26. Januar 2012 Lesezeit: ~7 Minuten

Die Redaktion stellt sich vor: Marit Beer

Vorwort: Martin Gommel

Als wir Marit und ihre Fotos kennenlernten, war irgendwie klar, dass wir sie recht bald fragen würden, ob sie zu uns in die Redaktion kommen möchte. Wir alle mochten ihre „angenehm unbequeme“ Schreibe (im positiven Sinne), die schön kwer, schräg und ungewohnt klang und somit perfekt zum noch jungen Magazin passte.

Außerdem fand ich persönlich den Gedanken faszinierend, jemanden in der Redaktion zu haben, der zu 100% analog fotografiert, weil uns das noch einmal eine größere Breite in dieser Thematik geben würde.

Dazu kam, dass Marit nicht nur auf Film fotografierte, sondern auch noch Bilder machte, die mir sehr gut gefielen. Ihre Herangehensweise, Menschen zu portraitieren beeindruckte mich zunehmend und ihr erster Artikel brachte mich quasi auf den Geschmack.

Mittlerweile ist Marit ein fester Bestandteil unserer Redaktion, von KWERFELDEIN. Darauf bin ich schon ein bisschen stolz, zugegeben. Jetzt aber reiche ich das Mikrofon an sie selbst und heiße sie nochmals herzlich willkommen.

Es ist nun einmal so, dass man sich vorzustellen hat. Das gehört zum guten Ton und man möchte ja wissen, mit wem man es da überhaupt zu tun hat. Das letzte Mal, dass ich mich vorzustellen hatte war, als ich mein Masterstudium begann. Da saßen mir 20 völlig fremde Menschen gegenüber und ich sollte ihnen mitteilen, wer ich bin.

Ich weiß nicht mehr, was ich sagte, aber ein paar lustige Sachen müssen es gewesen sein, denn ein paar lachten. Als die zehn Minuten Vorstellung vorbei waren, setzte ich mich mit trockener Kehle wieder hin und die anderen waren an der Reihe. Ich weiß übrigens nichts mehr von dem, was sie sagten, weder blieben mir ihre Namen in diesem Moment im Gedächtnis, noch ihre Ausbildungen oder Vorbildungen. Es war alles in einer grauen Suppen irgendwo im letzten Winkel des Stirnhinterzimmerchens verschütt gegangen.


Auflösung von Körper zu Licht

Was mir von einem Menschen jedoch bleibt, ist nicht seine Vorstellung, sondern meine Vorstellung von ihm, während ich ihn kennenlerne und immer wieder kennenlerne, bis ich vielleicht beschließe, ihn nicht mehr kennenlernen zu wollen oder genug kenne.

Nun bin ich in einer misslichen Lage. Ich soll mich hier vorstellen und habe kaum eine Vorstellung von mir selbst. Ich versuche seit geraumer Zeit, mir ein Bild zu machen von der Person, die ich darstelle und in mir selbst herauszuarbeiten gedenke, wie ein Bildnis, das noch im Steinblock ruht oder in einem Stück Holz.

Ich bin immer sehr davon angetan, wenn ich Menschen kennenlerne, die genau wissen, wer sie sind, was sie wollen und wohin die Reise geht. Ich wusste das nie und es hat sich fast nichts daran geändert. Obwohl mir meine Eltern jede Hilfestellung gaben, um meinen Weg zu gehen, waren es immer Entscheidungen aus dem Gefühl heraus, dass mir eventuell dieses oder jenes liegen könnte, mit dem ich mein Leben verbringen möchte.

Manchmal hab ich auch Dinge an die Wand gefahren und es brauchte eine Weile, um das zu realisieren und zu aktzeptieren. Aber letztendlich habe ich ein bisschen kapiert, worum es im Leben geht. Es gibt keinen Fahrplan, kein Richtig und kein Falsch. Man trifft Entscheidungen und lebt diese in ihrer Konsequenz und trifft neue Entscheidungen.

Und was letztendlich bleibt von einem, das sind Neigungen, Vorstellungen, Empfindungen und Erfahrungen. Ich mag alte Dinge, ich mag die Geschichte, die die Menschheit gegangen ist, um dort anzukommen, wo sie heute ist. Ich mag es, Dinge zu hinterfragen, hinter die Fassade zu schauen und tief zu graben, um Schicht für Schicht freizulegen. Ich mag die Fotografie und die Menschen, die ich darüber kennenlerne. Es ist schön, mehr von ihnen zu sehen als nur ein Bild, das ich mache.


nicht fassbar, träumerisch, wandelnd, verborgen sind die Worte, wenn ich Menschen kennenlerne

Was ich allerdings mit ruhigem Gewissen über mich sagen kann: Ich bin eine Reisende. Ob mit Rucksack und alten klapprigen Bussen über staubige Straßen zu fahren, im Nirgendwo an einer ranzigen und nach Öl riechenden Tankstelle mitten in der Wüste so etwas wie plötzlich aufkommende Heimatgefühle zu spüren, bei einer türkischen Familie im Bergland auf dem klapprigen Holzgestell gegorene Ziegenmilch zu trinken, alte Fotoalben anschauen und eine Geschichte in Bildern zu erfahren von einem Menschen, dessen Sprache man nicht spricht oder zuhause bei Freunden zu sitzen, Tee zu schlürfen und einfach das wohlige Gefühl von Ankommen, von da sein zu fühlen. Denn egal wo man ist, egal ob man körperlich reist oder gedanklich, mit dem Finger über die Lieblingslesestelle eines Buches fährt, man nimmt sich immer mit, man kann sich nicht vor sich selbst verstecken.

Auf diesen Reisen habe ich dann auch meine Liebe zur Fotografie wiederentdeckt. Sie blühte in jungen Jahren schon einmal kurz auf, als mein Vater mit seiner Praktica die Familiengeschehnisse aufzeichnete und mir mit ruhiger Hand und Reden die Mechanik erklärte, weil ich nach jedem Bild immer wieder nachfragte, warum er denn Hebelchen und Knöpfchen drehe und es so ewig dauere, bis er endlich den Auslöser drückt, denn bis dahin war mein Lächeln immer schon zu Eis erfroren.

Und nachdem ich auf Reisen erst einmal alle möglichen Filme ausprobierte, war es dann letztendlich der Schwarzweißfilm, der mich all das lieben lernte. Die Reduktion auf das Wesentliche und das Geschichtenselbstweiterspinnende. Zuhause waren es dann nämlich immer diese Bilder, die ich länger betrachtete, die mir im Gedächtnis blieben und die auch andere mochten.

Menschen, die ihre Geschichte erzählen, mit Worten oder Gesten

Zu KWERFELDEIN habe ich gefunden, weil ich gemerkt habe, dass mir das Schreiben beim Verstehen hilft, zum Beispiel dabei, Worte zu finden, warum ich ausschließlich mit Film arbeite und auch dabei, Gelerntes festzuhalten und mit anderen zu teilen. Ich fühle mich wohl in der Welt des künstlerischen Ausdrucks, des eben nicht Fassbaren und des Herausarbeitens von Gefühlen vom Menschen, der sich irgendwo hinter unserer Stirn verbirgt.

Und ich schreibe gern über andere, aber am liebsten sitze ich bei den Fotografen, Künstlern, Philosophen und wie sie sich nennen zuhause. Unterhalte mich mit ihnen über sich, mich, die Welt und das, was wir machen und uns irgendwie alle verbindet. Die Fotografie, zu der man gefunden hat. Diese Interviewform ist mir sehr ans Herz gewachsen, denn es ist die Möglichkeit, von seinem eigenen kleinen Tellerchen aufzublicken und die Geschichte, die andere Ansicht eines Menschen mitzubringen und mit Euch, den Lesern, zu teilen.

Dieser Austausch, aber auch der mit den anderen Redaktionsmitgliedern, ihre ganz anderen Sichten auf das Medium Fotografie, erweitern meinen Horizont, machen mich recht glücklich und deswegen bin ich hier und schreibe über andere und manchmal auch über mich.

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