Rezension: Chandigarh Redux
Anlässlich des Todestags des Architekten Le Corbusier, der sich heute zum fünfzigsten Mal jährt, möchte ich Euch das aktuelle Fotobuch „Chandigarh Redux“* vorstellen, das Einblick in seine städtebaulichen Visionen gibt. Für die indische Stadt Chandigarh fungierte er als Berater, Raumplaner und Architekt einzelner Gebäude.
Nachdem 1947 Indien und Pakistan selbstständig wurden (vorher waren sie britische Kolonien), wurde eine neue Grenze zwischen den beiden Staaten gezogen, wobei die damalige Hauptstadt Lahore der Provinz Punjab an Pakistan fiel und der indische Teil beschloss, einen neuen Regierungssitz zu errichten, statt ihn auf eine bereits bestehende Stadt zu übertragen.
Im Jahr 1952 wurde dann der Grundstein der Planstadt gelegt, die in der Folge auf den Namen des nahegelegenen Dorfes Chandigarh hören sollte und in mehreren Phasen gebaut wurde. (Einige Teile wurden jedoch bis heute noch nicht fertiggestellt.) Statt einer organisch gewachsenen Straßenstruktur zu folgen, ist Chandigarh sehr geometrisch in Sektoren aufgeteilt.
Diese Aufteilung sowie die Gestaltung der Gebäude und sehr einfachen Wohnungen entsprechen Le Corbusiers Gedanken zur Stadt der Zukunft, die steigenden Bevölkerungszahlen (auch armer Menschen) sowie damit einhergehend vermehrtem Verkehrsaufkommen gerecht werden, gleichzeitig aber auch menschlichen Bedürfnissen wie der Nähe zur Natur gerecht werden muss.
Für die einen ein mutiger Ansatz, den Anforderungen der neuen Zeit zu entsprechen, ist sein Ansatz für andere eher eine stadtgewordene, dystopische Monotonie. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass Le Corbusiers Baustoff der Wahl Stahlbeton war, der heute oft eher wie die Wahl des günstigsten Mittels wirkt, insbesondere, wenn das Grau des Betons von Wind und Wetter gezeichnet ist, wie es in Chandigarh der Fall ist.
Werner Feiersinger, seines Zeichens österreichischer Bildhauer und Fotograf, reiste nach Chandigarh, um den aktuellen Zustand der Stadt fotografisch zu bearbeiten. Ich benutze absichtlich nicht die Formulierung „zu dokumentieren“, denn der künstlerische Ansatz Feiersingers wird stets betont. Dieser überlagert die entstandenen Fotos allerdings nicht dominant, sodass eine insgesamt neugierige, aber angenehm zurückhaltende Sicht auf die Stadt zu bewundern ist.
Sehr deutlich wird Feiersingers Blick als Bildhauer auf die Architektur der Stadt. Mit seiner Perspektivwahl und der Abbildung ganzer Bildstrecken des gleichen Ortes aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln werden Räumlichkeit und Größenbezüge deutlich.
Eindringlich abgebildet finden sich auch die verschiedenen Nutzungsformen der Gebäude und ihr unterschiedlicher Zustand. In über sechzig Jahren, die natürlich nicht vorbildlich den Schätzungen der 40er Jahre entsprechend verlaufen sind, haben sich die Stadt und Menschen einander angepasst. Wobei sechzig Jahre sichtbar für Menschen eine längere Zeit sind als für Stahlbeton.
Deutlich wird sofort, dass „Chandigarh Redux“ kein klassischer Fotoband ist. Alle etwa 300 Fotos (allein die Anzahl ist schon beeindruckend) sind hochkant und relativ eng in das ebenfalls hochkante Buchformat gesetzt. Sonst finden sich auf den Seiten nur die Seitenzahlen sowie Angaben zu den Sektoren, in denen die Bilder aufgenommen wurden sowie teilweise Bezeichnungen der besonderen Gebäude, die zu sehen sind.
Das verwendete Papier hat einen leichten Glanz, der Umschlag besteht aus dünner Pappe, die mit einer Struktur versehen ist. Schlägt man „Chandigarh Redux“ auf, begrüßt einen nach einer Übersicht der Beteiligten und einem Sektorenplan bereits das erste Foto. Unterbrochen wird die Abfolge der Bilder, die manchmal doppelseitig, manchmal wiederum nur einseitig gesetzt sind, nur von einigen Gebäude- und Häuserblockgrundrissen.
Insgesamt macht der Band auf mich also eher den Eindruck eines Handbuchs. Ein dichtes, kompaktes Nachschlagewerk, das in seinem Inneren allerdings statt wortreicher Informationen oder Tabellen Fotos bereithält. Bilder einer Stadt am anderen Ende der Welt, von der man sich aus der Ferne ein erstes Bild machen kann.
Am Ende des Buches findet sich, durch hellblaue Papierfarbe abgehoben, ein Essay von Andreas Vass in englischer Sprache. Darin beschreibt er nicht nur seine eigenen Eindrücke beim Versuch, in einem Taxi sitzend zu seinem Hotel in Sektor 17 vorzudringen, sondern auch detailliert die Entstehungsgeschichte Chandigarhs, reflektiert seine Architektur, nimmt eine politische und soziale Einordnung vor und diskutiert die mögliche zukünftige Entwicklung der Stadt.
„Chandigarh Redux“ ist ein Buch für alle, die sich nicht nur für Architekturfotografie, sondern vor allem auch Architektur im Spannungsfeld zwischen Theorie und praktischer Umsetzung unter den teilweise unvorhersehbaren Entwicklungen der Realität interessieren.
Informationen zum Buch
„Chandigarh Redux“* von Werner Feiersinger
Sprache: Englisch
Einband: Paperback
Seiten: 416
Maße: 16,5 x 2,8 x 24,1 cm
Verlag: Scheidegger & Spiess
Preis: 48 €
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