30. Juli 2015 Lesezeit: ~4 Minuten

Rezension: Himmel aus Beton

Nicht selten haben Brücken neben ihrer Funktion als Verkehrsbauwerke auch symbolischen Charakter und repräsentieren zum Beispiel ganze Städte. Genau diese Art der Bilder von Brücken interessiert die österreichische Fotografin Gisela Erlacher allerdings nicht. Viel mehr hat sie ihren Blick den Resträumen unter den Verkehrsbauwerken zugewendet.

Dekoriert mit einem Abschluss in Psychologie und einem Kamera-Studium an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien widmet sie sich inzwischen gänzlich der Fotografie und setzt sich in ihren Arbeiten seit mehr als zwanzig Jahren mit zeitgenössischer Architektur sowie dem urbanen und suburbanen Raum auseinander.

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Die Aufnahmen, die Erlacher aus China, Österreich, Großbritannien und den Niederlanden zusammengetragen hat, wurden nun kürzlich im Bildband „Himmel aus Beton“* veröffentlicht. Sie bilden Brücken, Viadukte, Autobahnkreuze und verknotete Hochtrassen ab, die in teilweise kühner Ausprägung die vom Menschen domestizierte Landschaft und die urbanen Agglomerationsräume überspannen.

Sieht die Stadt- und Raumplanung sie nur mehr als vermeintlich nutzlose, jedoch unvermeidlich entstehende Überbleibsel, so ist es doch interessant bis unterhaltsam zu sehen, welche Formen der Aneigung in diesen toten Räumen, diesen Nicht-Orten stattfinden.

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Insbesondere bei einigen Bildern aus China fällt auf, wie wenig sich die Menschen an dem verbauten Himmel zu stören scheinen. Lässig scheinen sie das Trassengewirr über ihren Köpfen auszublenden; vielleicht nehmen sie es auch als ganz gewöhnlichen Bestandteil ihrer Umwelt war. So wird in einem Wald aus massiven Betonpfeilern entspannt Tee getrunken und sich im Plausch mit den Nachbarn über Neuigkeiten ausgetauscht.

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Kurios mutet auch das Bild eines nicht vollendeten Brückenabschnitts an; unwillkürlich stellt man sich vor, wie hier in einem Actionfilm eine Verfolgungsjagd enden könnte: Den Guten gelingt es in einem halsbrecherischen Manöver, rechtzeitig zu bremsen, den Bösen hingegen nicht.

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Was in China die Teetische sind, ist in den Niederlanden vielleicht die Ansammlung von Fahrrädern und in Österreich die Andeutung von Bergen im Hintergrund. So verraten trotz der Gemeinsamkeit dieser Räume unter Brücken kleine feine Unterschiede die regionale Zugehörigkeit, die sich aufgrund der ausgezeichneten Detailschärfe bei genauerer Betrachtung der Bilder ausmachen lassen.

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Eines der einprägsamsten Bilder des Buches mag das einer Koppel in London sein. Surreal wirkt das im Profil dargestellte Pferd, das dort einsam im Sand unter den Giganten aus Gussbeton steht. Die gebauten Strukturen, das domestizierte Tier – alles in diesem Bild erzählt von der Dominanz des Menschen über die Natur, obgleich hier kein Mensch direkt zu sehen ist.

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Gelegentlich lassen Erlachers sauber komponierte Bilder über die technischen Fertigkeiten staunen, die wir als Spezies zuweilen an den Tag legen. Ohne die Brücken je im Ganzen abzubilden, ist es der Fotografin durch geschickte Anschnitte in den Bildern gelungen, den Stahlbeton-Ungetümen eine erstaunliche Größe und Präsenz zu verleihen.

Doch zuletzt ist dann da doch wieder ein Detail, das dem Ganzen die Strenge nimmt: Das informelle, das skurrile, das menschliche Detail.

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Das im Schweizer Verlag Park Books erschienene Fotobuch empfehle ich allen, die sich im weitesten Sinne für die Themenfelder Architektur und die gebaute Umwelt interessieren. Und wären wir ein Radiosender, würden wir nun wohl an dieser Stelle zum Ausklang des Beitrags „Under the Bridge“ von den Red Hot Chili Peppers spielen.

„Himmel aus Beton“* von Gisela Erlacher
Sprache: Deutsch und Englisch
Einband: Gebunden
Seiten: 112
Maße: 31,7 x 1,7 x 24 cm
Verlag: Park Books
Preis: 38 €

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