Buchrezension: „Scharfsichtige Frauen“ von Unda Hörner
Fotografie sind nicht nur Bilder, sondern auch die Leben der Menschen, die sich ebenjener Leidenschaft verschrieben oder dafür Besonderes geleistet haben. „Scharfsichtige Frauen“ von Unda Hörner stellt zehn solche Fotografinnen der 20er und 30er Jahre vor, die in Paris gewirkt haben.
Jede der Fotografinnen wird auf ca. zehn Seiten mit einer Kurzbiografie vorgestellt, die natürlich einen Schwerpunkt auf die Beschreibung ihrer fotografischen Entwicklung und Wirkung legt, aber auch die Herkunft, künstlerische Einflüsse und andere Lebensumstände berücksichtigt.
Eine Klammer um die Biografien bilden eine Einleitung davor und eine Ausleitung danach. An dieser Stelle wird schnell deutlich, dass die Stadt Paris als Ort ihres Wirkens ebenso wichtig ist wie die portraitierten Fotografinnen selbst.
Durch die Einleitung wird man als Leser wunderbar auf das Paris des beginnenden 20. Jahrhunderts eingestimmt. Die politische Situation wird erläutert: Der erste Weltkrieg war gerade überstanden, der zweite warf schon seine Schatten voraus.
In diesem Spannungsfeld ballte sich in Paris eine hochproduktive Kunstszene zusammen, in der die Einflüsse des Surrealismus, Kubismus, des Bauhaus und anderer zu der Zeit aktueller Kunstrichtungen auf die jungen Fotografinnen einwirkten.
Ergänzt wird das Bild durch Beschreibungen der Stimmung in den Straßen der Stadt, die damals pulsierte und als Weltstadt den Ruf von Kunst, vollmundigem Leben, rauschenden Festen und guten Möglichkeiten für Ausbildung und Arbeit hatte.
Außerdem wird der Stand der Fototechnik dieser Zeit vorgestellt. Handliche Kameras, die gerade erschwinglich wurden und transportabel waren, eroberten den Markt und verdrängten langsam die großen, unbeweglichen und umständlichen Plattenkameras.
Die Freiheit der aktiven Kunstszene, die neuen technischen Möglichkeiten und die Jugendlichkeit des Fotografenberufes, der damals noch nicht genau umrissen war, ließen den Frauen den Raum, sich auf diesem Gebiet zu betätigen.
Obwohl deutlich wird, dass jede der vorgestellten Fotografinnen ihre ganz eigene Entwicklung, ihre eigenen Einflüsse und einen unverkennbaren Stil hat, ist es interessant, die Biografien miteinander zu vergleichen und Parallelen festzustellen.
Die meisten von ihnen stammten nicht aus Frankreich, sondern den USA oder Deutschland und kamen aus dem Bürgertum. Ursprünglich waren sie in der Malerei, Architektur oder anderen Kunstformen zuhause und kamen durch einen Zufall zur Fotografie.
Erstaunlich schnell machten sie sich in Paris einen Namen, die meisten eröffneten ein eigenes Studio und zogen für einige Zeit Paris‘ Gutverdiener mit Rang und Namen an, die – so scheint es – sich damals von allen Größen der Fotografie portraitieren lassen wollten.
Auch die Anwesenheit von Man Ray, Ikone der Fotografie dieser Zeit, zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografien. Fast jede der Frauen hatte in ihrem Leben einmal kurz oder länger mit ihm zu tun, als sie in Paris wirkte.
Die meisten der vorgestellten Künstlerinnen wandten sich – oft auch durch die Wirren des zweiten Weltkriegs, die sie zwangen, Paris wieder zu verlassen – von der Fotografie ab und anderen Berufen oder Kunstformen zu.
Erst im – zum Teil hohen – Alter wurden viele von ihnen wiederentdeckt und als Pionierinnen der Fotografie mit Ausstellungen und Preisen in der Öffentlichkeit gewürdigt. In der Ausleitung werden diese Fäden noch einmal kurz zusammengenommen.
„Scharfsichtige Frauen“ ist definitiv kein Bildband. Hier steht der Verlauf der Kunstgeschichte im Vordergrund, auch wenn die Biografien immer auch mit einigen Arbeiten der vorgestellten Fotografinnen illustriert werden, die gerade ausreichen, um sich ein Bild von ihrem Stil und Schaffen zu machen.
Was ich an diesem Buch mag, ist, dass es sich sein Thema genau abgesteckt hat. Durch die genannten politischen und künstlerischen Bezüge der vorgestellten Fotografinnen und ihrer Arbeiten lassen sich die Einflüsse leicht in ihren Bildern entdecken, ohne dass Unda Hörner dafür zu weit ausschweift.
Wunderbar finde ich auch, dass die Autorin nicht übermäßig auf das Thema „Frau“ eingeht. Es ist die Grundlage für ihre Auswahl und sie geht auch etwas auf die sich zu der Zeit gerade neu definierende Rolle der Frau ein.
Aber zum Glück bewertet sie all das nicht über und betrachtet die vorgestellten Fotografinnen vor allem als das, was sie waren: Eigenständige künstlerische Persönlichkeiten, die zumeist unabhängig agierten, ihre eigenen Ziele verfolgten und nicht zwanghaft in irgendwelchen neuen oder alten Rollenbildern von Mann und Frau verortet werden müssen.
Vorgestellt werden Berenice Abbott, Lee Miller, Florence Henri, Ré Soupault, Ilse Bing, Marianne Breslauer, Germaine Krull, Gisèle Freund, Claude Cahun und Dora Maar.
„Scharfsichtige Frauen“* von Unda Hörner umfasst 143 Seiten mit 67 teilweise ganzseitigen Fotos und Abbildungen und ist für 25€ in der Edition Ebersbach oder für 21€ bei der Büchergilde Gutenberg (für Mitglieder) als gebundene Ausgabe erhältlich.
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