Blick auf einen Mann der in einer Reihe Holzstämme etwas anzündet.
08. Oktober 2015 Lesezeit: ~12 Minuten

Rezistenta Goldbach

Im Sommer 2009 werde ich bei einer Freundin in Bukarest auf einen Artikel über Rosia Montana aufmerksam. Ein kleiner Ort im Apuseni-Gebirge, Teil der rumänischen Westkarpaten, im Widerstand gegen die Pläne eines kanadischen Konzerns, dort im großen Stil Gold zu fördern. Umsiedlung, Zerstörung von Naturräumen, soziale Konflikte in einer dörflichen Gemeinschaft – ganz ähnliche Prozesse, die auch meine damals aktuelle Arbeit „Retired Soil“ über ostdeutsche Braunkohlereviere begleiten.

Das ohnehin unerträglich juniheiße Bukarest verlassen wir bereits einen Tag später in Richtung Karpaten, eine etwas kryptische E-Mail – ausgedruckt – im Gepäck: Unsere Zusage für zwei Betten im „La Gruber“.

Das kleine Hostel wird also mein erster direkter Kontakt vor Ort und um es vorwegzunehmen: Es ist mein Zuhause in Rosia Montana geblieben – bis heute. Anamaria Rus, kurz Ani – Herz und Seele des kleinen Hostels – betreibt es mit ihrem Freund Andrei „Bizzy“ Gruber in seinem Elternhaus.

Ein rauchender Mann in schwarzer Kleidung schaut aus einer Garage.

Andrei „Bizzy“ Gruber

Sie ist offenes Ohr, Guide, Übersetzerin und nicht zuletzt tolle Köchin in einer Person. Englisch hat sie sich größtenteils selbst beigebracht – amerikanische Fernsehserien flimmern eigentlich pausenlos auf ihrem Laptop.

Vier Tage bin ich damals im Ort unterwegs, zu Fuß, per Quad und Jeep. Stolz zeigt mir Andrei, Sohn eines vor wenigen Jahren an Silikose verstorbenen „Miner“ (Bergmanns) seine Heimat, geprägt von vielen hundert Jahren Goldbergbau, über- wie unterirdisch.

Schon die Römer ließen das begehrte Edelmetall für ihr Imperium fördern und schufen so ein heute noch teilweise zugängiges, weit verzweigtes System an Schächten und Gängen, das die einzigartige Handwerkskunst der Bergleute erahnen lässt.

In einer Hand ein kleines Döschen mit Blick auf kleine Goldnuggets.

Kleine Goldnuggets, die aus einem Bach nahe Rosia Montana gewaschen wurden.

Aber auch überirdisch sind die Spuren des Goldfiebers sichtbar. Besonders der Tagebau, bis Mitte der 2000er Jahre noch in Betrieb, hatte Narben ins Landschaftsbild gesprengt. Ein Loch nur noch ist dort, wo einst ein mächtiger Berg das Dorf nach Süden hin einrahmte, aber dennoch nur ein kleines Vorzeichen, verglichen mit den Plänen der Rosia Montana Gold Corporation (RMGC).

Obwohl ich zurück in Berlin wieder direkt in der Arbeit an meinem Diplomprojekt „Retired Soil“ stecke, lässt mich dieser Ort in Rumänien nicht mehr los. Mitte 2011 habe ich mein Konzept soweit in Form gebracht, um mich damit für ein Stipendium der VG Bild-Kunst bewerben zu können, das dann glücklicherweise auch bewilligt wird.

Blick auf ein Dorf, das sich einen Berg hinaufschlängelt.

Blick auf den oberen Teil Rosia Montanas.

Im April 2012 dann die erste Reise. Vier Wochen vor Ort mit mehr als ungewissem Ausgang. Ich hatte zwar versucht, den Konflikt aus Deutschland zu verfolgen, aber das war ohne Rumänisch-Kenntnisse nur schwer möglich. Ankommen. Herzlicher Empfang im La Gruber mit etlichen Gläsern des guten Tuica (Pflaumenschnaps). Danach passierte erst einmal: nichts.

Ich erlebe einen Ort, der, in beiderlei Sinne, oberflächlich betrachtet, seit 2009 nahezu unverändert scheint und dessen äußere Trägheit mir unmissverständlich zeigt, dass ich so schnell wohl kaum auf einen offenen Konflikt zwischen Minengegnern und -befürwortern treffen werde.

Ein Mann sitzt vor einer Hütte und blickt zur Seite.

Eugen David, Bauer und Vorsitzender der NGO Alburnus Maior. Auf großen Teilen seines Landes soll die Mine Orlea eröffnet werden.

Ich beginne, den Ort zu erlaufen, finde verlassene Häuser, weitläufige Almen und uralte Stolleneingänge. Ich treibe mich herum, suchend, aber anfangs ohne rechten Zugang zu den ohnehin wenigen Leuten, die mir begegnen. Der örtliche Minimarkt, denke ich, versorgt wie in vielen anderen Dörfern die Anwohner nicht nur mit einer bunten Auswahl an Weltlichem, sondern auch mit dem neuesten Tratsch.

Und so wird dies auch der Ort, an dem ich mit den ersten Rosianos in Kontakt komme. Wortkarg, aber gestenreich, wenn meine Dolmetscherin Ani mich nicht begleiten kann.

Blick auf einen Mann in roter Arbeitskleidung und Mütze.

Dinu, der letzte Schmied im Ort.

Im Nachbargebäude liegt das Büro der RMGC, im Ort auch, meist aber eher abfällig, „Goldu“ genannt. Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. An der Wand Modelle einer Landschaft im Ist-, Zwischendrin- und Nachherzustand. Großformatige Tafeln in bester Eisenbahnplattentradition, die die tatsächlichen Ausmaße der geplanten Veränderungen nur schwerlich wiederzugeben vermögen.

Vielleicht ein wenig zu freundlich erklärt man den Besuchern die unzähligen Vorteile des Minenprojektes. Kritischere Nachfragen werden etwas ungelenk umgangen.

Eine Straße, bewölkter Himmel, ein paar Häuser.

Die Hauptstraße in Rosia Montana.

Vor Ort hat die RMGC schon beachtlich investiert, Häuser und Grundstücke aufgekauft, deren nun inzwischen ehemalige Besitzer umgesiedelt, Anwohner mit mehr oder weniger sinnvollen Tätigkeiten versehen – kurzum, sich sichtbar im Ort ausgebreitet.

Man wähnt sich kurz vor Projektbeginn und nicht wenige Bewohner glauben fieberhaft an den heilsamen Goldschatz, an die vielen versprochenen Arbeitsplätze, finanzielle Absicherung – an ihre ganz persönliche prosperierende Zukunft.

Die letzten beiden Wochen kommt Philipp Lichterbeck hinzu. Er ist freier Journalist, wir haben uns auf der Rückreise aus Bukarest 2009 kennengelernt und er hat, wie es der Zufall eben so will, schon mehrmals über und aus Rosia Montana berichtet.

Hügel, Bäume und Berge im Nebel.

Das Dorf ist umgeben von Bergen und Hügeln, Blick Richtung der geplanten Mine Orlea.

Wir arbeiten an einer ersten gemeinsamen Geschichte, die den Familienkonflikt zwischen Andrei, dem Hostelbesitzer, und seinem Bruder Christian, der bei der RMGC angestellt ist, thematisiert. Gemeinsam besuchen wir auch ehemalige Bewohner Rosia Montanas, die mehr oder weniger freiwillig ins frisch aus dem Boden gestampfte Recea-Viertel der 70 km entfernten Stadt Alba Iulia umgezogen waren.

Oft verkaufen gerade ältere Menschen ihren Grund und Boden in der Hoffnung, die Abfindung und der kleine Neubau könnten vor allem ihren Kindern ein wenig Sicherheit schenken. Unsere Geschichte wird in Deutschland und der Schweiz publiziert, das Geld kann ich wiederum gut in meine Arbeit investieren.

Ein Neokreuz an der Straße leuchtet vor sich hin.

Neonkreuz an der (durch die RMGC) neu gebauten orthodoxen Kirche in Rosia Montana.

Gearbeitet habe ich mit einer Nikon D800 und Mamiya 7. Landschaften gern auch mal auf Diafilm, eine eher emotionale Entscheidung. Ich meine, da in bestimmten Lichtsituationen eine Griffigkeit und Farbwiedergabe zu bekommen, die ich digital so kaum erreichen kann. Für Portraits gern mit Kodak Portra, schön auch die erstaunten Gesichter des Gegenübers beim Erblicken der Kamera oder beim Filmwechsel.

Analog fotografieren verbreitet also offensichtlich den Anschein einer gewissen Ernsthaftigkeit – mir soll es recht sein. Die Nikon dagegen ist ein wunderbares Universalwerkzeug und ich kann ohne großes Gepäck auf meine Tagestouren durch und um den Ort aufbrechen.

Speicherkarten, Ersatzakku, Weitwinkel auf der Kamera und ein 50iger in der Tasche – viel mehr als das kleine Besteck braucht es selten.

Ein Mann gestikuliert in einer Kirche.

Arpad „Arpi“ Palfi, Priester der unitarischen Kirche.

Im September 2013 bringt mich das Thema zurück nach Bukarest. Dort ist die Protestbewegung gegen das Goldprojekt, aber auch die grundlegende Unzufriedenheit an den politischen und wirtschaftlichen Eliten Rumäniens zu einer beachtlichen Demonstrationsbewegung gewachsen und ich beschließe, dies für meine Arbeit zu dokumentieren.

Vier Tage lang bin ich vor Ort, wohne in der damals sehr provisorischen Unterkunft der „Casa Jurnalistului“, einem losen Zusammenschluss junger Journalisten, die dem größtenteils unkritischen und gleichgeschalteten Medienapparat Rumäniens eine unmittelbare und ungeschönte Berichterstattung gegenüberstellen.

Mehrere zehntausend Demonstranten machten sich in den Straßen Bukarests Luft, darunter auch, eigens angereist, bekannte Gesichter aus Rosia Montana.

Demonstranten im Abendlicht.

Demonstration in Bukarest. Mehrere Zehntausend gingen im September 2013 gegen das Goldprojekt landesweit auf die Straße.

Ein Teil dieser Protestbewegung geht auf die Aktivitäten der Kampagne „Salvati Rosia Montana“ (Rettet Rosia Montana) zurück, die auch eng mit der lokalen NGO Alburnus Maior zusammenarbeitet. Dieser Name, die lateinische Bezeichnung Rosia Montanas, soll auf die kulturhistorische Bedeutung des Ortes verweisen, die auch die Grundlage des Antrags zur Aufnahme in die Liste der UNESCO Weltkulturerbe ist.

2015 ging das FanFest (Heufest), eine jährliche Konstante im nicht gerade überreich bestückten Festivitätenkalender, in seine zehnte Runde und lockte für ein langes Wochenende wieder einige tausend Besucher in den sonst eher mäßig besuchten Ort. Globalisierungsgegner, Umweltaktivisten und Protesttouristen treffen auf Einheimische. Man diskutiert die Zukunftsaussichten des Ortes, spricht die gemeinsame Kampagnenarbeit ab und feiert natürlich auch ausgiebig.

Blick auf eine vernebelte Landschaft.

Mine Cetate: Hier wurde bis Mitte der 2000er Jahre goldhaltiges Gestein im Tagebau abgebaut.

Seit 2014 vor allem einen ihrer bisher größten Erfolge: Nachdem die RMGC mehrfach keine ausreichend überprüfbaren Umweltgutachten vorlegen konnte und der Druck der Straße durch die ausdauernden Demonstrationen stetig gestiegen war, verweigerte das Parlament die Zustimmung zum Projektbeginn und leitete damit den (einstweiligen) Rückzug des Konzerns aus dem Ort ein.

Bei meinem letzten Besuch im August 2015 ist „Goldu“ praktisch nicht mehr präsent, nahezu alle Angestellten im Ort wurden entlassen. Die im Retortenstadtteil Recea eingesetzten Mitarbeiter, eigentlich für die großen und kleinen Probleme der Umgesiedelten ein offenes Ohr, sind nicht mehr anzutreffen.

Mittlerweile droht der Konzern, den rumänischen Staat auf mehrere Milliarden US-Dollar zu verklagen. Er sieht seine Investorenrechte verletzt – ein kleiner Vorgeschmack auf das, was durch CETA und TTIP in Europa gängige Praxis werden könnte.

Zwei Männer stehen vor einer Wand und schauen in die Kamera.

Christian und Andrei Gruber. Christian war bis 2012 bei der RMGC angestellt und lebt mittlerweile in Deutschland, Andrei betreibt das kleine Hostel „La Gruber“.

Persönlich hat sich für mich über die Jahre einiges geändert. Aus Bekanntschaften sind manchmal Freunde geworden, auch über Sprachbarrieren hinweg. Nicht wenige kennen mich, wenn auch nicht gleich mit Namen – ich bin für sie schlicht der „Cameraman“, der Typ, der halbwegs regelmäßig im Ort auftaucht, immer mindestens eine Kamera im Anschlag.

Dennoch begegnet mir auch Skepsis. Mit uns Medienmenschen hat man hier auch schlechte Erfahrungen gemacht: Zu viele Versprechen – die große Aufklärungsstory – und dann kamen sie doch nie wieder oder setzen halbwahre, verzerrte Bilder in die schnelllebige Nachrichtenlandschaft.

Blick auf ein zerstörtetes Haus in der Natur.

Ein Haus nahe des Sees Tarina. Es wurde an die RMGC verkauft und danach von dieser zerstört.

Natürlich ist der Ort auch kein homogenes Gebilde; selbst durch Familien laufen bis heute die Meinungsgräben für und wider „Goldu“ – ein Umstand, der es manchmal schwer macht, zu erahnen, auf welcher Seite das Gegenüber nun eigentlich steht.

Dabei aber umso mehr verdeutlicht – und das ist auch durchaus entscheidend für meine Arbeit: Ein einfaches Bild ist natürlich auch hier nicht zu erwarten. So erlebe ich, dass sich Geduld durchaus auszahlen kann, Vertrauen wächst und ich zunehmend in private Bereiche gelange, die Fremden sonst vielleicht verschlossen bleiben.

Ein Mann liegt im Sand und schaut in die Kamera.

Ciprian Jurca

Ich nehme mir die Zeit, die die anderen brauchen, bin auch mal ohne Kamera „einfach nur dabei“ und verzichte – manchmal „zähneknirschend“ – auf ein Bild, wenn es die Situation gebietet. Es ist ein bisweilen stiller Widerstand in den Bewohnern Rosia Montanas. Heimat, auch wenn sie neben Landwirtschaft und Tourismus wenig Chancen für Beschäftigung bietet, ist ein kostbares Gut und sie verteidigen es mit Herz und einer guten Prise Witz.

Daher auch der Name der Arbeit: Rezistenta – Widerstand. Und Goldbach, der im 19. Jahrhundert von deutschen Siedlern verwendete Name Rosia Montanas und Sinnbild für den Rohstoff, der diesem Ort seine Geschichte gegeben hat, wohl oder übel aber auch seine weitere Zukunft bestimmen wird.

Das Projekt wurde von 2012 bis 2015 mit Mitteln eines Stipendiums von VG Bild-Kunst realisiert. Im August 2015 gab es dazu eine erste kleine Werkschau in Rosia Montana. Das Thema wird in den kommenden Jahren fortgesetzt und soll als Buch erscheinen.

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