Geisterbeschwörung in der Fotografie
Schon in der Kindheit habe ich mir Geistergeschichten ausgedacht und jene nicht fassbaren Wesen vor allem in der Nacht hinter dem Fenster, unterm Sessel und in den Ecken und Winkeln unserer Wohnung vermutet.
Sie waren die stillen Beobachter meiner Jugend. Meine Eltern hatten scheinbar keine Angst vor meiner blühenden Fantasie und unterstützten diese Neigung mit Geschenken in Form von Büchern über angebliche Geisterfotos.
Im späten 19. Jahrhundert, in einem kleinen Kämmerlein irgendwo in Boston passierte nämlich eine schauerliche Absonderlichkeit. William H. Mumler, von Beruf Graveur und Fotograf, machte ein Selbstbildnis und entdeckte anschließend auf dem Bild neben seinem Konterfei das unscharfe und geisterhafte Portrait seiner 12 Jahre zuvor verstorbenen Cousine.
links: Master Herrod mit Geist.
rechts: Conant mit dem Geist ihres Bruders.
© William H. Mumler
Aber wie so oft gab es natürlich auch dafür eine wissenschaftliche Erklärung – leider. Für das Foto hatte er eine nicht ordentlich gereinigte Platte benutzt und das Produkt war eine Doppelbelichtung. Er erkannte ziemlich schnell, was für einen Schatz er mit dieser Fahrlässigkeit aus den tiefen unser fantasievollen Seele gehoben hatte. Er gab sich fortan als Medium aus und eröffnete 1869 in New York sein Geisterstudio.
Die Geisterfotografie erfreute sich großer Popularität, sodass viele andere Fotografen seinem Beispiel folgten und ihre gläubigen Kunden zum Narren hielten, indem sie ihr Handwerk begriffen und geisterhaft einsetzten. Es entstand eine neue Dienstleistung im Bereich des Paranormalen und viele Portraits mit verstorbenen Verwandten überschwemmten die Stuben der Hinterbliebenden.
links: Eine Seance und die Hand eines Geistes.
rechts: Mann mit dem Geist seiner zweiten Frau.
© William Hope
Am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung bereits ein Jahrhundert vorangeschritten war und die Naturwissenschaften immer erstaunlichere Ergebnisse zu Tage förderten, stand der Spiritismus in seiner vollsten Blüte. In London wird 1882 die Society for Psychical Research gegründet. Eine Vereinigung zur Erforschung parapsychologischer Phänomene.
In den Hinterzimmerchen hielt die feine Gesellschaft Seancen ab, um Kontakt mit Verstorbenen herzustellen. Unsichtbare Geister ließen Tische wackeln oder Gläser in der Luft schweben. Man wollte sichtbare Beweise und da kammen die Fotografien von Mumler und seinen Kollegen gerade recht, da sie zunächst als Zeugnis paranormaler Erscheinungen angesehen wurden.
Was jedoch wiederum verwunderlich ist. Denn gerade die Fotografie galt als Abbildung der Realität und nicht dessen, was wir nicht sehen, aber erahnen. Man übergab also der Fotografie zusätzlich die Gabe, Geister zu bannen und sichtbar zu machen.
Heute können wir einander nicht mehr so leicht zum Narren halten. Wir haben begriffen, dass die Fotografie nicht einfach abbildet, was wir sehen oder glauben zu sehen, sondern auch zeigt, was wir sehen wollen.
Die Fotografie ist auch ein Medium unseres Ausdrucks an Gedanken, Gefühlen und Ideen und nicht immer dessen, was wirklich da ist. Insofern kann Fotografie eben doch Geister festhalten. Nämlich unsere ganz eigenen.
Und vielleicht ist das der Grund dafür, warum sich die Geisterfotografie auch heute großer Beliebtheit erfreut. Das Mysterium der Entstehung ist zwar größtenteils offengelegt, aber die Fantasie der Menschen pulsiert durch das Medium.
Doppel- und Langzeitbelichtungen sind beliebte Techniken, um Geisterfotos zu erstellen. Aber manchmal reicht es auch aus, nur mit der Unschärfe zu spielen oder mit Stoffen und Spiegeln doppelte oder verschleierte Realitäten zu entwerfen. Auch hier ist der Experimentierfreudigkeit viel Raum gelassen.
Diese Bilder können dann zum Türenöffner im Kopf werden und darin finde ich die Stimmung wieder, der ich als Kind so oft nachgejagt bin. Und sie befriedigen mich viel mehr als die Geisterbilder in den Büchern von damals.
Denn die Personen bleiben weiterhin unfassbar für mich. Da sie nicht personalisiert sind, kann ich sie in meine Geschichten mit einweben. Ähnlich wie die surrealistischen Bilder drücken auch die Geisterfotos für mich Gefühle aus. So gibt es Fotografien, die mir eine wahre Gänsehaut bescheren.
Sie sind aber auch sichtbar gemachte Erzählungen oder Korrespondenzen mit einer Welt, der auch unsere Vorfahren schon erlegen sind: Die Welt der Toten und des Vergangenen, deren Realität oft eine verblasste Erinnerung in unseren Köpfen ist.
Quellen:
• Alexander Rosenhäger, Fotografie in Spiritismus und Okkultismus – ein problematisches Medium als Fenster zur Geisterwelt und Nachweis des Übernatürlichen, Bielefeld 2004 (Seminararbeit)
• Christine Walter, Das Abstrakte ist kein Beweis! Gedankenfotografie im Spiegel zeitgenössischer Kunst, München 2004