt der 54-Jährige nun schon hier und hat die Blüte und den Niedergang seiner Heimat hautnah erlebt.
Nach der 8. Klasse habe er die Schule verlassen: „Die wollten da Sachen wissen, die ich nicht wusste.“ Für drei Jahre verschlug es ihn nach Schwerin und er wurde Betonfacharbeiter. „Die haben mir alles beigebracht: Wie man Holz verarbeitet, wie man Gerüste baut und Bewährungsbau.“ In Schwerin habe er danach an den 10-Geschossern mit gebaut. „Ein Mädel habe ich da kennengelernt.“
Im selben Jahr wurde ihr erster Sohn geboren. Um bei der Familie sein zu können, nahm er eine Stelle als Maurer bei sich im Dorf an. „Die haben viel gebaut, im Dorf und der LPG.“ Nur von seinem Gehalt hätte er schlecht leben können – gerade einmal 600 Mark habe er gehabt. „Da habe ich mir dann Viehzeug geholt…“
Uwe hält inne und schaut in den Fernseher, hinter dessen zigarettengelber Mattscheibe ein alter tschechischer Märchenfilm läuft. „Damals hatte ich 30 Hühner und zwei bis drei Schweine.“ Er sagt das auf eine Art, als könne man die Schwere seines Lebens daran ablesen. „Im Dorf bei mir war eine Eier-Annahmestelle. Da habe ich die Eier hingebracht. Gab ja gutes Geld für.“
Bis 1989 hat er als Maurer gearbeitet. „Danach war ich arbeitslos und musste zum Amt nach Güstrow. Da habe ich immer wieder kleine Jobs bekommen. Auf einer großen Baustelle musste ich aufpassen, dass da keiner was klaut. Da waren aber die ganzen Wessi-Firmen, die haben nur geklaut und die haben Rasierklingen in die Pissbecken geworfen. Da hat es mir gereicht und ich hab dem einen eine gelangt.“
Das Arbeitsverhältnis endete einen Tag später. „Die brauchten einen Aufpasser und keinen Schläger.“
Ob ihm das nicht klar gewesen sei, dass man ihn dann entlassen würde, will ich wissen. Uwe schaut in den Fernseher und schweigt. Eine Weile schweigen wir uns an und ich sehe der Katze zu, die hinter der Scheibe auf dem Fensterbrett sitzt und sich die Pfote leckt.
„An der Schweinemastanlage habe ich mitgebaut. Hier im Ort, als Maurer. Aber als die Halle fertig war, war ich wieder arbeitslos.“ Irgendwann kam dann noch ein Job als Erntehelfer und dann kam lange Zeit nichts mehr in Uwes Leben. Ich frage ihn nach den Familien, die hier einst gewohnt haben.
„Da hat der Bürgermeister einen großen Fehler gemacht.“ Uwe sieht mich eindringlich an. „Der hat da die Spritköppe eingesperrt und die haben mit solchen Kochplatten geheizt.“ Uwe zeichnet mit seinen Händen die Form eines Campingherds nach. „Strom war ja nicht teuer.“
„Onkel Uwe, es brennt!“ Diese Worte der Nachbarstochter wird Uwe nie mehr in seinem Leben vergessen. Im Januar 2001 fraß ein Feuer ein Loch in den Dachstuhl des Mittelteils, einfallender Regen ließ im Laufe der letzten 14 Jahre die Decke zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk einstürzen und diesen Teil des Hauses endgültig unbewohnbar werden.
„Ich wollte ja in ein anderes Haus ziehen, aber der Vermieter wollte 400 Euro für die Bude haben. Soviel hab’ ich nicht…“ Uwe beugt sich weit zu mir nach vorn und sieht mir tief in die Augen. „Da fließt gleich was…“, habe er zu ihm gesagt, „da fließt gleich was.“ Ich versuche mir vorzustellen, was Uwe damit alles gemeint haben könnte, obwohl es doch so offensichtlich ist und mit einem Mal finde ich ihn sehr unheimlich.
Ich versuche, mich ein wenig abzulenken und frage ihn nach dem Mädel, das er einst in Schwerin kennengelernt hat. „Die wollte Dame sein, das hat mir nicht gepasst.“ Nach einer Pause fügt er hinzu: „Die Alte habe ich nie geschlagen, aber der zweite Sohn war ihr im Weg, der hat sie gestört. Und als ich mir dann eines morgens Frühstück machen will, da wollte sie ihn ersticken. Ich hab’ ihr so eine gelangt, dass sie gegen den Schrank geflogen ist. Der ist dann auseinander gefallen.“
Ich versuche zum zweiten Mal, abzulenken und bringe das Gespräch auf seine Tiere. „Ich hab’ nur noch die Katzen. Die brauchst du hier wegen dem Ungeziefer. Die eine kam letztens mit einer Ratte an und die Hühner haben zum Schluss nicht mehr richtig gelegt, da hab’ ich sie weggeschlachtet.“
Nun sitze ich hier vor dem Bildschirm und frage mich, warum ich nicht weiter schreibe… Uwe hat mir viel erzählt, ich habe viel gesehen und noch mehr gerochen. Aber es gibt eine Form der sozialen Verwahrlosung, die ich nicht beschreiben muss.
Sie wird von selbst deutlich. Und klar, ich weiß, dass zu so einem Elend immer auch zwei gehören… Man selbst und die Leute draußen. Und dennoch ist es irgendwie nicht greifbar. Okay, in der Großstadt verstecken wir uns in der Anonymität der Masse. Aber hier? In einem Dorf mit vielleicht 20 Häusern?
Als ich danach aus Uwes Haus kam, war ich froh, die Autotür hinter mir ins Schloss fallen zu lassen und durchzuatmen. Nicht wegen des Gestanks in seinem Haus, sondern weil ich zurück in mein Leben konnte. Dahin, wo alles gut ist, wo alles passt. Wo mich Geliebtwerden erwartet – etwas, was Uwe wohl seit Jahren nicht mehr gefühlt hat…
Bedrückend ! Sehr gelungene Kombination von Bild und Text.
Hallo Matthias, das Kompliment für das „Bedrückende“ nehe ich gerne entgegen.
Das Lob für die Text-Bild-Kombination gebe ich an die Redaktion weiter… ;-)
Sicher kein Einzelfall, und es sagt auch keiner „wir schaffen das“. Es sind ja auch nur die eigenen Leute.
Mensch, da haste deinen Rechtspopulismus aber gut versteckt.
Danke, Criz, so sieht das auch die Redaktion.
Jeden weiteren Kommentar in dieser Richtung werden wir kommentarlos löschen.
Solche „eigenen“ Leute gab es in fast jedem Dorf, die Außenseiter. In unserem Dorf gab es „Freddy“, jeder kannte ihn, nur zwei drei Familien aus dem Dorf kümmerten sich unregelmäßig um ihn.
Zu Heilig Abend traute er sich auch in die Kirche, setzte sich immer in eine der hintersten Reihen. Man konnte nicht so schnell zählen, wie sich die Sitzplätze um ihn leerten weil er roch und anders war.
So geht man seit eh und je mit den „eigenen“ Leuten um und schiebt sie nun scheinheilig vor.
Aber gut, dass sich Leute wie Alfred um sie kümmern. Danke dafür.
Sehr starker Text!!!
(Und dazu die passenden Bilder. Toller Artikel!)
Hallo Finny, schön, das dir der Text und die Bilder gefallen haben. Das freut mich sehr! :-)
Ich komme urspruenglich auch aus der Gegend und kann meinen Vorpostern nur zustimmen: diese laehmende Schwere die uebers Leben langsam aber sicher in Resignation uebergeht kennzeichnet viele Menschen dort. Auch das Schwelgen in der Vergangenheit (hier in Form von alten Fotoalben) passt in dieses Bild. Dieses Lebensgefuehl ist in dieser Arbeit hervorragend in Wort und Bild festgehalten, ohne bewertend zu wirken. Danke fuer diesen (fuer mich sehr starken) Artikel !
Hallo Stefan, vielen Dank für dein Feedback. Ich habe im letzten Sommer die Bewohner eines 12-Häuser-Dorfes in Meck-Pomm portraitiert und interviewt und habe dort ein anderes Lebensgefühl wahrgenommen. Was ich im Januar diesen Jahres, ein paar Kilometer weiter bei Uwe erlebt habe, war das komplette Gegenteil. Aber du hast sicher Recht: wenn die Gegenwart erdrückend ist, lockt die Leichtigkeit der Vergangenheit, in der „noch alles gut war“.
Danke für dein schönes Feedback.
Danke für den Artikel, welchen ich mit einem einzigen Wort kommentieren kann:
Ungemütlich.
Hallo Urs, „ungemütlich“ trifft es ganz gut. Danke für dein Feedback.
Gutes Thema, „schöne“ Bilder und guter Text. Was will man mehr?
Die Atmosphäre stimmt.
Danke für dein Interesse, Flo.
Dafür, dass in der Gegend seit 1992 nichts los ist, ist der Artikel wirklich spannend und gut geschrieben, und auch die Fotos mag ich.
Ein beinahe strukturloses Leben wird hier im Text strukturiert, in Etappen aufgeteilt, vielleicht wird ein Sinn gesucht, oder eine Entwicklung, oder eine Richtung.
Diese Story hat kein Happy End, leider. So idyllisch die Szenerie dort, so verlassen, und so verwahrlost, so vollkommen perspektivlos.
„Geliebtwerden“ will sicher auch dieses Haus, ich mag es sehr, und es ist sehr schade, zu sehen, wie so etwas verfällt.
P.S.
Ein kleiner Rechtschreib- oder Tippfehler hat sich meines Erachtens eingeschlichen … muss es nicht „Bewehrungsbau“ heißen statt „Bewährungsbau“?
Hallo Jürgen, danke für deine wunderschön zu lesende Kritik.
Und ja, „Bewehrungsbau“ wäre richtig gewesen… ;-)
Viele der Vorposter haben bereits mit einem einzigen Wort kommentiert, danach war mit ursprünglich auch. Ich fand den Artikel sehr eindringlich und bedrückend. Zumal diese Schicksale oftmals gar nicht so offen wahrgenommen werden (Wohne allerdings auch in Bremen, auf dem Land mag das noch anders sein…).