Grenzen überwinden
Anfang diesen Jahres stand ich vor einer großen Frage, die mich nach wie vor sehr bewegt und beschäftigt: Wie kann man Vorurteile, Sorgen und Ängste gegenüber Flüchtlingen ausräumen und für eine bessere Willkommenskultur auf beiden Seiten sorgen?
Meine Schwester wurde im Herbst letzten Jahres von einem Flüchtling in Baden-Baden angesprochen und gefragt, ob sie ihm Deutsch beibringen könne. Als ich dies erfahren hatte, bat ich die beiden, einmal dabei sein zu dürfen, wenn sie sich treffen.
Ich fragte ihn, ob er mir seine Geschichte, warum er geflohen war, erzählen möchte und ob ich ihn fotografieren dürfe. Buba aus Gambia war einverstanden und freute sich sichtlich mit einem kleinen Funken Stolz, dass sich jemand für ihn und seine Geschichte interessiert.
Das war scheinbar das erste Mal. Einerseits war ich sehr aufgeregt und andererseits freute ich mich sehr über seine Bereitschaft, sich zu öffnen.
Apropos öffnen: Mir öffnete sich dadurch eine vollkommen neue Welt. Ja, ich gebe zu, auch ich hatte gewisse Vorurteile vor dem ersten Besuch im Flüchtlingsheim: Muss ich vielleicht besonders auf meine Kamera-Ausrüstung achten (Stichwort Diebstahl)? Werde ich vielleicht angefeindet, weil ich weiß bin? Könnte es vielleicht sogar gefährlich werden, wenn ich an die falschen Leute gerate?
Diese Sorgen zerstreuten sich ziemlich schnell, nachdem ich auf die Menschen dort zuging und sie mir einen mehr als herzlichen Empfang bereiteten. Ganz spontan und doch mit einer herzerweichenden Selbstverständlichkeit.
Aus diesem ersten Kontakt ist mittlerweile eine Freundschaft entstanden. Ich bin unglaublich froh, dass ich damals diesen Schritt gewagt habe und dadurch meine Vorurteile ablegen konnte. Seitdem hat sich einiges in meiner Sichtweise geändert und ich bin vor allem eins geworden:
Dankbar. Dankbar für alles, was ich habe und was ich geben kann. Leute, das ist nicht selbstverständlich. Macht Euch das klar!
Aus dieser Freundschaft heraus entstand der eingangs genannte Wunsch, Vorurteile gegenüber Flüchtlingen abzubauen und Menschen zusammen zu bringen. Ganz, wie es mir vergönnt war.
Ein Plan
Zurück zum Anfang des Jahres 2015. Da stand ich nun mit meiner eingangs beschriebenen Frage. Mittlerweile hatte ich schon etwas Erfahrung in der Fotografie von Flüchtlingen.
Wir veranstalteten eine spontane Fotosession (ich schreibe bewusst nicht Shooting, früher hätte ich mir keine Gedanken über diesen Begriff gemacht) an der Hauswand des Flüchtlingsheims. Die Bewohner hatten sichtlich Spaß, ihren Alltag kurz zu vergessen und vor der Kamera herumzualbern.
Mir wurde schnell klar: Es bringt nichts, diese Menschen wie rohe Eier zu behandeln. Ja, man sollte schon etwas behutsam vorgehen und akzeptieren, wenn jemand nicht mitmachen möchte. Aber letztendlich ist es wie überall auf der Welt: Schenke ein Lächeln und das Eis ist meist gebrochen.
Spätestens dann wusste ich: Die für mich (mit meinen Mitteln und meinen Fähigkeiten) sinnvollste Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen und zu helfen, Vorurteile abzubauen, führt für mich über die Fotografie.
Also Stefan, es wird ein Fotoprojekt. Auf einem Bild, so war mein Plan, sollte jeweils ein Flüchtling und eine Person, die hier wohnt, zu sehen sein. Der Clou: Das Bild ist in der Mitte geteilt.
Auf der einen Seite der Flüchtling und auf der anderen Seite ein Einheimischer. Beide zusammen ergeben ein gemeinsames, neues Gesicht. Bei meinen ersten Versuchen im Wohnzimmer mit Buba aus dem Flüchtlingsheim und mir war ich selbst erstaunt, wie gut wir beide zusammen passen.
Mit diesem ersten Bild wurde mir dann schlagartig klar, was schon längere Zeit in mir schlummerte: Eigentlich sind wir gar nicht so verschieden – ganz egal wo wir herkommen, an welchen Gott wir glauben oder welche Hautfarbe wir haben.
Wir hatten also sichtbar eine Grenze überwunden. Dies war dann auch der Name für mein Projekt: Grenzen überwinden.
Für mich spielt der Projektname nicht nur auf visueller Ebene eine große Rolle, sondern auch im übertragenen Sinne: Die Flüchtlinge haben einige Hürden und Grenzen überwinden müssen, um hier bei uns sein zu können.
Es wäre doch schade und bitter, wenn sie dann an künstlichen Grenzen unserer Gesellschaft, die wir bewusst und unbewusst in unseren Köpfen haben, scheitern würden. Und genau diese Grenzen gilt es, zu überwinden – nicht nur auf den Bildern, sondern auch in unseren Herzen.
Die Technik
Viele Fotografen betreiben gern eine gewisse Geheimniskrämerei um ihr Setup. Da es aber gerade Einsteiger interessiert (so war es bei mir) und wir hier bei kwerfeldein sind, lüfte ich das große Geheimnis um eines der wohl kompliziertesten Lichtsetups, das je von einem Fotografen erdacht worden ist.
Nein, Quatsch! Das Schöne ist: Der technische Aufbau, wenn man überhaupt davon sprechen kann, ist recht simpel.
Vor einem schwarzen Falthintergrund (sicher ist sicher) sitzt die Person bequem auf einem Stuhl. Der Abstand zwischen Hintergrund und Person ist so gewählt, dass möglichst kein Licht dort ankommt, damit der Hintergrund auch schwarz ist. Googelt mal „inverse square law“ oder besucht den Strobisten.
Direkt neben der Person ist in geringem Abstand ein portables Studio-Licht mit einer Softbox (Octabox mit Wabe) positioniert. Die Wabe benutze ich, damit der Hintergrund möglichst kein Licht abbekommt, falls ich doch mal etwas weniger Platz habe.
Außerdem benötige ich ja effektiv nur eine belichtete Gesichtshälfte pro Person. Das Licht muss sich also nicht um das ganze Gesicht wickeln.
Aufgenommen werden die Bilder mit einer Spiegelreflex-Kamera mit Kleinbildsensor und einer Festbrennweite von 85 mm. Die Verschlusszeit wähle ich so, dass mir kein Umgebungslicht in die Aufnahme pfuscht (Achtung, Blitzsynchronzeit beachten!) und die Blende ist meist bei f/8.0.
Die Blitzstärke weiß ich nicht auswendig, aber falls es Euch interessiert, könnt Ihr auch gern einmal beim Fotografieren vorbei schauen. Vielleicht lernt Ihr einen netten Flüchtling kennen und geht dann mal zusammen einen Kaffee trinken – außerdem entsteht dann ein weiteres schönes Bild für mein Projekt.
Nachdem ich die Bilder in Lightroom importiert habe, übergebe ich sie ohne große Änderungen (bei einigen Bildern musste ich den Weißabgleich anpassen, Auto-WA is a bitch) an Photoshop.
Mir ist wichtig, dass die Bilder authentisch sind, es wird also nichts retuschiert. Eines der beiden Portraits wird gespiegelt und jeweils der dunklen Teil des Gesichts ausgeblendet. Unten platziere ich noch den Projekt-Schriftzug „GRENZEN ÜBERWINDEN“ und das war auch schon der ganze Zauber.
Eine Tour
Eines Abends saß ich mit meinem besten Freund bei einem Bier zusammen und erzählte ihm von meinem Projekt. Er war es dann, der mir anbot, einen gemeinsamen Roadtrip durch Deutschland zu machen, um für das Projekt zu fotografieren.
So könnten wir unsere über ganz Deutschland verstreuten Freunde besuchen, endlich mal wieder einen gemeinsamen Urlaub zusammen machen und ihn auch noch mit etwas Sinnvollem verbinden.
Gesagt – getan. Während Ihr diese Zeilen lest, befinden wir uns auf unserer knapp zweiwöchigen Tour und je nachdem, wo Ihr wohnt, könnt Ihr auch gern vorbeischauen und/oder uns unterstützen.
Ein Fazit
Bei meinem Projekt geht es mir nicht um das letzte Quäntchen an technischer Perfektion. Wenn man sich die Bilder unter der Lupe anschaut, passen sie auch nicht immer zu 100%. Aber darum geht es mir nicht.
Ja, ich gebe mir schon Mühe, aber was zählt, ist die Idee! Ich bin schon ein bisschen stolz, dass innerhalb recht kurzer Zeit (für meine Verhältnisse) ziemlich viele Menschen meine Idee gut finden und mitmachen oder mithelfen wollen.
Vor Kurzem erreichte mich eine Nachricht, in der mir zu meiner tollen Kampagne gratuliert wurde. Halt, Moment! Kampagne? Ja, klar komme ich aus der Werbeecke, aber es geht ja nicht darum, einen Pitch zu gewinnen… Dann wurde mir klar, dass es mittlerweile mehr als nur ein Fotoprojekt geworden ist. Es ist eine Lebenseinstellung.