26. April 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Das Schwein, das ich also bin.

von Miru Kim

Die koreanisch-amerikanische Künstlerin Miru Kim hat sich für ihre Serie „The Pig That Therefore I Am“ in die Gesellschaft von mehreren hundert Schweinen in Farmen mit Massentierhaltung begeben. Es geht um Poesie, um die Haut, die uns umgibt und auch um unser Verhältnis zu den Tieren, die wir essen.

Die Serie berührt mich auch deshalb, weil ich mich selbst gerade mit vegetarischer Ernährung, also auch den Auswirkungen von Massentierhaltung beschäftige. Mirus Motivation kommt aus einer ähnlichen Richtung, weil sie während ihrer Schulzeit von der Ähnlichkeit der Anatomie von Mensch und Schwein und später an der Kunstschule von Fotos aus Schweinefarmen überrascht war.

von Miru Kim

Wir können ein Stück Fleisch unbekümmert essen, weil die über weite Strecken grausame Realität der Massentierhaltung uns gar nicht bekannt ist oder wir sie erfolgreich verdrängen. Die Industrie dahinter weiß sehr genau, wie wichtig dieses Unwissen ist – dementsprechend schwer war es für Miru auch, Zugang zu Farmen zu bekommen, um ihre Serie umzusetzen.

Langsam hat sie sich dort den Tieren genähert. Erst vom Gang aus durch die Gitter, zwischen denen die Schweine neugierig ihre Nasen hindurchsteckten. Dann im direkten Körperkontakt, Haut auf Haut, im Speichel, Urin und Kot der Schweine.

von Miru Kim

Die Lücken und Abstände zwischen ihr als Mensch und den Schweinen um sie herum haben sich schnell geschlossen. Wärme hat sich von einem Körper auf den anderen übertragen, es entstand eine Intimität, die über die Unterschiede hinweg aus den vielen Leibern wieder eine große Einheit gemacht hat.

Miru beschreibt, dass während sie nackt zwischen den Tieren auf allen Vieren stand, sich langsam Emotionen gebildet haben. Auch ohne Worte konnte sie sich mit den Tieren verständigen: Über Blicke, Berührungen, Bewegungen ihres Körpers mit denen der Tiere. So konnte sie ihre Bedürfnisse deutlich machen, wenn die Schweine zu harsch mit ihr umgingen, schubsten oder zu schmerzhaft bissen.

von Miru Kim

Die Arbeiten sollen beim Betrachter Fragen aufwerfen. Fragen über unser Verhältnis zu den Tieren, die wir essen. Fragen darüber, wie die Tiere, die wir essen, eigentlich aufgewachsen sind. Die Antworten will Miru Kim aber nicht vorgeben. Sie als nackter Mensch wird zum Stellvertreter, in den wir uns hineinversetzen können. Wie würde es sich anfühlen?

Auf der gestalterischen Ebene untersucht diese Serie auch die Haut, die uns und die Tiere umgibt. Unser größtes Organ, das Schutzhülle und gleichzeitig einer der wichtigsten Kanäle zur Kommunikation mit der uns umgebenden Außenwelt ist. Es ist erstaunlich, wie wenig sich unsere Haut von der der Schweine unterscheidet. Wie man oft zwei Mal hinsehen muss, um den nackten Körper der Künstlerin zwischen all den anderen nackten Leibern zu entdecken.

von Miru Kim von Miru Kim

An dieser Stelle kommt die surreale, utopische Komponente hinein: Hunderte Schweine, eng eingepfercht – dieses Bild beunruhigt kaum. Wir denken nicht immer daran, aber irgendwie gehört es zum Alltag. Ein Mensch zwischen den eingesperrten Tieren irritiert uns aber. Erst recht der weitergeführte Gedanke an hunderte nackte Menschen, die so zwischen den Gittern sitzen. Eine unvorstellbare Situation – warum eigentlich, wenn das mit Schweinen normal ist?

Die Künstlerin möchte auch, dass ihre Fotos poetisch sind und eine gewisse Art von Schönheit ausstrahlen. Wenn die Schweine in einem warmen, sanften Gegenlicht ihren nachmittäglichen Schlaf halten, Miru ruhig zwischen ihnen liegt, sich vielleicht sogar an einen anderen Körper schmiegt, kann ich diese Schönheit sehen. Dann kann ich die philosophischen und politischen Gedanken, die diese Serie in mir anregt, kurz vergessen. Und meinen Blick in den weichen Formen unserer Körper schweifen lassen.

von Miru Kim von Miru Kim

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