21. März 2012 Lesezeit: ~4 Minuten

Hommage an das Fotografieren

Unscharf ist Martin Gommel mit Kamera zu erkennen. Fotografiert wurde auf eine vom Regen nasse Glasscheibe.

Ich liebe das Fotografieren.

Die damit verbundene Vorfreude. Die Überlegungen darüber, in welchem Stadtteil ich später Aufnahmen mache. An guten Tagen kitzelt es ein klitzekleines bisschen im Bauch, wenn ich daran denke. Und an sehr guten juckt es sogar richtig in den Fingern.

Das Umwickeln des Kameragurtes um die rechte Hand, Objektivdeckel abnehmen und wissen: Jetzt ist alles möglich, die Kamera geöffnet, das Auge sieht. Und meine Aufmerksamkeit, Präsenz und Konzentration sind auf einen Schlag intensiver.

Nun richtet sich mein Blick auf alles, was potentiell ein gutes Motiv ist. Und schon bald eine Fotografie werden kann.

Das Prüfen und Konfigurieren der Einstellungen. Drehen an Rädchen, bis es passt. Klick, lik, ik, k.

Mir gefällt das Blicken durch den Sucher. Jetzt sieht mein Auge, was die Kamera sieht. Durch diese Überschneidung sind wir, die Kamera und ich, für kurze Momente eine Einheit.

Ich suche. Nach einer Komposition, nach einer Perspektive. Das Spielen mit der Schärfe, das Umklammern des Objektives. Jetzt lege ich den Zeigefinger auf den Auslöser. Überprüfe noch einmal Belichtungseinstellungen, Komposition und Schärfe. Dann löse ich aus.

Bukadatsch. Bukadatsch.

Das Klacken. Ich kenne es so gut, dass ich es manchmal gar nicht wahrnehme. Wie das Vorbeiziehen von Autos, wenn man an einer stark befahrenen Straße wohnt.

Und weil der Sucher meines Apparates relativ groß ist, vergesse ich das, was um mich herum passiert. Ich bin im Bild.

So verblassen die Sorgen und Pläne, die ich mir eben noch machte. Die zeitliche Dimension tritt in den Hintergrund.

Wie beim Einschlafen bemerke ich nicht, wie ich beginne, in diese Welt des Fotografierens einzutauchen und den Alltag vergesse.

~

Eine knappe Stunde später und einige Bilder mehr „im Kasten“ weiß ich, welche Bilder mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas geworden sind. Und welche eher nicht. Meistens.

Jedoch ist das Arbeiten hinter der Kamera nicht das vollständige Fotografieren. Nur die Hälfte. Es ist nur das Foto. Das Grafieren fehlt. Der Vorgang ist noch unvollständig, da ist noch Raum für angewandte Kreativität, die nun folgt.

Im Büro setze ich mich an den Rechner und lasse mein Programm Fotos importieren und Vorschauen rendern. Dann beginne ich mit der Selektion.

In höchster Aufmerksamkeit huschen meine Augen über die Bilder. Die meisten verwerfe ich, nur ein paar schaffen es bis zum Ende. Und jetzt steigt noch einmal die Freude, denn jetzt kommt der zweite Teil des Fotografierens.

Details werden herausgearbeitet, Verläufe gezogen, Kontraste angepasst. Hier und da abgewedelt, nachbelichtet und freigestellt. Meist höre ich minimale Musik ohne Text und versenke mich vollständig in die Bearbeitung der Bilder.

~

Nach getaner Arbeit mache ich mir einen Kaffee. Nehme ein wenig Abstand, um dann noch einmal die Bilder in Augenschein zu nehmen und einer letzten Prüfung zu unterziehen. Alles fertig? Wie wirken die Bilder in einer Serie? Welches gefällt mir am besten? Fehlt noch etwas?

Dann exportiere ich. Manchmal sind es zehn oder nur fünf oder gar nur ein gutes Bild. Doch diese Zahl ist mir nicht (mehr) wichtig. Ich habe wieder etwas geschafft, war mit der Kamera draußen. Und das ist, was zählt.

Ich liebe das Fotografieren.

Natürlich gibt es Tage, an denen ich einfach nur mache. Ohne nachzudenken abdrücke oder gar Langeweile empfinde. Doch viel tiefer in mir liegt die Faszination an der Tätigkeit des Bildermachens begründet. Diese ist bis heute nicht verschwunden und so sage ich es noch einmal:

Ich liebe das Fotografieren. 

38 Kommentare

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  1. Danke für diese wunderbare Hommage an das Fotografieren. Ich kann das sehr gut teilen. Auch wenn ich mich viel zu oft nicht dazu aufraffe raus zu gehen. Aber wenn ich draußen war, dann teile ich dieses Gefühl. Ich tue mich nur mit dem Verwerfen von Bildern sehr schwer. Irgendwie sammele ich dann doch immer. Auch die mehrfachen Auslösungen des selben Motivs…

  2. Ich liebe sie auch (oder wie Steffen Böttcher es ausdrücken würde: „Die Fotografie ist meine zweite Geliebte.“ und dennoch kann ich diese Liebe nicht voll ausleben. Da ist ein Beruf der nichts mit Fotografie zu tun hat (Leider oder zum Glück?) und natürlich meine Familie die ebenso nach Aufmerksamkeit ringt. Also muss alles unter einem Hut gebracht werden damit niemand zu kurz kommt …

  3. Blogartikel dazu: Und die Bilderstapel wachsen…. | endorphenium Und die Bilderstapel wachsen…. | photography & other stuff

  4. „Nach getaner Arbeit mache ich mir einen Kaffee.“

    rauche eine und frage leise…schatz wie war ich ;)

    ich gestehe..den text am frühen morgen lesen zu dürfen bringt in mir auch das kribbeln hoch jedoch als ich über die buchstaben, worte, sätze hinwegflog hatte ich beinahe das gefühl einen liebesroman zu lesen der heftig erotisches knistern erzeugt….

    so nun kalt duschen und der tag kann kommen…danke martin..hach

  5. Wenn jeder Fotograf so einen Wirbel um seine Fotografie machen würde… Nimm´s mir nicht übel, aber die Fotografen die ich kenne (besonders die guten), machen in aller Stille ihr Ding und plustern sich nicht so auf.

    Trotzdem: Den Prozess kenne ich auch sehr gut und du hast es schön beschrieben.

  6. kann ich so nicht erst mal unterschreiben. nach einer stunde bin ich nämlich gerade erst „warm“ geworden und mein sehen, hören, wahrnehmen gerade empfindsam genug mich auf alles einzulassen und zu verstehen. es ist die stunde, die ich brauche um vom „ich geh jez ma fotografieren“ ins „dort, und dort, und dort sind ja ganz viele tolle dinge“ zu gelangen. das lösen von selbstverschuldeten zwängen, das verschmelzen mit der umgebung, die interaktion mit den menschen in ihr und das (selbst)bewusstsein muss bei mir jedes mal neu gedeihen. den darauf folgenden flow unterschreib ich dann aber gern…

    hang loose
    roman

  7. Martin, Du sprichst hier offensichtlich vielen aus der Seele, so auch mir. Mir fallen in diesem Zusammenhang noch zwei Zitate ein, die mir in meiner eigenen fotografischen Arbeit von größter Bedeutung sind …

    „Fotografieren heißt den Atem anzuhalten, wenn sich im Augenblick der flüchtigen Wirkung all unsere Fähigkeiten vereinigen. Kopf, Auge und Herz müssen dabei auf eine Linie gebracht werden.“ (Henri Cartier-Bresson, 1908-2004)

    „The job of us photographers is not to produce decoration for other people’s walls and homes. It’s a real voyage of discovery. And I think, it’s an authentic way to go through life. A way of discovering things, of finding things, of experiencing things“ (Michael Kenna (1953-…)

  8. Blogartikel dazu: Linktipps | pa-photo

  9. sehr schön geschrieben! Schon kribbelts wieder im Bauch… und meine Gedanken kreisen um neue Ideen, neue Motive… um die nächsten Ausflüge in die Fotowelt „einzutauchen“ :-)

  10. Blogartikel dazu: Eine perfekte Beschreibung | Yavo

  11. Blogartikel dazu: Lesezeichen 13-12

  12. Was für ein Beitrag. Genauso empfindet man. Du hast das wirklich unglaublich gut auf den Punkt gebracht! Mein erster Gedanke gerade… Kamera nehmen, los gehen, fotografieren, erleben! Einfach nur genial! Lg

  13. Dem bleibt nichts hinzuzufügen…

    Ich schaue nach links unten… ich sehe mein 50er in der Fototasche… und weiß, dass ich damit die Komplexität der Welt heute noch/wieder auf das Wesentliche reduzieren werde.

    Und mich dabei entspannen werde und gleichzeitg gespannt bin…

    Viele Grüße,

    Micha