Vom Davonfliegen und Zweifeln
Ich war noch nie vom Typ Künstler, der viel skizziert hat und wenn ich überhaupt mal etwas skizziere, dann eigentlich nur, weil meine Vorstellungskraft nicht ausreicht, es mir gedanklich auszumalen. Und wenn Skizze, dann ist das bitte auch die direkte Vorstufe zu einem Endprodukt.
Ich experimentiere nicht so viel, nehme nur selten einfach mal so die Kamera in die Hand. Was andere tun, indem sie skizzieren und experimentieren, läuft bei mir im Kopf ab. Ideen kommen, wollen Aufmerksamkeit in Form von Ausarbeitung und Konzeptfindung. Ich überlege mir genau, wie alles aussehen und funktionieren soll, bevor ich einen Finger dafür krumm mache.
Dementsprechend habe ich das letzte Jahr, in dem es irgendwie immer zu wenig Zeit zum Fotografieren gab, nicht mit vielen kleinen Versuchen gefüllt, die mich auf dem Weg der Stilfindung voranbringen könnten, sondern mit Nachdenken. Was möchte ich fotografieren, was sollen meine Bilder transportieren und vor allem welche formalen Rahmenbedingungen verwende ich?
Die Antworten auf diese Fragen: Ich möchte weiterhin Portraits in oder mit Natur machen, aber ihr Konzept soll weniger austauschbar sein als bisher, also nicht nur wechselnde Gesichter in wechselnden Gebüschen, festgehalten in den altbewährten Bildschnitten. Aber weiterhin Offenblende und mittlere Festbrennweiten.
Die Stimmung gern düster, seltsam, surreal, aber bitte nicht offensichtlich in den bekannten Schubladen wie etwa Gothic, verletzliches Mädchen in Wald und Wind oder „Conceptual“ mit irgendwelchen schwebenden Gegenständen, wahlweise der Protagonistin. Eher fantastisch, mit der Andeutung einer eigenen Welt. Skizzen von Träumen der letzten Nacht, die nur noch halb fassbar sind.
Diese Wirkung möchte ich mit Effekten unterstreichen, die sich gern an allen verfügbaren Möglichkeiten bedienen: Linseneffekte, Spiegelungen, Entwicklungsfehler, analoge oder digitale Mehrfachbelichtungen, Collagen, gezeichnete Elemente, Animation. Mein Kopf sprudelt ohnehin über, wenn ich diese Büchse nur einmal öffne.
Ich merkte, es ist gar nicht so leicht, Rahmenbedingungen für meine Bilder festzulegen, wenn der Prozess der Stilfindung im Wesentlichen darin besteht, alle anderen Fotos auf der Welt in die Kategorien „Finde ich blöd“, „Finde ich toll, macht aber schon jemand anders“ und „Falsches Genre“ einzuordnen.
Am Ende inspirieren mich ja zum größten Teil doch die Bilder aus der zweiten Kategorie. Es gilt also, diese in ihre Bestandteile zu zerlegen und die Stückchen von verschiedenen Urhebern zu meinen eigenen Präferenzen neu zusammenzusetzen. Ohne aber in das Fettnäpfchen zu treten, dass schon jemand in etwa diese Kombination bedient.
Anfang März hatte ich dann die nötige Motivation, viele Pläne, ein vielversprechendes Modell sowie Katja als Assistentin beisammen. Ich sammelte Stöcker im Wald, baute daraus Papierflügel sowie einen etwas seltsamen Schild. Letzteres für meine Bilder, erstere eigentlich nur für Katjas Bilder, weil mir Flügel schon zu oft gebraucht wurden. Jeder kennt Fotos mit Flügeln.
Vor Ort musste ich aber feststellen, was ich nicht gut kann, egal wie viele Gedanken ich mir mache: Meine Pläne auch konsequent umsetzen, selbst wenn sie vielleicht die Modelle auch mal an ihre Grenzen bringen. Ich lege sogar Ideen vorauseilend ad acta, selbst wenn zum Beispiel noch niemand über die Kälte gejammert hat.
So gibt es lediglich einen Hauch von Seltsamkeit, die üblichen Gesichtsausdrücke und drei von vier Kameras sind die ganze Zeit über im Rucksack geblieben. Kein Kurzfilm, keine Polaroids, kein digitales Material für experimentelle Collagen. Kaum Mehrwert zu den bekannten verträumten Portraits in der Natur.
Das ärgert mich und vergällt mir die fertigen Bilder, obwohl sie – mit abgehakter Checkliste betrachtet – schon ein ganzes Stück weiter an meinem definierten Ziel liegen als die älteren Serien. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass sie ein legitimer Schritt auf einem Weg sind, den ich nicht mit einem großen Sprung gehen kann, weil er zu weit ist.
Ich überlege mir also, wie ich die nächste Etappe zurücklegen kann und nehme mir ein paar Dinge vor: Das nächste Modell mit dem Ziel suchen, zu experimentieren, Material für Versuche zu sammeln und keine gefälligen Bilder versprechen. Die Effekte, die erst hinterher dazu kommen können, gezielt mitdenken, ihnen beim Komponieren Raum geben.
Zum Fotografieren eine genaue Liste machen: Mit welcher Kamera und ggf. welchem Film möchte ich arbeiten? Welche Accessoires und welche Kleidung werden dabei eingesetzt? Welchen Ablauf gebe ich dem Modell für die Szene vor und welchen Anteil fremder Ideen erwarte ich? Welche Effekte kommen hinterher dazu? An eine vollkommen freie Session denken, um Material für offene Experimente zu sammeln.
Planen ist ja meine Stärke, wie gesagt. Solche Listen erstellen kann ich im Schlaf. Aber die Umsetzung wird jetzt wieder spannend. Vielleicht scheitere ich an einem anderen psychischen Stolperstein, der mich davon abhält. Solange denke ich weiter nach, statt Skizzen zu machen.
Dieses „einen Plan im Kopf haben und ihn letzendlich, aus welchen Gründen auch immer, nicht umsetzen“ kenne ich auch. Und genau wie du ärgere ich mich jedes Mal darüber. Denn es liegt ja allein an mir, dass was ich wollte, auch zu machen. Ich weiss auch genau, wo meine Schwierigkeiten liegen, zumindest wenn ich mit Modellen arbeite. Ich hab ein Problem damit, meine Modelle so zu instruieren, dass am Ende alles passt. Gerade wenn es über die “ Mensch im Gebüsch-Bilder“ hinaus geht und auch mal etwas verrückt und nicht auf den ersten Blick offensichtlich anmutet. Im Endeffekt inszeniere ich diese Bilder dann immer als Selbstportrait, denn mit mir selbst zu arbeiten fällt mir recht leicht.. auch wenns vom technischen Aufwand oft viel schwerer ist, da ich ja mehrere Dinge gleichzeitig machen muss.
Das ist zwar nicht die beste Lösung und hilft mir auch wenig bei meinem Problem, aber am Ende habe ich dann zumindest die Szene „im Kasten“ die ich im Kopf hatte. Für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, mutiger zu sein, meine Modelle mehr zu fordern, andere Sachen als Fotografin zu probieren, ohne das ich auch das Modell bin. Nicht mehr darüber nachzudenken ob das Model mich gerade für völlig verrückt hält, weil es etwas machen soll, was nicht „normal“ ist. Ich wünsche uns beiden und jede3m, dem es ähnlich geht, das wir mutiger werden, kosequenter werden. Machen was wir möchten.
Interessante Gedanken; die Lösung des Problems scheint mir darin zu liegen, das aufzugeben, was man anscheinend trotz planen und aufwendiger Konstruktionen nicht befriedigend hinbekommt. Mir fällt dazu ein abgewandelter Spruch des Zen-Buddhismus ein: „Suche nicht das Bild – das Bild kommt irgendwann zu Dir.“
Der Spass an der Photography geht ansonsten schnell verloren und das führt noch weiter weg vom Erstrebten.
Hallo Aileen
Du stachelst mich an, einen Kommentar zu verfassen. Ich nenne ihn:
„Vom Nachdenken und Skizzen machen oder schau die Blume am Wegrand“
So wie du es beschreibst, läuft es bei mir auch und manchmal verzweifle ich beinahe daran. Daran, an was? Ich verzweifle eigentlich an mir, an Charakterzügen, Erlerntem, Erlebtem, Bildern, Werten und Haltungen und an all dem, was mich als Mensch aus- und einzigartig macht.
Beim kritischen Durchschauen und Ausmisten meiner Fotos habe ich Ende des letzten Jahres festgestellt, dass meistens diejenigen Bilder auf der Festplatte bleiben, welche spontan und ungeplant entstanden sind. Bilder die ohne langem Nachdenken, Abwägen, Verwerfen und Gären entstanden sind. Ich staunte darüber nicht schlecht …
Diese Feststellung hat mich angeregt, auszuprobieren, das Ungeplante, Unvorhergesehene zum „Programm“ zu machen. Ich nenne es mein P&P – Projekt.
Das P&P-Projekt ist nur einige Monate alt. Ich kann noch nichts Schlüssiges darüber sagen. Dafür fehlen noch mehrere Erfahrungen. Fest steht bisher: Es fühlt sich gut an (mein Bauchgefühl dabei). Die Beschränkung auf das Handwerk mit der Kamera öffnet mir die Augen für die ‚Blume am Wegrand‘. Ich sehe nun plötzlich Dinge, welche ich früher bei Fotostrecken schlicht ausser acht gelassen habe (war ich zu fest auf meine Vorstellung fixiert?). Tja, es gibt mir auch eine Leichtigkeit, hällt mich in Spannung und macht Spass. Ob ein Bild entsteht oder nicht, entscheidet der Zufall – vielleicht fällt es mir auch einfach zu?
Und: Jedes Bild ist nun ein ‚Teamwork‘ von zwei ‚Handwerkern‘ die auf gleicher Augenhöhe und Hand in Hand arbeiten.
Herzliche Grüsse, Paul
Hier noch der Link: http://www.lichtbildwerker.ch/blog/projekte/
Hallo Aileen,
interessanter Artikel.
Jetzt muss ich aber doch mal fragen, was sind das denn für Fleckchen auf den Bildern? Sind das Blütenblätter? Sind die echt?
lg, Lena
Hallo Lena, das sind keine Blütenblätter, sondern digital draufgemalt. Aber schön, dass es „echt“ wirkt. ;)
ich glaube du stehst Dir selber im Weg und blickst zu sehr in eine Richtung.
Aber ich kenne Dich nicht, daher ist es nur meine Vermutung.
//Matz