14. Februar 2013 Lesezeit: ~7 Minuten

Die versunkene Welt

Mit seinem Projekt „The Sinking World“ erweckt Andreas Franke eine seltsame, vergessene Unterwasserwelt wieder zum Leben und erschafft Reiche, die es nie gegeben hat. Alltagszenen und die opulente Welt des Rokoko versetzt der Künstler auf zwei Schiffswracks und stellt die Bilder dort auch wieder aus.

Die Bilder erzeugen ihre Spannung durch die Gegensätze, die sich in sich vereinen: Die sanfte, geheimnisvolle Leere, die in schlafenden Schiffswracks auf den Meeresböden herrscht, wird verbunden mit realen Szenen voller Leben und Vitalität. So entsteht eine neue Welt, die ebenso bizarr wie anziehend ist.

Stavronikita Project by Andreas Franke: Gallery

Die dort unten ruhenden Giganten bilden nicht nur fantastische und einzigartige Hintergründe für die Szenerien in Andreas Frankes Arbeiten – sie bieten auch die besten Ausstellungsräume, die man sich für diese Bilder vorstellen könnte. Diese spektakulären Unterwasser-Galerien ziehen vorbeikommende Taucher in ihren Bann und zeigen auch die Wirkung des Ozeans selbst.

Denn während der Wochen und Monate unter Wasser hinterlässt das Meer eindrucksvolle, unvergleichliche Spuren auf den Bildern. Es schmückt sie mit einer speziellen Patina, versieht sie mit dem Gesicht der Vergänglichkeit und verwandelt sie in einzigartige Schönheiten, ähnlich vergilbten Fotos, die von den Umständen gezeichnet wurden.

Vandenberg Project by Andreas Franke: Mrs. Pawlowana and her girls Original

24.27 N, 81.44 W. An diesen Koordinaten befindet sich die letzte Ruhestätte der USS General Hoyt S. Vandenberg. Im Mai 2009 wurde die Vandenberg in die Dunkelheit vor der Küste Floridas versenkt, um ein künstliches Riff zu werden. Schnell entwickelte sich wieder Leben auf den stillgelegten 10.000 Tonnen, die in knapp 40 Metern Tiefe liegen.

Dieses lebendige, geheimnisvolle Nichts und diese bedrohliche, wilde Leere haben den Österreicher, Fotografen und passionierten Taucher Andreas Franke in ihren Bann gezogen. Er nahm also Studioaufnahmen von Alltagsszenen und setzte sie in diese Unterwasserwelt ein, die vom Schiff und seiner Atmosphäre geschaffen wird.

Vandenberg Project by Andreas Franke: Kenny hits Pete

So findet ein Boxkampf auf dem Boden des Meeres statt und wie in einem Märchen läuft ein Mädchen in einem weißen Kleid mit einem Schmetterlingsnetz über das geisterhafte Deck. Mrs. Smith hängt ihre Wäsche zum Trocknen auf und Mrs. Pawlowana übt mit ihren drei Ballett-Schülerinnen.

Es entsteht eine Welt, die von den blaugrünen Nebeln des Meeres umgeben, irgendwo zwischen Vergangenheit und dem Heute verankert ist. Erinnerungen, Geisterschemen, Spukgestalten – Möglichkeiten? Auf der Vandenberg spielen sich Szenen ab, die ebenso verwirrend wie faszinierend sind.

Vandenberg Project by Andreas Franke: Mrs. Smith

Die Fotos wurden für ihre Ausstellung unter Wasser mit Plexiglas versiegelt, in rostfreie Rahmen mit Magneten gesetzt und schließlich vorsichtig an den Seiten des Schiffes selbst wieder angebracht. Durch die Verwendung von Magneten und besonnener Auswahl der Anbringungspunkte wurde es möglich, das Leben der neuen Bewohner auf der Vandenberg nicht zu stören und auch das Schiff selbst nicht zu beschädigen – so konnten die Bilder später auch leicht wieder abgenommen werden.

Während Taucher durch die Ausstellung schwebten, trugen Algen und Mikroorganismen des Salzwassers ihren Teil zu den Bildern bei, indem sie jedem Bild eine individuelle Signatur des Ozeans verliehen. Ein leiser Hauch von Unbeständigkeit auf den Bildern, die für die Ewigkeit – in menschlichen Maßstäben – gemacht zu sein schienen. Aber alles schwindet, wenn auch langsam.

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Die SS Stavronikita liegt bei 13.8 N, 59.38 W auf dem Grund des Ozeans, direkt neben der karibischen Insel Barbados. Sie fiel vor über 20 Jahren einem Feuer zum Opfer und fand an diesem Punkt ihre letzte Ruhe – versteinert zu einem künstlichen Riff, von dem man dachte, dass es bis in alle Ewigkeit schlafen würde.

Über die Jahre hat das Meer das Wrack mit seltsam schönem Mobiliar eingerichtet. Unzählige schimmernde Korallen, Schwämme und Muscheln hängten sich ans Heck, die Masten und die Wände. Schwärme von Fischen der unterschiedlichsten Arten richteten sich rund um den gesunkenen Frachter ein.

Stavronikita Project by Andreas Franke: Picnic for Three

Dieses Wrack ist ein atemberaubendes Symbol der Unverwüstlichkeit des Lebens. Das Leben kann nicht einfach ausgelöscht werden. Es entfaltet sich, blüht, gedeiht, keimt und knospt. Direkt vor der Küste von Barbados feiert es ein überbordendes Fest seiner unvorstellbaren Kräfte.

Zu diesem Überfluss an kleinteiligem, wuselndem Leben in allen Formen und Farben passt eine Epoche, die ebenso die Extravaganz, Eitelkeit und den Prunk dekadent feierte: Rokoko. Perfekt fügen sich drei junge Damen bei einem verschwenderischen Picknicks in die von Korallen wimmelnde Welt ein.

Stavronikita Project by Andreas Franke: Marie

Das Deck wird zum Ankleidezimmer für eine Dame im Reifrock, die aus den Kleidern in ihrem überquellenden Schrank noch ein für diesen Tag passendes auswählen muss. Wie Voyeure beobachten wir sie dabei, aus dem Schutz einer Koralle heraus.

Auch diese Bilder wurden in 24 Metern Tiefe am Ursprungsort von Ideen und Kulisse, der SS Stavronikita selbst, wieder behutsam ausgestellt. Noch bis April können sie dort im Rahmen eines Tauchgangs besichtigt werden, während das Meer wieder eine Schicht Patina aufträgt, die den späteren Betrachter an Land an die Vergänglichkeit allen Seins und das blühende Leben erinnert.

Stavronikita Project by Andreas Franke: Gallery

Andreas Franke ist seit mehr als 20 Jahren Fotograf und Reisender in der Welt und zwischen den Welten. Seine Arbeit führt ihn regelmäßig in etliche Länder auf etlichen Kontinenten – ebenso wie seine Leidenschaft für das Tauchen. Inspiriert von diesen Eindrucken an Land und unter Wasser überschreiten seine Bilder die Grenzen zwischen Fantasie und Realität.

In meinen Fotografien versuche ich, Scheinwelten zu erschaffen, die weit hinter den oft oberflächlichen und aufmerksamkeitsheischenden Bildern der Werbeindustrie liegen. Deshalb basiert meine Arbeit immer auf einem strengen Konzept, das fotografisch und technisch perfekt umgesetzt wird. Jedes kleine Detail ist Teil einer präzise arrangierten Produktion.

Stavronikita Project by Andreas Franke: Marie and Claudette

Für mich ist es wichtig, den technischen Fortschritt der Fotografie auszunutzen, um die Grenzen der fotografischen Verbildlichung auszuloten. Heute haben wir Möglichkeiten, von denen wir vor einigen Jahren noch nicht einmal geträumt hätten. Sie öffnen den Weg für unsere Vorstellungskraft und Fantasie.

Mit meinen Fotos von gesunkenen Schiffswracks möchte ich den Betrachte in eine unwirkliche und merkwürdige Welt ziehen. Geheimnisvolle Szenen der Vergangenheit, die in einem erdachten Raum spielen. Traumwelten, in denen man verloren gehen oder sich mit ihnen identifizieren kann. All das erschafft eine neue und unerwartete Atmosphäre.

Vandenberg Project by Andreas Franke: Sarah Original

Wer nun beim Betrachten dieser traumhaften Unterwasserfantasien in Seufzern versinkt, dem sei die Webseite des Projektes „The Sinking World“ ans Herz gelegt. Im Shop gibt es auch Poster, Drucke in limitierten Auflagen und wer etwas ganz Besonderes haben möchte, kann auch eines der Originalbilder erwerben, die auf den Schiffswracks ausgestellt wurden.

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