Josephine Cardin schaut nicht nach etwas Bestimmtem, wenn sie fotografiert, sondern sie sieht etwas an. Einen Mensch, eine Szene, ein Gebäude. Sie möchte die Essenz aufnehmen, die Emotion und Seele dessen, was vor ihrer Linse steht.
Ob sie das in ihrem Sinne schafft oder diesen Wunsch weiterhin als erstrebenswertes Ziel vor sich herträgt, mag ich nicht beurteilen. Aber die aktuellen inszenierten Portraitprojekte, die ihr Studio verlassen, fügen in meinen Augen der Landschaft des Genres eine angenehme Nuance hinzu.
Ihre Werke sind in Serien angelegt, die jeweils in sich geschlossen funktionieren. Jede eigene hat eine ganz persönliche und einheitliche Farb- und Stimmungswelt, mal schwarzweiß, mal in Farbe. Die Bildfolgen funktionieren assoziativ-narrativ. Das ist ein Konzept, das meiner eigenen Herangehensweise sehr nahe ist, denn die Form öffnet das Werk vom Zwang, in einem Bild alles zu sagen hin zu einer Palette von Aspekten einer Situation oder Geschichte.
Besonders spannend – wenn auch vielleicht nicht bahnbrechend neu – finde ich in diesem Gesamtpaket ihre Bearbeitungen, die neben Texturen auch oft zum Teil undeutliche und verschwommene Mehrfachbelichtungen einsetzen, sodass die Protagonisten auf den Bildern immer wieder mit sich selbst in Dialog treten.
Wenn Josephine mit einem Modell an einer neuen Serie arbeitet, hat sie noch keine Erzählung im Kopf, es gibt vielleicht nur eine Idee. Es geht ihr erst einmal nur darum, tieferliegende Gefühle aus dem Gegenüber an die Oberfläche zu bringen. Davon abhängig, was in diesem Rahmen passiert, entwickelt sich ihre Vorstellung von dem, was die Bilder einmal werden.
Auch die Liebe für die analoge Fotografie sieht man Josephines Fine-Art-Arbeiten deutlich an. Das passiert nicht einmal absichtlich, aber wenn sie experimentierfreudig ihr digitales Material aufeinander stapelt und ineinander blendet, kommt doch immer wieder so etwas ähnliches wie ein Film-Look dabei heraus.
Zum Teil arbeitet Josephine Cardin mit Modellen, zum anderen Teil mit sich selbst vor der Kamera, wobei sie das eher als Performance-Kunst denn als Bilder von sich selbst bezeichnet. In dieser Doppelrolle entwickelt sie auch einen stärkeren erzählerischen Ausdruck, da sie nicht auf jemand anderen reagieren oder eine schemenhafte Idee in Worte fassen muss, um sie zu bearbeiten.
Josephine ist ursprünglich Balletttänzerin und hat außerdem einen Bachelor in Kunstgeschichte sowie einen Master in internationaler Kommunikaion. Tänzerische Körperbewegungen und Motive tauchen in ihrem fotografischen Werk daher immer wieder auf und sie bearbeitet unter anderem auch Foto-Aufträge für Ballett-Ensembles.
Ihre Arbeiten könnt Ihr auf ihrer Webseite, Behance oder auch Facebook verfolgen.