Ein ausladender Baum spiegelt sich im Wasser.
19. Januar 2016 Lesezeit: ~11 Minuten

Varieté: Die wichtigsten Fotos der Redakteure 2015

Willkommen zum letzten Teil unserer traditionellen Jahresrückblicke im Januar. Zum Abschluss hat sich die Redaktion in ihre persönlichen Archive begeben, um dort nach den wichtigsten Fotos des vergangenen Jahres zu suchen. Hier stellen wir sie Euch vor.

Da ein paar der Redakteure aktuell aus verschiedenen persönlichen Gründen nicht aktiv sind, gibt es nur sieben Geschichten zu lesen. Auch, wenn alle wieder im Dienst sind und die neuen Redakteure, die das Schreiben für kwerfeldein gerade testen, im Team sind, ist noch Platz in der Redaktion. Solltest Du also Lust haben, über Fotografie und Fotograf*innen zu schreiben, sag Bescheid.

 

Polaroid einer Hauswand mit orangen Bildfehlern.

Aileen Wessely

An einem der ersten Sommertage war ich losgestapft, um in der Kölner Innenstadt Aufnahmen für ein Projekt zu machen. Am Ende sollte eine Collage aus Polaroidlifts herauskommen. Als Versatzstücke wollte ich Brücken, Antennen, Silhouetten von Kirchen, Straßenlaternen und anderen Objekten nutzen, die einen urbanen Charakter und interessante Formen bieten.

Zum Glück war ich von der ursprünglichen Schnapsidee abgekommen, dafür ausschließlich analog zu arbeiten. Als ich zwischen Rheinauhafen und dem Dom auf der Suche nach passenden Motiven mit der Canon 5D herumlief, war ich dann auch froh, mich für die digitale Materialsammlung entschieden zu haben, denn es war natürlich fast nie möglich, die Objekte allein aufs Bild zu bekommen.

So konnte ich die digitalen Aufnahmen dann freistellen, in schwarzweiß umwandeln, schön und passend groß mit dem Beamer auf die Leinwand werfen und von dort mit der Polaroid Image 2 wieder abfotografieren. Dafür benutzte ich ein paar abgelaufene und bei Impossible aussortierte Filme, die ich vor ein paar Jahren für Experimente erstanden hatte.

Mit dabei waren am Ende ein paar Bilder, die fantastische orange Streifen mit Sprenkeln über das Bild laufen hatten. Für mein Projekt waren sie unbrauchbar, ich wiederholte sie also, aber die Ausschussbilder lösten in meinem Kopf direkt eine Kaskade an verträumten Assoziationen aus. Dieses hier ist mein liebstes und ich stelle mir vor, dass die Bewohner in der einen Haushälfte schon schlafen, während die anderen noch wachen.

Aus der Polaroidliftcollage ist dann doch nicht so viel geworden, ein erster Versuch hat viele Stunden Zeit gekostet und das Ergebnis sah furchtbar aus, weil die hellen Bereiche der Polaroids nicht so durchsichtig waren wie erhofft. Die restlichen Schnipsel liegen hier noch rum und warten auf einen neuen Versuch.

 

Eine Frau sitzte auf Steinen im Wasser

Katja Kemnitz

Eine Auswahl zu treffen war schwer, weil ich 2015 einfach unglaublich viele Bilder gemacht habe. Dieses Foto mag ich besonders, weil es eine Aufnahme ist, mit der ich wirklich zufrieden bin – was recht selten ist – und die mich einiges an Überwindung gekostet hat. Als Selbstportrait aufgenommen, hat mich Christoph Ermert dabei unterstützt und mich überhaupt erst an diesen tollen Ort geführt.

An diesem Tag habe ich den ersten Schnee des Winters gesehen und der Nebel lag schwer. Um auf den Stein zu gelangen, musste ich ins Wasser gehen und während ich mich umzog, begann es auch noch zu regnen. Beim Abtrocknen gefror das Handtuch am Boden, aber als ich das Bild auf dem Display sah, wusste ich, dass sich die Überwindung absolut gelohnt hatte.

 

Scotland © Marit Beer

Marit Beer

Wir verließen die Isle of Skye und ich war traurig, dass nun der Heimweg bevorstand. Es nieselte wie fast jeden Tag, Nebel stieg auf und nach der nächsten Biegung sah ich dann das weiß getünchte Cottage. Es sind die Grüntöne, die mich an diesem Bild, aber im Besonderen an diesem Land so faszinieren. Ich habe versucht, diese Töne zu zählen und ihnen allen Namen zu geben. Ich hatte hinterher eine beachtliche Liste zusammengestellt. Ich mag dieses grüne sumpfige Land, weil es mich fühlen lässt, Mensch zu sein, mit all meinen Verwundheiten.

 

© Chris Hieronimus

Chris Hieronimus

Ende vergangenen Jahres begab ich mich auf eine Reise, die ich schon mein halbes Leben vor mir her schob. Ich besuchte das erste Mal die alte Heimat meines Vaters, Bangladesch. In Deutschland wählte mein Vater den Weg der Assimilation. Es hat einen Grund, dass ich kaum ein Wort Bangla spreche, keinen muslimischen Nachnamen trage und dieses Land, mit dem mich so viel verbindet, nie zuvor bereist hatte. Mein Vater wusste, dass es in Deutschland besser ist, so deutsch wie möglich zu sein. „So deutsch wie möglich“, das ist allerdings noch immer nicht „deutsch“, wie ich feststellen musste.

Ich habe als Postmigrant keine eigene Migrationserfahrung, was es mir schwerer macht, mich in Deutschland als Fremder zu fühlen, wenngleich Deutschland mich als fremd wahrnimmt. Der bangladesch-deutsche Teil meiner Identität war mir unbekannt. Deshalb flog ich im Dezember 2015 nach Dhaka, wo ich eine große Familie habe, die ich bin dahin nicht kannte.

Ich wurde überall mit überwältigender Gastfreundschaft empfangen, so auch im Geburtsort meines Vaters, weit außerhalb der Hauptstadt. Auf dem Foto zu sehen ist ein Bild meiner Frau, das auf meinem Handy von einigen der vielen Freunde, Verwandten und Nachbarn betrachtet wird. Es ist ein Moment, der gänzlich verschiedene Lebenswelten verbindet. Ich habe dort Lücken schließen können, indem ich Verwandte kennen lernte, Beziehungen knüpfte und erlebte, wie lebendig diese Wurzeln sind, zu denen ich bislang nicht in bewusster Verbindung stand.

Immer wieder hörte ich bei den vielen Begegnungen: „Komm wieder und bring deine Frau mit. Ihr seid herzlich willkommen.“

 

Ein ausladender Baum spiegelt sich im Wasser.

Sebastian Baumer

Es ist sehr schwer, mein wichtigstes Bild des letzten Jahres auszusuchen. 2015 war ein Jahr, in dem ich immer weniger gezielt fotografiert habe, in dem ich viel mehr die Natur entdeckt habe und meine Kamera dabei hatte. Das Bild, das ich schlussendlich gewählt habe, trägt den Titel „Von Bäumen, die sich im Wasser reflektieren, kriege ich nie genug“ und ist Teil einer Reihe von Bildern, die genau das abbilden.

Wie auch letztes Jahr ist es nicht mein „bestes“ Bild im vollumfänglichen Sinne, es ist nicht mein technisch perfektestes Bild des Jahres, es ist nicht mein am besten durchkomponiertes, nicht mein interessantestes oder inhaltlich-konzeptuell dichtestes, aber es ist eines der Bilder, die aus mir persönlich sprechen.

Der Baum dort, in schwarzweiß, am See, im Wald, das ist Minimalismus, aber doch eine ganz komplizierte Geschichte, wenn man länger darüber nachdenkt: Eine abstrakte, große Geschichte von Leben in zwei verschiedenen Kategorien (nämlich meiner, der Fauna und der des Baumes, der Flora), von mehr als vier Milliarden Jahren Evolution. Aber es ist auch eine persönliche Geschichte: Die Geschichte von mir und meiner Liebe zur Natur, zum Wald und zu dieser ganz speziellen Stelle.

 

Bunter Pflücksalat nah fotografiert.

Anne Henning

Mein wichtigstes Foto 2015 zeigt einfach nur Pflücksalat. Rein ins Beet, zwischen Mangold und Kartoffeln, wächst das frische Grün und dort habe ich mich mit der Kiev vergraben. Es ist im Sommer in unserem Garten entstanden, wo wir uns letztes Jahr zum ersten Mal richtig bewusst und mehr oder weniger erfolgreich um Gemüseanzucht gekümmert haben. Beet bestellen, säen, Unkraut zupfen, hegen und pflegen, um am Ende ernten zu können.

Das Foto steht stellvertretend für diese kleinen Dinge, die mir im letzten Jahr glückliche und dankbare Momente geschenkt haben. Überhaupt habe ich letztes Jahr so wenig wie nie zuvor gekauft, fast alle Lebensmittel waren vor der Tonne gerettet oder stammten aus dem Garten, die Kleidung war getauscht, was ich brauchte habe ich selbst gemacht, repariert oder gebraucht gekauft.

Es­sen­zi­elle Fragen habe ich mir gestellt und beantwortet: Was brauche ich wirklich? Was macht mich glücklich? Wie will ich leben? Dieser Schritt weg vom Konsum, hin zum noch bewussteren Umgang mit allen Ressourcen, hat 2015 noch schöner, bunter und vernetzter funktioniert als in den Jahren davor und in diesem Jahr werde ich sicher noch weitere Schritte gehen können. Hoffentlich auch fotografisch!

 

Ein großes weißes Zelt und eine Reihe Toilettenhäuschen an einer Straßen in einer menschenleeren Umgebung.

Tilman Haerdle

Das Bild steht für mich stellvertretend für die Hilflosigkeit und das Versagen, das mir 2015 begegnet ist. Ich habe das Bild im Rahmen einer Hilfsfahrt für meinen Verein Kinder auf der Flucht e.V. Ende September im Niemandsland zwischen Kroatien und Serbien aufgenommen, zwischen Tovarnik und Sid. Es zeigt Toilettenhäuschen und ein Zelt des Roten Kreuz Kroatien.

Hinter mir harrten zu dieser Zeit etwa 2.000 Flüchtlinge aus – auf einem Friedhof. Sie durften dank einer Polizeisperre von da auch 24 Stunden lang nicht weg, die Toiletten blieben ungenutzt, das Zelt den Mitarbeiten des RK vorbehalten. Innerhalb dieser 24 Stunden ereignete sich ein verheerender Wolkenbruch, dem die Menschen, darunter viele Kinder, komplett schutzlos ausgesetzt waren. Die einzigen Menschen, die sich in der Nacht während des Unwetters um die Flüchtlinge kümmerten, waren Freiwillige.

Das Bild manifestiert mein Versagen, die Situation vor Ort adäquat mit Fotos auszudrücken. Bilder zu machen, war damals absolut verboten, die Medien hatten zu dem Bereich erst am nächsten Tag Zugang. Ich hatte Angst, irgendetwas zu tun, was dazu geführt hätte, dass die Freiwilligen weggeschickt worden wären. In gewisser Weise fühlte ich mich kompromittiert und gelähmt.

Die Erlebnisse dieser 24 Stunden haben mich lange verfolgt, weil es mir absolut unvorstellbar schien, dass so etwas mitten in Europa passieren konnte. Das Bild zeigt, wie, zumindest damals, die europäischen Staaten in jeder Hinsicht überfordert waren, selbst auf elementarster logistischer Ebene.

Auch wenn jetzt die Reise von den griechischen Inseln bis Deutschland einigermaßen gefahrlos ist, noch immer erinnert mich alles mehr an einen Viehtransport als an menschenwürdige Behandlung Schutzsuchender. Ohne die vielen Freiwilligen in jedem Land entlang der Balkanroute wäre alles noch schlimmer. Und es bleibt der zum Himmel schreiende Skandal, dass von offizieller Seite weiter nichts unternommen wird, das tägliche Sterben im Mittelmeer zu verhindern.

Mein Verein hat eine Fundraising-Kampagne ins Leben gerufen, bei der wir Geld sammeln, mit dem Schnellboote für Rettungsschwimmer in Griechenland finanziert werden. Diese helfen direkt vor Ort, die Leben von Flüchtenden zu retten, die auf ihrer Flucht in Seenot geraten. Danke für Eure Unterstützung!

 

Damit schließen wir das Kapitel „Jahr 2015“, danken Euch allen herzlich dafür, es mit uns gemeistert zu haben und schauen nun nach vorn. Auf ein fotografisches 2016! Was sind Eure Pläne für’s neue Jahr?

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