31. Januar 2012 Lesezeit: ~13 Minuten

Im Gespräch mit Frank Silberbach

Mir waren Frank Silberbachs schwarzweiße Panorama-Straßenszenen schon durch Ausstellungen bekannt, bevor ich ihn persönlich kennenlernte. Seine Bildkolumne „Berliner Blicke“, die 2004 bis 2008 wöchentlich in der Samstagsbeilage der Berliner Zeitung erschien, dürfte wohl auch dem einen oder anderen Berliner noch in Erinnerung sein.

Frank und ich liefen uns im letzen Jahr bei einer Vernissage über den Weg. Sofort fiel mir die merkwürdige Kamera auf, die ihm vom Hals baumelte und wir kamen ins Gespräch. Nun freue ich mich, dass ich ihn hier für ein Interview gewinnen konnte.

Hallo Frank. Schön, dass du Zeit für ein Interview gefunden hast. Du bist ja schon lange als Fotograf tätig. Wie bist du ursprünglich zur Fotografie gekommen und wann war das?

Fotografiert habe ich schon als Schüler in den siebziger Jahren in der DDR. Nach meinem Abitur bin ich nach Bulgarien gegangen, um in Sofia Zahnmedizin zu studieren. Obwohl mich das Fach von Anfang an nicht besonders interessierte, sah ich darin eine kleine Möglichkeit, die Einschränkung der Reisefreiheit im Osten zu umgehen. Aber schon nach zwei Semestern war mir ziemlich klar, dass Zahnmedizin eigentlich gar nicht das war, was ich wollte und ich brach das Studium ab.

Danach ging ich nach Ostberlin. Da wollte ich unbedingt hin. Beim Berliner Verlag bekam ich eine Anstellung als Fotoreporter in Ausbildung. Ich arbeitete für die Auslands-Illustrierte „Freie Welt“ – vergleichbar vielleicht mit einer Ostversion der „Geo“.

Dieser Name! Da steckt eine ganze Menge Ironie drin, denkst du nicht?

Klar, durchaus. Während meiner Zeit beim Berliner Verlag hatte ich immer recht freien Zugang zu Fotoausrüstung und Material für die Entwicklung. Ich wusste aber, dass natürlich auch Presse-Erzeugnisse aus dem Westen im Verlag herumgeisterten, die allerdings offiziell unter Verschluss gehalten wurden. Nicht alles lesen zu dürfen, was man gern lesen wollte, empfand ich als eine Beeinträchtigung meiner persönlichen Freiheit.

In deinem Lebenslauf liest man, dass du 1984 aus der DDR ausgereist bist. Wie kam es dazu?

Geschwister meines Vaters lebten in der BRD und schrieben uns gelegentlich Ansichtskarten von Orten auf der Welt, wo wir nicht hindurften. Ich nahm die Freiheits- und Reisebeschränkung immer mehr als unverhältnismäßig harte Beschränkung wahr.

1975 verpflichtete sich die DDR in der Schlussakte der KSZE von Helsinki ihren Einwohnern Garantie auf freie Wahl des Wohnortes einzuräumen. Daraufhin stellte ich einen Ausreiseantrag, dem 1984 stattgegeben wurde.

Wir könnten sicher ein ganzes Interview über deine Erfahrungen aus dieser Zeit führen. Damit wir hier den Rahmen nicht sprengen, nun aber zurück zur Fotografie. Gab es ein Ereignis, dass deine fotografische Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat?

Ja, damals im Berliner Verlag kam einmal unser Chefbildreporter Alfred Paskowiak zu mir ins Labor und sagte: „Pass auf. Du nimmst jetzt die Schere und schneidest von deinen Abzügen soviel weg wie möglich. Das was am Ende übrig bleibt, wenn du nichts mehr entfernen kannst, ist wie du dir angewöhnen musst zu sehen.“ Das hat mir die Augen geöffnet.

Das ist ziemlich gut. Mir gefällt sehr der handwerkliche Aspekt dabei. Wegschneiden ist gleich Reduzieren ist gleich Konzentration auf das Wesentliche. Mittlerweile bist du ja bekannt für deine Straßenpanoramas. Was für eine Kamera benutzt du?

Ich benutze eine Widelux F7 und F8 – japanische Panoramakameras, die von Anfang der fünfziger bis Mitte der achziger Jahre produziert wurden. Bei ihnen handelt es sich um sogenannte Schwinglinsenkameras mit 26mm Weitwinkelfestbrennweite.

Braucht man dafür einen speziell konfektionierten Film?

Nein, man füttert sie mit normalem Kleinbildfilm. Während man belichtet, schwingt das Objektiv um eine vertikale Achse und belichtet einen Filmstreifen von 24mm x 58mm.

So eine Kamera ist schon sehr speziell. Das Ungewöhnliche ist, dass man damit Bilder erzielt, die keine normalen perspektivischen Abbildungen sind. Durch den Linsenschwung findet eine Transformation der Perspektive statt; die Fluchtlinien im Bild werden gekrümmt. Man verstärkt den Effekt, wenn man die Kamera kippt. Dann bekommt man leicht starke, teilweise unnatürliche Verzerrungseffekte. Bei der Ausrichtung auf das Motiv ist man also ziemlich eingeschränkt.

Irgendwann entwickelt man aber ein Gefühl für die Kamera und weiß, was man damit machen kann. Da schult einen die Erfahrung.

Was ist der Grund dafür, dass du dich bei deinen Fotografien auf die immer gleiche Ausrüstung und Aufnahmetechnik beschränkst?

Ich denke, das liegt in erster Linie an meinem Naturell. Früher habe ich viel ausprobiert und mit einigen Aufnahmeformaten experimentiert. Ich habe parallel viel mit Kleinbild- und Mittelformatfilm fotografiert, später kam dann noch das Panoramaformat hinzu.

Ich stellte fest, dass es mir leichter fiel, mit möglichst wenigen Mitteln mehr zu erreichen. Deshalb schätze ich die Beschränkung bei der Umsetzung eines fotografischen Themas sehr. Wenn man sich da richtig hineinbegibt, kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem man merkt, dass man längst noch nicht alle Möglichkeiten seines Werkzeugs ausgereizt hat.

Wie nachhaltig arbeitest du an einem fotografischen Thema?

Meine Projekte nahmen bisher immer mehrere Jahre in Anspruch. Das aktuelle – „Berlin 140°“ – mache ich nun schon seit sieben Jahren. Ich werde es weiter fortführen, weil ich merke, dass ich damit noch nicht am Ziel bin. Vielleicht wird es ja noch weitere 20 Jahre in Anspruch nehmen. Das ist völlig offen, denn da lege ich mich nicht fest.

Bevor ich „Berlin 140°“ anfing, hatte ich eine intensive Reisephase. Etwa 15 Jahre lang war ich viel in der Welt unterwegs – in vielen Ländern Europas, in Australien, Südafrika, Namibia, in den USA und Mexiko, in Russland, den Ländern Zentralasiens, Sri Lanka und China.

Hattest du dafür Aufträge oder waren es persönliche Reisen?

Sowohl als auch. In China habe ich mit einem Stipendium der Stiftung Kulturfonds insgesamt ein halbes Jahr auf dem Land in einem kleinen Dorf verbracht.

Das hört sich recht abenteuerlich an. Wo in China war das und was war dein Thema?

Das Dorf heißt Mengwang und liegt in den Bergen nahe der Grenze zu Birma. Im Prinzip habe ich dort Straßenfotografie gemacht. Nur eben auf dem Land und nicht in der Stadt.

Auch damals habe ich bereits mit dem Panoramaformat gearbeitet. Mit dem Unterschied zu heute, dass ich noch keine Schwinglinsenkamera benutzt habe, sondern mit einer normalen Kleinbildkamera gearbeitet habe und dann im Nachhinein die Bilder aus Einzelfotos zusammengesetzt habe.

In Anbetracht dessen, dass du das alles analog gemacht hast, gebührt dir eine große Portion Respekt. Wo kann man sich diese Bilder anschauen?

Es wird in diesem Jahr vom 27. Mai – 22. Juni eine Ausstellung mit meinen Bildern aus Mengwang in der Galerie des Tempelhof Museums in Berlin geben.

Des Weiteren zeige ich vom 25. Mai – 20. Juli meine Bilder aus der Serie „Berlin 140°“ in der Galerie des Rathauses Tempelhof.

Nutzt du noch andere Publikationsformen für deine Bilder als die Ausstellungen?

Ja, meine Website. Sie ist in erster Linie eine Projektwebsite für „Berlin 140°“. Ich sehe sie auch als eine alternative Publikationsform zu einem Buch. Der Vorteil der Website ist die Aktualisierbarkeit. Da das Projekt eine laufende, nicht abgeschlossene Arbeit ist, kommen im Laufe der Zeit neue Bilder hinzu. Ein Buch ist eine in sich abgeschlossene Form und kann eben nicht portionsweise aktualisiert werden.

Warum hast du keinen Blog? Du könntest dort beispielsweise ein Bild pro Tag zeigen und einen kurzen Kommentar dazu abgeben. Du könntest an deinen Bildern Interessierten so Einblick in deine Arbeitsweise geben.

Hm ja, nur glaube ich nicht, dass ich dafür genug Bilder mache. Mal mache ich in einem Monat drei gute Fotos, mal bekomme ich gar kein gutes.

Als ich vier Jahre lang für die Bildkolumne „Berliner Blicke“ in der Berliner Zeitung jede Woche ein gutes Bild abzuliefern hatte, erforderte das viel Disziplin. Will sagen, ich bin schon professionell und kann natürlich termingerecht arbeiten. Ökonomisch betrachtet grenzte das jedoch stellenweise an Selbstausbeutung. Aber es machte Spaß.

Ja, okay. Was du der Redaktion wöchentlich abgeliefert hast, war doch sicher Ergebnis einer gewissen Selektion, oder?

Würdest du ein Bild pro Tag zeigen, hieße das ja nicht notwendigerweise, dass jedes davon perfekt sein müsste. Es wäre doch in erster Linie eine öffentliche Teststrecke und Spielwiese für die eigenen Bilder, inklusive Feedback der Community. Das wäre ein Pool, aus dem sich prima die Filetstückchen selektieren ließen, um anschließend auf der eigenen Website ins Portfolio verpackt zu werden. Und: Ein Bild pro Tag fördert die Selbstdisziplin.

Das klingt interessant. An einem Mangel an Selbstdisziplin leide ich zum Glück nicht.

Oh pardon, das wollte ich dir auch gar nicht unterstellen.

(Beide lachen.)

Selbstdiziplin ist schon wichtig. Insbesondere bei der Auswahl der Bilder. Sie ist der Garant für hohe Qualität. So kann man den Leuten etwas zeigen, das Hand und Fuß hat.

Ich glaube nicht, dass sich aufgrund der Bilderflut die Menschen nichts mehr anschauen. Wenn es gute Fotos sind, schauen die Leute schon hin.

Das impliziert allerdings ein gewisses Buhlen um Aufmerksamkeit, denkst du nicht? Wer fotografisch gut ist und dann nicht die richtige Plattform dafür hat, wird nicht angeschaut.

Die unmittelbarste Form, Menschen mit Fotografien anzusprechen, ist die Ausstellung. Wer dorthin kommt, tut das aus Interesse an den Bildern oder der Person des Fotografen, kommt also mit einer gewissen Spannung oder positiven Voreingenommenheit zu den Fotos.

In einer Ausstellung hat der Betrachter außerdem die Möglichkeit, eine sehr enge physische Beziehung zum Bild herzustellen. Der Nachteil ist: Sie ist ortsgebunden und nicht jeder Interessierte schafft es, sie sich in ihrem engen zeitlichen Rahmen anzuschauen.

Ein Blog oder eine Website überbrückt diesen Nachteil spielend. Man erreicht damit praktisch die ganze Welt und möglicherweise viele Menschen mehr.

Welche Rolle spielt es für dich, dich als Künstler über diese Medien auszudrücken?

Ich weiß, dass ich die Öffentlichkeit brauche. Ich mache meine Fotos nicht allein für mich selbst. Es gibt zwar Künstler, die sagen, sie würden ihre Werke in erster Linie für sich selbst schaffen. Ich zähle mich definitiv nicht dazu. Ich bin der Meinung, wenn man das, was man macht, nicht anderen mitteilen kann, verliert es seinen Sinn.

Ja, aber ist denn dann das, was man macht, nicht immer ein Spagat zwischen dem, was einem persönlich wichtig ist und dem vermeintlich Massentauglichen?

Ich bin meinem Tun gegenüber nicht unkritisch. Trotzdem bin ich selbstbewusst bei dem, was ich tue.

Es gab eine Zeit – es war etwa Mitte der neunziger Jahre – da habe ich mich an mein Fotoarchiv gesetzt und radikal ausgemistet. Aus meinem gesamten damaligen Archiv habe ich 16 Kleinbildnegative freigeschnitten und eingetütet, den gesamten Rest habe ich vernichtet.

Oh Gott, das ist ja radikal!!

Ja, aber es ist wichtig, um die Bedeutung des eigenen Tuns zu ermessen und zu verstehen. Auf diese 16 Negative habe ich seitdem aufgebaut.

Allein für „Berlin 140°“ habe ich in den letzen Jahren 21.000 Aufnahmen gemacht; wovon aber wiederum nur eine enge Auswahl von 73 Bildern ausgestellt wurden und es auf meine Website geschafft haben.

Na ich hoffe, du hast die restlichen 20.927 nicht wieder vernichtet.

Nein, keine Sorge. Aber weißt du, es geht wirklich nicht um Masse, sondern um Auswahl. Manchmal kann man so viel fotografieren und doch ist nichts Nützliches dabei.

Es gibt Phasen, da sieht man einfach nichts. Dann belichtet man aus Verlegenheit wenigstens ein paar Bilder, um anschließend das Gefühl zu bekommen, etwas produziert zu haben. Wenn man dem widersteht, schlägt man sich mit der Frage herum: Bin ich überhaupt ein richtiger Fotograf, wenn ich mal gerade keine Bilder mache?

Das scheint mir ein typischer innerer Monolog eines Künstlers zu sein. Muss man denn seine Rechtfertigung, etwas sein zu dürfen, immer im Tun suchen? Letztendlich ist doch das Fotografieren an sich nur die handwerkliche Umsetzung der eigenen Ideen.

Na ja, Handwerk und Idee sind das eine. Letztendilch muss ein Bild gut sein. Das ist der Maßstab, den ich an meine eigene und die Arbeit anderer immer wieder anlege.

Was macht ein gutes Bild für dich aus?

Ein gutes Bild ist für mich ein visuelles Erlebnis; es spricht mich an. Das Eingangstor zu Verstand und Herz ist das Auge. Wenn das Auge nicht angesprochen wird, bleibt das Tor zu.

Fotografien anzuschauen ist in erster Linie ein sinnlicher und kein intellektueller Akt. Das Nachdenken kommt nach dem Sehen, der Kontakt zum Bild geschieht über die Augen.

Frank, ich danke dir für dieses lange, sehr ausführliche und ungemein fruchtbare Gespräch.

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