01. Mai 2015 Lesezeit: ~9 Minuten

Über Crowdfunding und Blitzgeschichten

Wie funktioniert Crowdfunding bei Fotoprojekten? Das Kalenderprojekt „Blitzgeschichten“ macht es vor!

So heißt das Kalenderprojekt der drei Fotografen Meike Willner, Philipp Niggemeier und Ansgar Dlugos. Ihr Ziel ist es, die großen Zeiten des Ruhrgebiets in Bildern aufleben zu lassen. Die Vision der geplanten Fotokonzepte könnte man so beschreiben: Ruhrgebiets-Alltagszenen werden in der Stadt Bochum inszeniert. Dabei taucht neben dem „Ruhrgebiets-Alltagscharme“ als kleine Besonderheit auch auf jedem Bild ein Opelmodell auf.

Das Einzige, was noch fehlt, ist das nötige Geld, um die Fotos zu produzieren und den Kalender zu drucken. Deswegen suchen die drei über Crowdfunding Unterstützung.

Gruppenbild

Was ist Crowdfunding?

Crowdfunding bedeutet das Sammeln von Geld für ein bestimmtes Projekt. Dabei sollte man aber nicht an eine Spendensammlung denken. Es geht viel mehr um die Suche nach Investoren, die das Projekt vorfinanzieren. Für den Initiator geht es dabei nicht nur darum, ob das Projekt zustande kommt, sondern es geht auch um Risikominimierung. Wer vorab die Nachfrage klärt, hat ein geringeres Risiko, diese falsch einzuschätzen.

Crowdfunding ermöglicht dem Künstler, der Welt folgende Frage zu stellen: „Wir produzieren einen Kalender, wer will einen haben?“ Durch die Antwort entscheidet sich, ob sich die Produktion lohnt, wie viele Kalender produziert werden können und was den zukünftigen Käufern des Kalenders wichtig ist. Der Vorteil ist klar: Der Fotograf muss nicht das Risiko eingehen, den Kalender auf eigene Kosten zu produzieren.

Plattformen wie Kickstarter, Startnext oder Visionbakery ermöglichen die praktische Abwicklung des Crowdfundings. Dort werden Menschen mit Ideen mit potentiellen Unterstützern zusammengebracht. Einige Fotografen konnten dort schon Fotoprojekte umsetzen. Beispiele für erfolgreiche Crowdfunding-Projekte sind etwa die Bildbände „Geschichten einer Wand“ von Corvin Kuhwede und „Soviet Bus Stops“ von Christopher Herwig.

Was passiert, wenn eine Crowdfunding-Summe nicht erreicht wird?

Dann erhalten die Unterstützer ihr Geld zurück bzw. die Gelder werden gar nicht erst eingezogen. Das ist der Haken an der Sache: Wenn die angestrebte Summe nicht zustande kommt, geht der Initiator leer aus. Es gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip.

Wer eine Crowdfunding-Kampagne startet, der muss Zeit und Geld investieren. Ist das Projekt nicht erfolgreich, dann war alles für die Katz. Das kann für die Initiatoren auch eine stigmatisierende Wirkung haben. Deswegen sollte man sich die Summe, die man braucht, gut überlegen.

Wichtig ist auch, wann man das Projekt startet. Die Crowdfunding-Aktion läuft nur eine gewisse Zeit, meistens 60 Tage. Deswegen sollte man darauf achten, die Kampagne zum Beispiel nicht gerade in den Sommerferien zu starten, wenn viele verreist sind.

Es beginnt mit einer Idee

Um Menschen für ein Projekt zu begeistern, braucht man zunächst eine Idee. Die Idee hinter dem Kalenderprojekt „Blitzgeschichten“ entstand durch die Liebe der Fotografen zum Ruhrgebiet: Dort findet seit Jahren ein starker gesellschaftlicher Wandel statt. Große Firmen und Industriekultur prägten die Gegend, aber viele Firmen wandern ab. So auch der Konzern Opel, der 52 Jahre lang in Bochum produziert hat und nun das Werk dort geschlossen hat.

Für die drei Fotografen der Blitzgeschichten steht fest: Opel gehört zur Geschichte von Bochum und auch zum Ruhrgebiet. Die Opelmodelle sind ein Zeichen des aktuellen Wandels. Ein Autokalender wird Blitzgeschichten deswegen nicht, denn die Menschen und ihre Geschichten stehen im Mittelpunkt des Projekts.

Ein Kran reißt ein Gebäude ab.

Machen wir ein Projekt als Hommage an das Ruhrgebiet. Bei der Grundsanierung, die im Ruhrgebiet aktuell stattfindet, wollen wir durch die Fotos die noch bestehende „Patina“ konservieren, ehe sie ganz verschwindet. Opel ist dabei als Zeichen für den Strukturwandel zu sehen.

So beschreibt Ansgar die Idee für die Blitzgeschichten. Bei der Frage, die ich nach den Einflüssen für die geplanten Fotos stelle, fällt der Name Gregory Crewdson. Innerlich jubele ich, denn der amerikanische Fotograf, der als Meister für aufwändig inszenierten Fotos gilt, hat eine wunderbare Bildsprache.

So etwas gibt es in Deutschland noch nicht und es passt auf die Situation des Ruhrgebiets. Die Bilder werden Geschichten erzählen. Geschichten, die einen Funken „Mystery“ enthalten und bei denen ein kleiner Teil offen bleibt.

Dann braucht man eine „Kostprobe“

Eine Kostprobe vom Endprodukt ist wichtig. Nur so kann die Vision des Crowdfunding-Projekts potentiellen Unterstützern gezeigt werden. Ein Appetithäppchen, das Lust auf mehr macht. Am besten ist dafür ein Video geeignet, in dem die Initiatoren ihre Idee erklären und das Team vorstellen. Bei Fotoprojekten können sogar erste Bilder gezeigt werden. Blitzgeschichten zeigt bis jetzt nur ein Bild, das Motiv für den Januar.

Blitzgeschichten Kalender Projekt - Januar

Reicht ein Foto, um eine solches Projekt zu stemmen?

Bei vielen anderen Crowdfunding-Projekten weiß der Unterstützer genau, was er bekommt. Beim Projekt „Blitzgeschichten“ müssen die Fotos erst noch produziert werden, das könnte Unterstützer möglicherweise verschrecken.

Meiner Meinung nach reicht ein aussagekräftiges Foto aus, um zu überzeugen. Das liefert das Team der Blitzgeschichten bereits. Außerdem sind die Fotografen keine Unbekannten: Meike Willer ist Preisträgerin des Canon Profifoto Förderpreises 2013. Das gleiche gilt für Philipp Niggemeier, der den Preis im Jahr 2015 erhalten hat.

Auch Ansgar Dlugos ist preisgekrönt: Er hat neben dem Jugendfotopreis 2010 auch zweimal den Canon Profifoto Förderpreis verliehen bekommen (2012 und 2015). Das Projekt hat außerdem bekannte Unterstützer. Im Crowdfunding-Video haben unter anderem der Schauspieler Ralf Richter und der Komiker Hennes Bender Auftritte.

Das alles schafft Vertrauen und Vertrauen ist bei einem Crowdfunding-Projekt das A und O. Jeder, der ein Projekt starten möchte, braucht Folgendes: Eine Kostprobe, eine aussagekräftige Teamvorstellung und vertrauenswürdige Unterstützer. Das funktioniert!

Verlockende Dankeschön-Optionen

Bei einer Crowdfunding-Aktion erhalten die Unterstützer ein Dankeschön für ihre Hilfe. Was sollte man als Dankeschön anbieten? Wichtig ist, dass ein direkter Bezug zum Projekt besteht. Ein Fotograf könnte auch eine Fotosession als Dankeschön anbieten. Wenn er das macht, untergräbt er aber den Projektgedanken, denn sein Ziel ist es, das Kampagnenprodukt zu bewerben.

Je nach gespendeter Summe kann dieses Dankeschön kleiner oder größer ausfallen. Bei Blitzgeschichten erhält man zum Beispiel für 20 € einen Kalender.

Die Belohnungen sind bewusst „schlank“ gehalten, da wir uns auf den Kalender konzentrieren wollen. Als Zugeständnis bieten wir noch Fine-Art-Drucke der Motive an. Wer etwa ein Café hat und sich die Fotos aufhängen möchte, der erhält so die Möglichkeit, auch einzelne Drucke zu erwerben.

Bei Blitzgeschichten können Firmen ihr Logo am Ende des Kalenders verewigen. Diese „Werbung“ ist auch bei andern Crowdfunding-Projekten üblich. Im Bildband von Corvin Kuhwede trat zum Beispiel eine Anwaltskanzlei als „Platin-Sponsor“ auf, die am Ende des Buches genannt wurde.

Crowdfunding = Networking

„Crowdfunding besteht aus Networking, solange es kein Selbstläufer ist“, sagte Meike. Es reicht nicht aus, nur auf Facebook und Twitter aktiv zu sein: Am besten ist es, persönliche Unterstützung von Fürsprechern zu bekommen.

Wie gewinnt man aber prominente Fürsprecher für ein Projekt? Im Fall von Blitzgeschichten war es unter anderem das persönliche Engagement des Blitzgeschichten-Teams, das zu den vielen Unterstützern geführt hat. Ralf Richter konnte wie folgt gewonnen werden: Nach einer Lesung wurde der Schauspieler vom Blitzgeschichten-Team angesprochen. Richter hatte selber gerade ein laufendes Crowdfunding-Projekt und deswegen Verständnis für das Anliegen. Durch das Gespräch konnte er überzeugt werden, im Video mitzuspielen.

Fazit

Crowdfunding ist eine gute Möglichkeit, um Projekte zu verwirklichen, die unkonventionell sind. Auch Kunstprojekte können so ins Leben gerufen werden. Der Erfolg eines Projekts hängt stark davon ab, wie die Idee präsentiert wird. Künstler können mit Crowdfunding den „Markt testen“ und herauszufinden, ob sich die Umsetzung eines Projektes lohnt.

Wenn ein Crowdfunding-Projekt nicht zustande kommt, sollte man sich das als Künstler nicht zu Herzen nehmen. Oft liegt es nicht an der Idee, sondern daran, ob die Idee den Massengeschmack trifft. Nur dann wird das Projekt auch von Multiplikatoren verbreitet. Ein Scheitern sollte unbedingt als Chance gesehen werden: Man sollte Produkt und Marketing überdenken und sich eine andere Finanzierungsmöglichkeit überlegen.

Das Projekt Blitzgeschichten steht und fällt mit der Crowdfunding-Aktion. Ich hoffe sehr, dass es Erfolg hat und die nötige Summe für die Produktion der Kalender zusammenkommt. Einen Kunstkalender, der den Wandel des Ruhrgebiets einfängt, hätte ich gern an meiner Wand hängen.

8 Kommentare

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  1. ich würde gerne mal jemanden hören, der eine crowdfunding aktion erfolgreich abgeschlossen hat. mir hat jemand erzählt, das sei mehr arbeit als nach was es aussieht, weil viele der unterstützer dann persönlich betreut werden wollen – und wenn sie nur eiin paar emails mit fragen stellen, bei der menge summiert sich die arbeit.
    viel erfolg nach bochum!

    • Hallo Julia,
      das Unterstützer nicht nur umworben, sondern auch informiert werden wollen, ist ein guter Punk.
      Ich denke das Betreuungsbedürfnis der Supporter hängt auch stark davon ab, um was für ein Projekt es sich handelt. Also wie viel Geldmittel benötigt werden und was damit umgesetzt werden soll. Wenn das Projekt klar beschrieben ist, denke ich, dass man den „Betreuungsaufwand“ minimieren kann.
      Beste Grüße

    • @Julia:

      Als Mit-Gründer des Fotografie-Kollektivs http://www.copenhagenformat.dk habe ich gerade eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne hinter mir, die ich für ein Projekt unseres Kollektivs gestartet habe.

      Den Link dazu findest du hier: https://www.kickstarter.com/projects/maltebrandenburg/homeless-gallery

      Meiner Erfahrung nach steckt da eine ganze Menge Arbeit drin, wenn man es richtig machen und somit die Chancen auf Erfolg erhöhen möchte. Das fängt mit der Planung der Kampagne an, geht über die Beschreibung und den „sales pitch“, weiter zum regelmässigen steuern der Kampagne währen der Laufzeit und schliesslich zum ganzen follow-up.

      Auf den Punkt gebracht: ja die (potentiziellen) Unterstützer benötigen sehr viel Zuwendung. Ein grosser Unterschied ist auch der Inhalt der Kampagne. Kunstprojekte sind generell schwieriger, da der unmittelbare Nutzen/Zweck nicht gleich immer sofort erkennbar ist bzw. für Laien zu verstehen ist. Projekte die z.B. die Produktion eines Armbands für die Apple Watch zum Zweck haben sind da klar im Vorteil.

      Aber mit der richtigen Vorbereitung und einer guten Kampagnen-Strategie die auch den Offline-Bereich nicht vergisst, sollte auch ein Kunstprojekt Erfolg haben.

    • Hallo Julia,

      hier ist Meike, eine der drei Projektinitiatoren von Blitzgeschichten.
      Wie schon die anderen User erwähnt haben, ist die Betreuung eines Crowdfunding-Projekts schon zeitintensiv – das sollte man, wenn man „nebenbei“ noch seine Aufträge zum regulären Broterwerb abarbeiten muss, nicht unterschätzen.

      Bei uns fing es mit der Idee im Oktober an, letztendlich starteten wir in der ersten Aprilwoche mit den ersten Schritten auf Startnext. Zwischen November und dem 1. März haben wir wöchentlich ca. 20 Stunden in die Vorbereitung und Recherche, die Kostenkalkulation und Vorausplanung investieren müssen. Ab dem 1. März steigerte sich das Arbeitspensum nochmals, da gab es zwischendurch 8-Stunden Schichten, die wir „nebenher“ noch für Blitzgeschichten einschieben mussten. Kurz vor dem Start gab es dann nochmals einige Nachtschichten – Homepage-Realisation, Filmen, Videoschnitt für das ganze Videomaterial, das noch nicht hochgeladen ist waren nur die Spitze des Eisbergs.

      Jetzt sind wir vorallem mit der Bespielung von unserem Blog, Facebook und Twitter beschäftigt- und die User wollen betreut und „unterhalten“ werden. Uns erreichen auch regelmäßig Mails über die Homepage, in denen die Frage gestellt wird, wie man bei Startnext denn nun eigentlich bestellt.
      Daneben kommen natürlich auch die Kommentare diverser Internetuser, die es besser wissen, wie man was wo besser machen soll. Auch diese Anfragen muss man ernst nehmen und beantworten.
      Nebenher kommen Medienanfragen rein- darunter eine, ob wir nicht doch fürs Fernsehn während der Fundingphase ein zweites Shooting organisieren und finanzieren können.
      Also es ist immer etwas zu tun- wenn nicht die Online-Betreuung ansteht, dann die Sponsoringsuche und Interviews (on- und offline). Derzeit beläuft sich der Arbeitsaufwand pro Kopf und Tag geschätzt zwischen 2 und 4 Stunden.

      Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir zusammen ein offizielles Team bilden und im Vorhinein die Arbeitsaufteilung fest untereinander aufgeteilt haben. In relevanten Dingen, die Öffentlichkeitsarbeit angehen, halten wir direkt Absprache und planen keine Alleingänge.
      Dass viel der sonstigen „Freizeit“ von uns für Blitzgeschichten drauf geht, stört uns nicht- wir hatten schon vorher immer gemeinsam eine gute (Frei-)Zeit und freuen uns nun, diese auch mal mit einem gemeinsamen Projekt zusammen auszufüllen.

      Ich danke für den gewünschten Erfolg – auch im Namen von Ansgar und Phil

      Liebe Grüße
      Meike

  2. Blogartikel dazu: Blitzgeschichten: Der Kunst-Kalender 2016 | Portrait Foto Kunst

  3. Blogartikel dazu: 3 Tipps Patreon als Finanzierungstool zum Crowdfunding [Fotominuten #035] | Portrait Foto Kunst

  4. Blogartikel dazu: 6 Methoden zur Finanzierung von Internetprojekten | Portrait Foto Kunst