Berührungen
Als ich nach zwölf Jahren Abstinenz in den Norden des Vereinigten Königreiches zurückzog, begann ich eher zufällig ein neues Projekt. Natürlich war ich auch schon vorher ab und zu dort gewesen, jedoch ohne zu fotografieren. Fälschlicherweise nahm ich an, dass ich einfach wieder in das alte Leben eintauchen könnte, als ob ich nie weg gewesen wäre.
Doch meine Freunde und Familie hatten sich verändert. Die Stadt, in der ich auchgewachsten war, sah ganz anders aus. Und ich hatte mich auch verändert.
Die Landschaft war noch da, wie immer. Und trotzdem kam es mir vor, als sähe ich sie zum ersten Mal. Ich bin mir gar nicht sicher, was ich da eigentlich erwartet hatte. Zuerst wanderte ich bin bisschen herum. Obwohl sie meine Heimat war, fühlte sich die Natur so einsam an. Ich atmete die Luft ein wie ein Teenager seine erste Zigarette und stellte mir meine Umgebung vor, um den Ort zu absorbieren.
Ich wollte erneut eine Verbindung aufbauen, kurz die Hände schütteln und „Hallo“ sagen. Ich fühlte mich wie ein Besucher. Und war ein Besucher. Ich bin ein Besucher, denn ich leihe mir Ausschnitte der Zeit mit der Kamera. So ging ich raus, wann immer ich konnte, doch ich bemerkte schnell, dass die Landschaft meine eigenen Gefühle dann am besten widerspiegelte, wenn das Wetter am scheußlichsten war.
Wir Engländer sind eng mit dem Wetter verwoben. Es scheint nur dann richtig, raus zu gehen, wenn es regnet, schneit oder stürmt. Neben der beinahe garantierten Stille waren es gerade diese Zeiten, in der die Landschaft am lebendigsten wirkte. Doch gefühlt musste ich mich durchkämpfen und es war, als ob die Natur mir den Zugang erschweren wollte. Ich musste mir die Fotos hart erkämpfen.
Und langsam verstand ich auch, warum ich diese Aufnahmen eigentlich machte. Sie spiegelten mir meine eigene Unfähigkeit, mit einem vergangenen Leben in Berührung zu kommen. Die romantische Auffassung des Nachhausekommens wurde von einer sehr viel realistischeren Erfahrung ersetzt. Mein altes Leben war vergangen und würde niemals wiederkehren. Hoffnungslose Nostalgie wurde mit jedem Klick des Auslösers ausradiert.
Ich suchte mir Orte aus, von denen ich hoffte, dass dort sonst niemand anders sein würde. Das Verlangen, diese Orte für mich zu haben, war wichtig. Ich wollte die Landschaft auf meine eigene Art wiederentdecken. Das Fotografieren wurde zum erlösenden Erlebnis. Bei Wind und Regen draußen zu sein, genoss ich sehr. Unter diesen Bedingungen eine Landschaft zu fotografieren, transzendierte den Akt selbst.
Du spürst, dass Du die letzte oder die erste Person an diesem speziellen Ort bist, während Du von den Elementen in alle Richtungen zerstreut wirst. Die Kamera wird nass, Du wirst nass. Und manchmal war es fast abscheulich. Als ob jemand versuchte, mich davon abzuhalten, dort zu sein und es mir immer schwerer machte, dranzubleiben. Das stand in direkter Korrelation zu meinem Versuch, in ein Leben zu finden, das nicht mehr existierte. Es war höchste Zeit, ein neues zu schmieden.
Im ganzen darauf folgenden Jahr arbeitete ich weiter am Projekt und bemerkte, dass die Sommermonate der Landschaft dramatische Reaktionen entlocken konnten. Während ich mich langsam an mein neues Leben gewöhnte, wurde klar, dass das Projekt damit fotografisch zu Ende ging. Die Gedankenprozesse hinter der Arbeit wuchsen langsam zusammen und so bin ich heute in der Lage, diese für Euch niederzuschreiben.
Wie viele Dinge im Vereinigten Königreich wurde die Natur über Tausende Jahre hinweg von Menschen beeinflusst – und trotzdem glauben wir, dass wir einen „natürlichen Raum“ wahrnehmen. Das Realisieren dieser (offensichtlichen) Umstände war dem Projekt zuträglich. Und neben meiner primären Motivation, die Fotos überhaupt zu machen, versuchte ich die Beziehung zwischen all denen, die „gegangen waren“ und der Landschaft, die sie hinterlassen hatten, zu verstehen. Und das wollte ich in die Bildsprache einbauen.
Der Peak District (wo ich meistens fotografierte) hat einen antiken und zeitlosen Flair und ich wollte, dass meine Fotos dies festhielten. Betrachter sollten diese Art der Einsamkeit spüren, die manipulierte Umgebung sich vorstellen, um dann jedes Bild mit ihrer eigenen Erfahrung von Landschaften zu vervollständigen. Eine fotografische Serie ist dann für mich komplett, wenn sie jemand so erleben kann, als ob er oder sie selbst vor Ort gewesen wäre.
Beim Aufnehmen der Fotos versuchte ich mir alle Menschen vorzustellen, die schon einmal meine Wege gegangen waren und mir bei der Arbeit zusahen. Ich habe keine Ahnung, wer sie waren, aber jede und jeder von ihnen half mir beim finalen fotografischen Prozess. Es fühlte sich an wie ein doppelter Spiegel: Ich konnte die Landschaft sehen, während ich zur selben Zeit von den unsichtbaren und längst toten Menschen, die das Land bearbeitet hatten, gesehen wurde.
Weil niemand vergessen werden möchte, ist jedes Foto ein kleines persönliches Dankeschön an sie. Wenn man in Berührung mit einer Landschaft kommt, wird das immer auch die eigene Arbeit beeinflussen. Und die Landschaftsfotografie wird gern als Vehikel für visuelles Storytelling übersehen. Wichtig ist nur, dass man die eigene Geschichte erzählt und die von jenen, die es nicht länger können.
Dieser Artikel wurde für Euch von Martin Gommel aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.