20. Januar 2016 Lesezeit: ~21 Minuten

Mit leichtem Gepäck reisen

Sechzig Millionen Menschen auf der Welt sind Geflüchtete. Im Jahr 2015 haben über eine Million Menschen versucht, über das Mittelmeer in die EU einzureisen. Viele von ihnen kommen aus Krisengebieten wie Syrien und dem Irak, andere entfliehen Diktaturen oder religiöser Verfolgung, wie es zum Beispiel in Eritrea der Fall ist. Wieder andere hoffen, so die Armut hinter sich lassen und in Europa ein neues Leben beginnen zu können.

Fast 300.000 davon haben die lange, gefährliche Fahrt nach Italien gewagt. Syrer nennen diese Überfahrt „Todesreise“. Über 2.500 Menschen sind im letzten Jahr dabei ums Leben gekommen – und dennoch scheint diese Flucht für viele Menschen die einzige Chance auf eine Zukunft für sich und ihre Kinder zu sein.

Ist die Entscheidung erst einmal getroffen, genügt ein Anruf. Und dann muss man bezahlen. Eine Überfahrt kostet zwischen 1.200 und 7.000 US Dollar pro Erwachsenem – je nach Strecke und Saison. Kinder reisen kostenlos. Eine einzige Schiffsladung voller Migranten bringt einem Schmuggler bis zu 90.000 Dollar ein – und das ohne nennenswerte Auslagen. Auch die Gefahr erwischt zu werden ist nur minimal.

Und dann sitzen bis zu 520 Männer, Frauen und Kinder dicht gedrängt in einem kleinen, klapprigen Fischerboot. Verpflegung gibt es nur selten und wenn, dann wenig. Ist man aber erst einmal am Schiff, gibt es kein Zurück mehr. Entweder man steigt auf – oder stirbt.

Und dann hoffen sie und warten. Sie hoffen, dass der Motor nicht aufgibt. Sie hoffen, dass die Küstenwache sie nicht zurückholt, bevor die internationalen Gewässer erreicht sind. Sie hoffen, dass das überfüllte Boot nicht untergeht. Sie hoffen, dass der Kapitän die Route kennt (denn oft kennt er sie nicht) und sie hoffen, dass eine Barija – eine europäische Küstenwache, ein Militärschiff oder ein großes Frachtschiff – zu ihrer Rettung kommt, bevor eine der oben genannten Situationen eintritt.

Weil die Schiffe so überfüllt sind, verbringen viele der Flüchtenden die Fahrt im Wasser sitzend, denn die Wellen schwappen von allen Seiten ins Boot. Oft verbringen sie so viele Stunden und Tage ohne Nahrung und Trinkwasser. Tabletten gegen Seekrankheit sind sehr gefragt, obwohl sie oft nur wenig oder gar nicht helfen. Oft sind sie noch in der Tasche, die am Ufer zurückbleiben musste. Gepäck ist nur selten erlaubt. Meist wird es den Flüchtenden abgenommen, bevor sie zusteigen, sodass sie nur noch ihre Kleider und ein paar wenige, kleine Besitztümer haben, die sie direkt am Körper tragen können.

Wer sind die Menschen, die sich auf eine solch grausame Flucht begeben? Und was können diese Menschen in ihr neues Leben hinüberretten? Was bedeuten ihnen diese Gegenstände? Wir Menschen definieren uns nicht nur darüber, wer wir sind, sondern auch darüber, was wir besitzen. Wir messen Gegenständen Bedeutung bei, die weit über deren eigentlichen Wert hinausreicht. Ich habe syrische Geflüchtete über die Gegenstände, die sie auf ihrer Reise dabei hatten, befragt.

Habseligkeiten

Ahmad, 40, Drucker und Ladenbesitzer

Die Kufiya habe ich in Syrien speziell für diese Reise gekauft. In Palästina ist sie ein wichtiges Symbol, aber außerhalb Palästinas ist sie einfach nur ein Tuch. Ich hatte sie dabei, um mich vor der Sonne und dem Sand zu schützen. Die Tasche habe ich gekauft, um unsere wichtigen Dokumente sowie etwas Geld und mein Handy während der Reise darin aufzubewahren.

Das Geld ist altes syrisches Geld. Es ist nicht mehr gültig, aber in meinem Laden habe ich es trotzdem angenommen… weil ich es mag. Ich habe es mitgebracht, weil es mich an zu Hause erinnert – und an meinen Laden und an meine Freunde, die mich dort immer besucht haben.

Meinen Pass mag ich nicht. Er ist ein „Reisedokument für palästinensische Flüchtlinge“, womit ich fast nirgends hinreisen kann. Nur nach Khartum. Syrien war für mich wie ein Gefängnis. Dennoch ist er wichtig: Er sagt, wer ich bin.

Mit den Salben habe ich die aufgescheuerten Stellen eingerieben, die ich mir während der sechstägigen Fahrt durch die Wüste auf der Ladefläche eines Pick-ups zugezogen hatte. Und die Tabletten sind gegen Seekrankheit… aber die haben nicht viel geholfen. Ich musste mich trotzdem übergeben – und das obwohl ich nichts gegessen hatte.

Das Feuerzeug ist aus meinem Laden. Es ist vier Jahre alt und kaputt, aber ich behalte es als Andenken.

 

T-Shirt und Dokumente

Alaa, 14, Schüler

Meine Mutter hat mir dieses T-Shirt zu meinem letzten Eid in Damaskus gekauft. Ich habe es mitgebracht, weil mir die Farben so gut gefallen.

Das ist ein Buch über arabische Geschichte. Ich habe oft mit meinem Opa zusammen in diesem Buch gelesen… Ich habe es noch nicht zu Ende gelesen… Das Buch ist voller guter Geschichten … von Zeiten, als Männer noch männlich und stark waren … und auch intelligent. Das gibt es heute nicht mehr. Heute sind Männer entweder intelligent ‒ zum Beispiel Ärzte – oder sie kämpfen in einem Krieg und sterben. Aber damals gab es Männer, die kämpften und schrieben Gedichte. Heute kämpfen nur Idioten im Krieg – die Intelligenten tun etwas anderes.

Das Notizbuch habe ich seit drei Jahren. Wenn ich groß bin, möchte ich Schriftsteller oder Journalist werden. Darin notiere ich die Dinge, die ich wissen oder tun sollte, um ein guter Mensch und ein guter Schüler zu sein.

Den Inhalator brauche ich, weil ich Asthma habe. Die Brille hatte ich auf der Fahrt durch die Wüste und über das Meer immer auf. Ich liebe diese Brille. Sie hat mich nie im Stich gelassen. Mein Opa hat sie mir gekauft.

Das Zeugnis ist mein letztes von zu Hause. Ich habe es mitgebracht, weil ich den Leuten hier zeigen möchte, dass ich nicht dumm bin. Nur weil ich komme und um Asyl bitten muss, heißt das nicht, dass ich ein Idiot bin. Ich möchte, dass die Leute das begreifen.

 

Zwei Tücher und eine Creme

Asmaa, 36, Hauswirtschaftslehrerin

Diese Kleider werden zum Gebet getragen. Sie sind ein Geschenk von meiner Mutter. Ich habe sie bekommen, als ich mit den Kindern bei ihr in Latakia wohnte. Ich hatte andere Gebetskleider in Damaskus, aber als unser Haus zerstört wurde, haben wir alles verloren. Meine Mutter hat diese Kleider einige Zeit bevor wir kamen gekauft – sie wollte damit nach Mekka pilgern. Als sie aber sah, dass ich keine Kleider zum Beten hatte, öffnete sie ihren Schrank und gab mir ihre.

Ich bete fünf Mal am Tag. Einmal am Morgen, einmal zur Mittagszeit, einmal um 5 Uhr, einmal wenn die Sonne untergeht und einmal zur Nacht. Auf der Reise habe ich nicht gebetet. Ich habe die Kleider in einer Tasche getragen ‒ und nachdem ich diese in Italien weggeworfen hatte, packte ich sie in eine andere Tasche, um sie zu schützen. Diese Kleider bedeuten mir sehr viel. Nicht nur, weil ich sie zum Beten brauche – sie erinnern mich auch an meine Mutter zu Hause in Syrien. Ich mache mir Sorgen um sie.

Mit der Creme habe ich meine Hände und mein Gesicht eingecremt, um mich während der langen Fahrt durch die Wüste zu schützen. Wir sind auf der Ladefläche eines Pick-ups gefahren, es war sehr heiß und staubig und die Sonne brannte. Ich war ganz schwarz von der Sonne. Für mich hatte ich keine Sonnencreme. Die, die ich hatte, habe ich meinen Kindern gegeben.

Mit der Creme habe ich auch eine Wunde am Knie verarztet … ich war hingefallen, als ich im Dunkeln einen Ort suchte, wo ich zur Toilette gehen konnte. Es hat sehr wehgetan und meine Hose war zerrissen, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich musste stark bleiben für meine Kinder. Sie sollten nicht sehen, dass ich Angst hatte.

 

Eine Puppe

Shahed, 5, Kindergartenkind

Die Puppe ist meine aus Syrien. Sie heißt Aia. Sie ist meine Freundin. Ich habe sie von meinem Papa bekommen. Ich habe sie, seit ich ein Jahr alt bin. Sie schläft jede Nacht in meinem Bett. Sie ist so süß!

Auf der Reise war sie immer bei mir. Sie ist von Damaskus nach Latakia, zurück nach Damaskus, nach Khartum, nach Ägypten, nach Libyen, über das Meer nach Italien und nach Deutschland gereist.

Die Creme ist für mein Gesicht. Sie ist für die Nase und die Hände. Sie ist für die Sonne.

 

Kleidungsstücke

Hiam, 40, Lehrerin

Auf dem Schiff habe ich den Pulli unter einem dünnen, schwarzen Mantel getragen. Ich hatte mit den Kindern eine Kabine, deshalb war mir nicht kalt. Aber der Mantel wurde nass und schmutzig und so ließ ich ihn zurück. Ich trage normalerweise immer einen langen Mantel in der Öffentlichkeit. Der Pulli ist sehr bequem. Ich habe ihn auf dem Al-Hamidiya-Markt gekauft. Das ist ein sehr guter Markt in Damaskus. Ich mag schöne Kleider. Bevor wir die Reise antraten, habe ich alle meine Kleider an bedürftige Menschen verteilt.

Ägypten zu verlassen, war meine Idee. Mein Mann hatte Angst, aber wir hatten kein Zuhause mehr und ich hatte keine Lust mehr, von einem Verwandten zum nächsten zu ziehen. Ich entschied also, dass es das Beste sei, mit dem Schiff nach Europa zu fahren. Ich hatte ein gutes Gefühl. Ich dachte, entweder sterbe ich oder ich überlebe, aber zumindest haben meine Kinder die Chance auf eine bessere Zukunft. Meine Hauptmotivation war die Zukunft meiner Kinder. Ich hatte nie ernsthaft geglaubt, dass wir sterben könnten … erst in den letzten paar Stunden auf dem Schiff … Ich sah meine Kinder weinen und fragte mich, ob ich wirklich richtig entschieden hatte. Aber dann wurden wir gerettet.

Die Jeans ist aus Ägypten. Es ist eine Schwangerschaftshose – einige Monate zuvor kam unser jüngstes Kind auf die Welt. Mein Hijab ging unterwegs kaputt – eine Frau in Italien hat mir einen neuen geschenkt. Darunter trug ich dieses Haargummi. Ich trug es zufällig am Tag der Abfahrt.

Ich bin froh, in Deutschland zu sein. Ich möchte nur eine sichere Zukunft und eine gute Ausbildung für meine Kinder. Hauptsächlich vermisse ich die Fotos, die ich zurücklassen musste … aber das Wichtigste ist, dass mein Mann und meine Kinder bei mir sind.

 

Verschiedene Gegenstände

Iman, 40, Hausfrau

Dieses Kleid nennt man Abaya. Ich habe es vor etwa zwei Jahren in Libyen gekauft. Bevor wir nach Deutschland kamen, haben wir einige Jahre dort gelebt. In Syrien war es zu gefährlich. Dort konnten wir nicht bleiben.

Ich trug diese Abaya meistens zu Hause oder wenn ich schnell mal die Nachbarn besuchte. Ich mag die Farbe, aber das Kleid ist nicht formell genug, um es in der Öffentlichkeit zu tragen. Auf dem Boot trug ich es, weil es sehr leicht und bequem ist. Dazu trug ich einen Hijab. Ich hatte drei Hijabs dabei ‒ aber das ist der einzige, den ich noch habe. Er gefällt mir gut.

Die Fotos hatte ich in Plastikfolie eingewickelt, sodass sie auf der Fahrt nicht nass wurden. Es sind Fotos von meinem Mann und von meinen Kindern. Die Fotos wurden in Syrien aufgenommen. Die „50-Euro-Serviette“ ist ein Geschenk von meiner Freundin Ahlam. Ich musste ihr versprechen, sie niemals wegzuwerfen. Sie erinnert mich an sie.

Die Gebetskette ist aus der Sayyidh-Ruqayya-Moschee in Damaskus. Ich habe sie an einem kleinen Stand am Eingang gekauft. Wir sind oft dorthin gegangen, um um Schutz und Gesundheit zu beten. Es ist ein Ort, an dem man sich Gott nahe fühlt. Man fühlt sich dort sicher. Ich habe die Kette zum Schutz mitgenommen – und um auf dem Schiff damit zu beten. Die Reise war gefährlich. Wir haben zwei Tage auf einem kleinen, klapprigen Boot mitten auf dem Meer verbracht. 520 Personen. Schließlich wurden wir von einem Rettungsboot gefunden und sicher nach Italien gebracht. Alhamdulilla.

 

Andenken

Inas, 14, Schülerin

Ich habe diese Jeans auf dem Boot getragen. Ich habe sie letztes Jahr zum Eid bekommen. Wir waren damals in Libyen. Wir waren ein Jahr und acht Monate dort, bevor wir nach Europa kamen. Es war eine schlimme Zeit ‒ es war so gefährlich dort, dass ich nicht mal zur Schule gehen konnte.

Ich hatte auch noch ein T-Shirt und eine graue Jacke, aber die habe ich weggeworfen, als ich in Europa neue Kleider bekam. Das Kopftuch habe ich auch auf dem Schiff getragen. Es gefällt mir sehr gut – die Farbe und die Fransen. Ich habe es mit meiner Mutter auf dem Markt gekauft.

Die Kosmetiktasche ist auch aus Libyen. Sie gefällt mir. Pink ist meine Lieblingsfarbe! Ich habe immer mein Make-up in der Tasche aufbewahrt, aber meine Mutter hat sie mit auf die Reise genommen, um unsere Fotos und Papiere trocken zu halten, solange wir auf dem Boot waren. Das kleine Mädchen bin ich, als ich noch jünger war …

Ich bin froh, dass wir jetzt hier sind. Es ist schön, Freunde zu haben und in die Schule gehen zu können. Ich höre gerne Musik und ich tanze gern ‒ und wenn ich groß bin, möchte ich Arabischlehrerin werden.

 

Kleidung

Mohammad Said, 52, Möbelhändler

Das ist die traditionelle Kleidung in Daraa. Sie heißt Jalabiya. Sie ist kühler und deshalb angenehmer als andere Kleider. Den Stoff habe ich in Saudi Arabien gekauft, als ich mit meiner Frau 2009 zur Umra, einer Pilgerfahrt, in Mekka war. Wir fuhren die 1960 Kilometer von unserem Haus bis Mekka mit dem Bus. Es dauerte ungefähr 24 Stunden und war ohne Zweifel die beste Reise meines Lebens. Ab dem Moment, in dem man in Mekka ankommt, ändert sich alles. Alles, was an Dir falsch war, wird auf einmal richtig. Es ist ein seltsames Gefühl, das ich nicht erklären kann … Plötzlich fühlst Du Dich besser, einfach nur, weil Du da bist. Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Dieses Gefühl ist mir bis heute geblieben.

Die Jalabiya hat ein Schneider dann in Nawa genäht. Sie ist ein Andenken an den heiligen Ort, der mich so tief beeindruckt hat. Ich habe sie mitgebracht, weil sie für meine Kultur steht und für meine Traditionen und meine Familie und mein Umfeld. Sie ist so viel mehr als einfach nur ein Kleidungsstück. Sie ist Ausdruck meiner Identität.

Auf dem Schiff habe ich das gestreifte Hemd und eine Hose getragen, aber die habe ich nicht mehr. Das Hemd bedeutet mir sehr viel. Es ist nicht nur ein Hemd – es ist ein Teil meines Herzens. Es ist der einzige Gegenstand aus Syrien, den ich noch habe. Es fühlt sich an wie Zuhause. Wenn ich den Fernseher anschalte, sehe ich nur Krieg und Zerstörung in Syrien – wenn ich das Hemd anschaue, erinnere ich mich an die Zeit, als alles ok war. Es war ein Geschenk von meiner Frau zu unserem Hochzeitstag vor sechs Jahren.

Ich hoffe, dass der Krieg irgendwann vorbei sein wird und ich zurück nach Hause kann. Ohne diese Hoffnung wäre ich jetzt nicht hier. Diese Hoffnung hält mich am Leben.

 

Kleidung und eine Gebetskette

Mohammad, 32, Computerprogrammierer

Die Weste und die Jeans habe ich in einem Laden in meiner Heimatstadt Hama gekauft. Beide sind etwa sechs Jahre alt. Die Jeans trage ich sehr gerne, aber die Weste brauchte ich in Syrien selten. Ich habe sie mitgebracht, weil sie schön warm ist und ich ahnte, dass es auf dem Schiff kalt werden würde.

Das Schiff, auf dem ich fuhr, war nur ein kleines Fischerboot – und wir waren 500 Passagiere. Etwa 200 Personen waren unter Deck und der Rest oben. Nach dreizehn Stunden wurden wir von einem italienischen Militärschiff gerettet und nach Foggia gebracht. Von dort fuhr ich weiter nach Frankreich … eigentlich wollte ich nach Schweden, wo mein Bruder wohnt, aber in Kiel wurde ich erwischt und so bin ich jetzt in Deutschland.

Der Gürtel ist etwa vier Jahre alt. Ich trage immer einen Gürtel. Die Gebetskette heißt Misbaha. Sie gehörte meiner Mutter. Sie hat sie vor fünf Jahren aus Ägypten mitgebracht. Sie trug sie immer in ihrer Handtasche. Vor einem halben Jahr hat sie sie mir geschenkt. Ich bete damit. Ich vermisse meine Mutter und denke an sie, wenn ich die Kette halte.

Ich wünsche mir, dass meine Eltern und meine Schwestern auch bald hierher kommen können – oder noch besser wäre es, wenn der Krieg bald zu Ende wäre und ich zurück nach Hause könnte.

 

Habseligkeiten

Nezar, 11, Schüler

Das rosa Dokument ist mein Schulzeugnis. Ich habe es mitgebracht, weil ich der Beste in meiner Klasse war. Mein Lieblingsfach war Mathe. Ich hatte ganz viele Freunde in der Schule. Ich vermisse sie. Mit ein paar bin ich noch in Kontakt, aber nicht mit allen. Die meisten sind noch in Syrien ‒ aber ein Freund ist in Österreich und einer in Schweden. Niemand ist in Deutschland.

Die Kufiya ist ein Geschenk von meinem Papa. Ich habe sie extra für die Reise bekommen. Das ist ein palästinensisches Kopftuch. Ich hatte es, um mich vor der Sonne in der Wüste zu schützen. Wir hatten jeder eine Kufiya, aber ein paar sind verloren gegangen. Mein Bruder hat auch seine Mütze verloren. Die wurde während der Fahrt auf dem Pick-up von seinem Kopf geweht. Meine Mütze hatten wir in der Tasche, deshalb habe ich sie noch. Ich mag die Mütze sehr, sehr gern. Sie ist aus Damaskus. Ich hab sie schon lange – und wenn ich ein Opa bin, dann habe ich sie immer noch.

Die beiden Bücher habe ich einem Jungen auf der Straße abgekauft. Er fragte: „Willst Du sie kaufen?“ ‒ Da habe ich meine Mama gefragt und sie hat ja gesagt. Das rote Buch ist von Agatha Christie und das andere heißt „Der weiße Elefant“. Es ist eine Detektivgeschichte. Ich habe sie aber noch nicht durchgelesen.

Ich hatte auch noch eine Sonnenbrille, aber ich weiß nicht, wo die ist.

 

Eine Jeanshose

Wais, 6

Ich gehe noch nicht zur Schule, aber ich freue mich schon so sehr darauf. Ich war einmal zu einem Schnuppertag dort und es war sehr schön.

Diese Jeans ist aus Ägypten. Meine Mama hat sie mir gekauft, als wir in Kairo gewohnt haben. Das Loch am Knie ist passiert, als ich mit dem Roller hingefallen bin. Da habe ich auch meinen Arm gebrochen und musste zum Arzt. Jetzt habe ich Metallplatten im Arm. Als es passierte, waren wir neu in Deutschland. Jetzt ist die Jeans zwar ein bisschen kaputt, aber ich mag sie immer noch. Gestern habe ich eine andere Hose zerrissen, als ich vom Fahrrad gefallen bin. Das passiert halt …

Als wir in Ägypten gewohnt haben, durfte ich nie allein draußen mit meinen Freunden spielen. Ich durfte höchstens mit meiner Mutter in den Park gehen. Am liebsten bin ich zum Vergnügungspark gegangen. Das hat Spaß gemacht. Ich fahre gerne mit den schnellen Achterbahnen. Eine war wie ein ganz, ganz schneller Wurm. Die war toll. Ich spiele auch gern Fußball. Wo wir jetzt wohnen, gibt es viele Kinder. Ich habe Freunde hier. Ich wohne gern hier.

Als wir Ägypten verlassen mussten, habe ich mich von meinem Freund Manar verabschiedet. Ich habe ihm erzählt, dass wir gehen – ihm und meinem Cousin Rawad. Der wohnt jetzt in Saudi Arabien.

Ich kann mich noch gut an das Schiff erinnern. Mir war so schlecht und ich musste dauernd brechen. Die haben uns mitten auf dem Meer von einem Schiff in ein anderes geworfen. Eines war aus Holz und das andere aus Metall und die beiden sind immer zusammengekracht. Ich träume immer noch davon. Ich gehe zum Doktor deswegen.

Ich kann sehr gut schwimmen, aber Schiffe mag ich nicht mehr. Wenn ich groß bin, werde ich Pilot.

 

Aus diesem Projekt ist das Buch „Travelling light“ entstanden. Es enthält 45 quadratische Fotos mit Interviews sowie Fotos, die auf verlassenen Schmugglerbooten in Sizilien aufgenommen wurden. Des Weiteren sind darin Fotos, die die Geflüchteten selbst aufgenommen haben, zu sehen, sowie einige Nachrichtenbilder.

Das Buch ist im Buchhandel, über Amazon oder am besten direkt bei mir erhältlich. Weitere Infos gibt es auch auf meiner Webseite.

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