05. März 2012 Lesezeit: ~4 Minuten

Fukushima, drei Monate später

Toshiya Watanabes Heimatstadt lag nur 8km vom Kraftwerk Fukushima Daiichi entfernt, als vor fast einem Jahr ein gigantisches Erdbeben einen Tsunami auslöste, der das Kraftwerk so stark beschädigte, dass Strahlung austrat, die Gegend evakuiert werden musste und wahrscheinlich noch Jahrzehnte unbewohnbar sein wird. Drei Monate nach der Katastrophe konnte er kurz in sein Haus zurückkehren, um sein Familienalbum zu holen.

Auf dieser kurzen Reise fertige Toshiya die dokumentarische Fotostrecke „three months later“ an, die einen kleinen, aber drastischen Einblick in die verseuchte Zone gibt. Die 50 Fotos dieser Strecke sind auf eine stille Art bedrückend. Oft erst auf den zweiten Blick bemerkt man, wie eindringlich sie sind.

Ein leerer Straßenzug wirkt erst dann besonders befremdlich, wenn man feststellt, dass nicht die Abwesenheit von Menschen oder Autos verwundert, sondern ein eingestürztes Haus am Bildrand. Oder eine vom Mast herabhängende Ampel, ein zurückgelassener Schuh auf der Straße. Während die ganze Szene unfassbar sauber und aufgeräumt ist. Kaum zu glauben, dass diese Region von einem Erdbeben erschüttert wurde und nur eine Art geordnetes Chaos im Kleinen zurückgeblieben ist.

Beim Betrachten dieser Bilder stelle ich fest, wie realitätsfern meine Vorstellungen von Katastrophen eigentlich sind. Sie erscheinen so streng reduziert zu sein, die Zerstörung präsentiert sich ohne Action oder Effekte, die mein von Filmen verwirrtes Denken erwartet. Aber die Gebäude sind einfach nur kaputt. So sieht die Realität aus.

Herrenlose Autos, Fahrräder. Auf einigen Fotos könnte man denken, dass der Fotograf nur einen stillen Moment in einer ganz normalen Stadt festgehalten hat. Höchstens kleine Details lassen einen zweifeln. Und natürlich die Wirkung der Serie als Ganzes, die zeigt, was für unterschiedliche Anblicke nach einer Katastrophe dieser Größenordnung zurückbleiben.

Das eigene verwüstete Haus des Fotografen lässt einen sich in die Situation versetzen. Wie überstürzt mussten die Menschen gehen? Wenn er erst jetzt ein Familienalbum holen darf, konnten sie überhaupt etwas mitnehmen? Wie sind sie untergekommen, was für ein Leben haben sie inzwischen geführt? Gibt es überhaupt so etwas wie einen wiedereingekehrten Alltag?

Unterstützt wird die Atmosphäre noch von der Bildgestaltung, dem Quadrat als neutrales Format. Den etwas kraftlosen Farben, in denen sich ein Stück weit die Hoffnungslosigkeit dieses Ortes spiegelt. Denn ob und wann es einen Wiederaufbau geben wird, ist unklar.

Die Tiere sind noch da: Vögel sitzen auf den Stromleitungen, herrenlose Hunde begegnen Toshiya auf den Straßen. Unter den Bildern, die die Anfahrt an die Stadt zeigen, hat Toshiya außerdem die Stärke der Strahlung und die Entfernung zum Kraftwerk dokumentiert. Wie wirkt die Strahlung sich eigentlich langfristig auf die Tiere und die Natur, den Boden aus?

Auch die Fahrt zurück, aus der Stadt hinaus, hat Toshiya festgehalten. Hier wird die zurückbleibende Verwüstung noch deutlicher: Neben der freigeräumten Straße türmen sich Berge kleinerer Trümmerteile neben jeder Menge Holz und einem ganzen Schiff, das angeschwemmt wurde.

Toshiya Watanabe ist Art Director und sagt selbst, dass er noch nicht weiß, was seine Philosophie als Künstler ist. Dass er sich lediglich weiterhin über die Fotografie ausdrücken möchte. Er will Momente festhalten, um sie mit anderen zu teilen.

Bei der hier vorgestellten Serie war es ihm wichtig, seine Heimatstadt zu dokumentieren. In einer Art und Weise, die rein und natürlich sein sollte, ohne dramatische Effekte und Ausschmückungen. Während er fotografierte, dachte er an die früheren Einwohner, sprach gedanklich Gebete für sie.

Als er die ersten Schritte in seine alte Heimatstadt setzte, traf es ihn sehr hart: Es war niemand da, der ihn begrüßen konnte, alles war einsam. Er realisierte dort, dass alles, wofür viele Generationen gearbeitet und gelebt hatten, einfach weg ist. Ein überwältigendes Gefühl von Verlust.

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Vielen Dank an unseren Leser Florian Löbermann für den Hinweis auf diese eindrucksvolle Serie.

22 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

    • Ich hatte letzten Sonntag die Gelegenheit, Watanabe Toshiya bei einer kleinen Vernissage („Temporary Gallery“, Harajuku, Tokyo, Japan) ein paar seiner Aufnahmen (die in diesem Artikel gezeigten) zu treffen und ein paar Worte mit ihm zu sprechen. Wie ich ihn verstanden habe, will er noch ein paar Mal zurueckkehren und so eine Serie schaffen, in der man die zeitliche Entwicklung sieht.

      Das Geschehene zu verarbeiten ist mit Sicherheit sehr schwer.

  1. Schön gesehen zu haben, dennoch Moralisch nicht schön zu sehen. Ich hätte gerne viel mehr Bilder aus dem Gebiet gesehen, aber Aufgrund von Gesundheit ist das wohl nicht sonderlich Empfehlenswert.

    Danke für das Zeigen :)

  2. danke fürs darauf aufmerksam machen.

    ähnlich bedrückend wie die arbeiten von ‚Andrej Krementschouk‘ ( Zone – Heimat. Tschernobyl ). für thematisch interessierte zu empfehlen.

  3. Der Beitrag lässt mich ein wenig erschrecken, wie stark das Erdbeben, der Tsunami und Fukushima nach nur einem Jahr schon wieder aus meinem Gedächtnis verschwunden waren. Ich frage mich: ist es Fluch oder Segen, dass der Mensch so schnell vergisst? Die Erde ist inzwischen übersät mit Mahnmalen – und wir leben weiter wie bisher und machen die gleichen Fehler immer wieder.

  4. Guter Beitrag, erzeugt direkt ein Gefühl der Betroffenheit.
    Ich hätte allerdings auch gern die anderen Bilder des Fotografen zu dieser Serie gesehen…

    • Hallo Alex, 50 Bilder können wir hier natürlich schlecht zeigen. Daher ist die vollständige Serie (auf flickr) im Text verlinkt. Du kannst sie alternativ auch auf der Webseite des Fotografen ansehen. Auch die ist im Artikel verlinkt.

  5. Es bedrückt mich seit gestern! Bei Gallileo auf Prosieben lief ein ähnlicher Beitrag zum Thema Fukushima, dabei ist mir gestern ein leichter Schauer über den Rücken gelaufen. In den Nachrichten erfährt man ja nichts mehr, wenn sind es nur Randnotizen. Mann vergisst das Ereignis einfach, man verdrängt es. Jedenfalls ging es mir so. Und das obwohl immer noch sehr viele Menschen keine Heimat haben und täglich einer sehr hohen Strahlungsbelastung ausgesetzt sind. Warum gibt Deutschland Milliarden aus um irgendwelche Banken zu retten? Ich denke in Fukushima wären diese Milliarden besser aufgehoben. Oder warum bekommt Horst Köhler nun den Ehrensold? Das ist alles Geld, was irgendwelchen ohnehin schon reichen Leuten ein noch schöneres Leben ermöglicht. Und das obwohl es Menschen gibt, die noch nicht mal das haben: ein schönes Leben, diese werden einfach vergessen.
    Danke für die Fotos und Einblicke!

  6. Sündenfall Atomkraft – Aber geht’s wirklich ohne Kernenergie?

    Diese Bilder zeugen von Ohnmacht und Betroffenheit.
    Der Super-GAU von Fukushima: Bilder die um die Welt gingen. Bis heute leiden die Menschen in Japan unter den schwerwiegenden Folgen der Reaktorkatastrophe. Fukushima hat auch Deutschland politisch verändert.

    Knapp ein Jahr nach Fukushima diskutiert Günther Jauch gestern darüber mit: Klaus Töpfer (CDU), ehemaliger Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wolfgang Clement, ehemaliger Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Enoch zu Guttenberg, Dirigent und Mitbegründer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Gudrun Pausewang, Schriftstellerin (u. a. “Die Wolke”) und Anti-Atomkraft-Aktivistin Ulrich Walter, Physiker und ehemaliger Astronaut

  7. Wahnsinn. Wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt zu meinem alten Zuhause, in dem ich groß wurde, zurück kehren und NIEMANDEN antreffen würde, ich wäre zutiefst erschüttert. Das muss so ein krasses Gefühl sein.
    Die Fotos finde ich extrem bedrückend und beängstigend, bedenkt man, dass alles wirklich noch verhältnismäßig geordnet und teilweise intakt aussieht, die unsichtbare Gefahr in Form von Strahlung aber vorherrscht.

  8. Bedrueckend und traurig….WIr sind ein paar Tage nach dem Erdbeben aus Tokyo nach Thailand gezogen, aber unser Herz ist in Japan geblieben…Nicht ein Tag vergeht an dem wir nicht an das Erdbeben denken…wir werden es nie vergessen..es war einfach zu furchtbar und hat unser aller Leben fuer immer veraendert….

  9. Blogartikel dazu: Fotostrecke: 3 months later. : Photo, Video, Txt.