Auf der Flucht vor dem Islamischen Staat
Der Fotojournalist Ferdi Limani reiste im September 2014 an die syrisch-türkische Grenze nach Suruc, um dort den Alltag der Flüchtlinge zu dokumentieren. Diese kamen von Syrien über die Grenze, da der Islamische Staat die Stadt Kobane ab dem 15. September angegriffen hatte.
Ich habe den aus Kosovo stammenden Fotografen zu einem Interview eingeladen und wir hatten eine spannende Unterhaltung über seinen Umgang mit Leid, die Situation der Flüchtlinge und die Gefahren, die solch ein Unterfangen mit sich bringt.
Du hast in Suruc fotografiert. Wie kam es dazu?
Die Ereignisse in Kobane und der Flüchtlingsstrom an der türkischen Grenze waren für uns so wichtig, dass wir mit den Kollegen vom „Istanbul Agence Le Journal“ eine Reise nach Suruc unternahmen. Während der ganzen Flüchtlingskrise und des Kriegs um Kobane war immer jemand von uns vor Ort. So kam ich auch in die Gegend.
Wie gefährlich war es für Dich, zu fotografieren?
In Suruc gab es keine direkte Bedrohung. Natürlich hätte mich ein ISIS-Granatwerfer treffen können, aber das ist Gott sei Dank nicht passiert. Der gefährlichste (oder besser gesagt „stressigste“) Faktor war die hohe Präsenz von türkischer Polizei und Armee. Tagsüber mussten wir durch mindestens drei Checkpoints, um näher an die Grenze und die Dörfer mit Flüchtlingen heranzukommen.
Weitere vierzig Kilometer waren der zu bezahlende Preis, um zurück nach Suruc zu kommen, wenn ich bis zur Dunkelheit blieb. Die Armee blockierte dann alle Wege.
Wie haben die Menschen in Suruc auf Deine Anwesenheit reagiert?
Weil ich aus einer Kultur stamme, die der kurdischen ähnelt, hatte ich wahrscheinlich einen vergleichsweise einfachen Zugang zu den Orten, verglichen mit anderen Fotojournalisten. Die Kurden waren sehr überrascht, dort einen Kosovo-Albaner zu treffen.
Einer der Kurden freundete sich sogar mit mir an, weil ihm vor längerer Zeit Albaner in einem deutschen Gefängnis das Leben gerettet hatten.
Warst Du komplett allein oder gab es auch andere Fotojournalisten?
Weil die Gegend zu der Zeit ständig als Sondermeldung in den Nachrichten durchlief, war ich umgeben von vielen anderen Fotojournalisten. Auch deshalb, weil Suruc der einzige Ort war, von dem aus wir die IS-Attacken auf eine Stadt sehen konnten, die zeitgleich von den alliierten Kräften bombardiert wurde.
Da ich aber kein Nachrichten-Fotograf bin und entsprechend nicht nach spektakulären Aufnahmen von Raketen-Explosionen suchte, fuhr ich durch die Dörfer und dokumentierte das Leben der Flüchtlinge. Ab und zu ging ich dann zu den Stellen, von denen die Leute den Krieg in Kobane sehen konnten.
Wie bist Du mit all dem Leid umgegangen?
Keine Ahnung. Das passiert auf eine Weise, die ich nicht kontrollieren kann. Ich versuche aber auch nicht, meine Emotionen irgendwie zu beeinflussen, sondern mich von ihnen leiten zu lassen. Ich erinnere mich aber noch an meine Trauer. Alle waren traurig, denn wir sahen Menschen, die ihr Zuhause verlassen hatten, um in einem fremden Land ohne Nahrungsmittel schutzlos zu überleben.
Hat Dich das an den Kosovo-Krieg ’99 erinnert?
Ja, absolut. All die Familien zu sehen, die ums Überleben kämpften, versetzte mich nochmal in der Zeit zurück.
Wie haben die Menschen in Deiner Heimat auf die Reportage aus Suruc reagiert?
Die Kosovaren haben positiv reagiert – und die meisten meiner Freunde und Kollegen waren sehr glücklich darüber, dass ich auch außerhalb arbeiten konnte.
Was motiviert Dich eigentlich dazu, Orte wie Suruc aufzusuchen?
Meine persönliche Hingabe an die Dokumentation menschlichen Leidens, das durch die Dummheit von Kriegen verursacht wird. Ich habe vor langer Zeit einer sehr wertvollen Person (die mir auch meine allererste Kamera gab) ein Versprechen gegeben.
Was erhoffst Du Dir von Deiner fotojournalistischen Arbeit?
Ich hoffe, dass ich in den nächsten Jahren weiter so arbeiten kann. Es ist ja bekannt, dass der Fotojournalismus in einer schwierigen Übergangsphase ist. Nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch bezogen auf Sicherheit. Menschen reagieren mittlerweile nicht mehr so positiv auf Fotografen wie noch vor einigen Jahren.
Planst Du, weiterhin über den IS zu berichten?
Das würde ich gern, aber nicht so direkt. Ich bin nicht unmittelbar an Konflikten interessiert und bestimmt nicht an denen mit dem IS. Wie vorhin schon erwähnt, möchte ich eher die zerstörerischen Resultate von Kriegen zeigen.
Immer, wenn ich an solche Orten bin, erinnere ich mich daran, wie wichtig es war, dass damals der Kosovo-Krieg dokumentiert wurde, sodass er niemals vergessen wird.
Vielen Dank für Deine Zeit, Ferdi!
Dieses Interview wurde von Martin Gommel auf Englisch geführt und anschließend von ihm für Euch ins Deutsche übersetzt.