Geisterstädte in Rumäniens Ruhrpott
Die Schuldenbremse bringt das Ende des Bergbaus und die Bukarester Mittelschicht feiert ihren Sieg über die Barbarei. Wie lebt es sich heute im verarmten Schiltal und wie könnte eine nachhaltige Alternative zum Bergbau in der betroffenen Region aussehen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine geplante multimediale Webdokumentation, die zur Zeit Unterstützer auf der Crowdfunding-Plattform Krautreporter sucht. Es soll eine detailreiche und ambitionierte Dokumentation aus Bild-, Video-, Ton- und Text-Material entstehen, die mit interaktiven Elementen wie Karten unterstützt wird – auf Rumänisch und Deutsch.
Die Autoren, Osteuropa-Korrespondent Silviu Mihai und Fotojournalist George „Poqe“ Popescu, unterhalten sich im Folgenden über den Hintergrund und die Schwierigkeiten ihres Projektes „Rumäniens Ruhrpott“, das Ihr mitfinanzieren könnt.
George: Silviu, Du wolltest schon immer zu den Bergarbeitern, woher kommt denn dieses Interesse?
Silviu: Das Projekt hat tatsächlich eine interessante Vorgeschichte. Zum ersten Mal war ich im Jahr 2010 bei den rumänischen Steinkohlebergarbeitern im Schiltal. Damals war der Plan, die letzten Minen zu schließen, noch nicht öffentlich. Doch die Wirtschaftskrise hatte in Rumänien mit voller Wucht zugeschlagen und es war klar, dass die damalige wirtschaftsliberale Regierung die Gelegenheit ausnutzt, um ihre neoliberale Agenda durchzusetzen.
Und im Schiltal wussten fast alle, dass sie die ersten Betroffenen sein werden, denn der staatliche Bergbau galt schon längst als „unheilbarer Patient“. Auch der Druck vom Internationalen Währungsfonds und von der EU-Kommission war groß. Und die Bukarester Eliten haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die Bergarbeiter hassen.
George: Haben Dich diese starken Gegensätze fasziniert?
Silviu: Ja, klar. Als ich dort vor Ort war, habe ich verstanden, dass es sich nicht nur um eine der üblichen Geschichten von Deindustrialisierung und Strukturwandel handelt, wie man sie überall in Europa – etwa im Ruhrgebiet schon vor 20 bis 30 Jahren – erlebt hat.
Nein, hier geht es um eine zentrale Machtelite, die eine ganze Region komplett aufgibt, teilweise aus wirtschaftlichen, vor allem aber aus politischen Gründen. Das Schiltal mit seinen Armen, seinen Slums, seinen Waldbeerensammlern passt nicht ins schöne Narrativ vom schnellen Fortschritt in Richtung Europa, das bei der Bukarester Mittelschicht so beliebt ist.
George: Auch menschlich, nicht nur politisch, ist das Schiltal eine ganz andere Welt. Wenn man aus Bukarest kommt und an die hiesigen Verhältnissen gewöhnt – oder besser: von ihnen verwöhnt – ist, dann fühlt man sich im Schiltal wie vom Mond gelandet. Die Geografie und die sagenhafte rumänische Infrastruktur tragen zusätzlich zum Isolationsgefühl bei:
Egal, ob im Zug oder im Auto, muss man erst durch diese lange, wilde Schlucht in den Karpaten, durch viele Tunnel, bevor man sich endlich in diesem verarmten Reich der Steinkohle befindet. Und einmal dort angekommen, sehen diese industrielle Landschaft, aber auch die Städte ein bisschen wie in „Mad Max“ aus. Man erkennt auf den ersten Blick, dass die letzten Investitionen irgendwann in den 80er Jahren noch vor der Wende getätigt worden sind.
Silviu: Stimmt, leider sehen auch die Hotels genau so aus. Man liegt auf diesen unbequemen, tollpatschig designten Betten und fragt sich, wie viele kleine, staubige KP-Funktionäre aus der tiefsten Provinz hier geschlafen haben müssen. Aber siehst Du, das ist eben wieder die Sicht aus Bukarest – oder aus Berlin.
George: Klar, aber auch die Menschen im Schiltal sind sich mittlerweile bewusst, dass ihre Region kaum Zukunft hat, dass sie den Kampf endgültig verloren haben. Fotografisch kann man das auf ihren Gesichtern lesen. Diese Sicht aus Bukarest und damit auch massive Schuldgefühle haben sie verinnerlicht.
Nach dem Motto: „Wir haben es versäumt, uns rasch zu modernisieren und zu europäisieren, wie es andere Teile Rumäniens getan haben. Wir sind immer noch die Rückständigen.“ Deshalb wäre es wichtig, uns für dieses Projekt genug Zeit zu nehmen, damit wir diese Einstellung konkret, im Alltag der Menschen beobachten können.
Silviu: Eben deswegen wollen wir ja nächstes Mal wirklich länger bleiben. Das Problem ist, dass keine Redaktion in Deutschland einen drei- oder vierwöchigen Aufenthalt in der rumänischen Provinz finanziert, auch wenn die Kosten natürlich niedriger wären als die für einen ähnlichen Aufenthalt in einer deutschen Stadt.
George: Aber auch in Rumänien finanziert niemand so etwas. Das Schiltal interessiert niemanden in den Mainstream-Medien. Für die ist es ein längst geschlossenes Kapitel. Die Bergarbeiter und die ganzen anderen Menschen dort, die alle direkt oder indirekt vom Bergbau lebten, gelten als Verlierer der Transition.
Silviu: Und die Verlierer der Transition sind uncool, weil sie von dem aberwitzigen Arbeitslosengeld nicht einmal ihre Heizungsrechnung bezahlen können. Weil sie sich nicht erlauben, in der Mall shoppen zu gehen oder sich bei H&M Klamotten „wie im Westen“ zu kaufen. Und weil sie im Bus nach Beelitz fahren, um dort den Spargel zu ernten, anstatt kurz mit German Wings nach Berlin zu fliegen, um dort Party zu machen.
George: Um einen längeren Aufenthalt zu finanzieren, brauchen wir also etwas anderes als die traditionellen Medien. Hinzu kommt, dass man in den traditionellen Medien so gut wie nie die Chance hat, mehr als fünf oder sechs Bilder auf drei oder vier Magazinseiten zu zeigen.
Silviu: Genau. Wir haben uns für Krautreporter.de entschieden, weil wir davon ausgehen, dass das Projekt in Deutschland auf Interesse stoßen wird. Und die ersten Zeichen sind sehr gut, wir bekommen viele E-Mails. Letztlich gibt es nicht nur viele Ähnlichkeiten mit dem Ruhrpott, sondern es geht um die Ursachen der sogenannten Armutsmigration. Wir wollen uns das genauer anschauen: Wie fühlt es sich 1000 Meter unter Tage an? Wie wohnen die letzten Kumpel? Wie leben die Kinder?
George: Das sind alles wichtige Aspekte, die zumindest fotografisch einen längeren Atem brauchen. Wir müssen diese Menschen im Alltag begleiten. Und Du hast schon gesehen, wie kompliziert es war in der Mine, in Petrila.
Silviu: Ja, allein das Genehmigungsverfahren hat zwei Monate gedauert. Aus unerklärlichen Gründen stuft der rumänische Staat die Minen immer noch als „Objektive strategischer Bedeutung“ ein, obwohl er sie ja schließen will.
George: Es war aber auch an sich eine einzigartige und abgefahrene Situation. Es ist sehr warm, sehr feucht dort unten und stockdunkel. Blitze oder Lichter darf man wegen der Explosionsgefahr nicht verwenden. Die Methankonzentration in der Luft ist sehr hoch. Man muss mit den Helmlampen klarkommen – nächstes Mal müssen wir viel mehr davon mitnehmen.
Silviu: Auf jeden Fall. Aber zunächst müssen wir hoffen, dass wir die Finanzierung zusammenbekommen.
Wenn Ihr jetzt neugierig geworden seid, empfehlen wir Euch sehr den Klick rüber zur Crowdfunding-Kampagne für „Rumäniens Ruhrpott“ auf Krautreporter. Noch bis Anfang Januar sammeln George und Silviu dort Spenden, die auch mit interessanten Prämien wie einem Brocken Steinkohle oder der Original-Arbeitskleidung der Kumpel aus dem Schiltal (natürlich in Eurer Größe) belohnt werden.