Smilla Dankert über ihre Straßenportraits
Seit ca. eineinhalb Jahren fotografiere ich Menschen auf der Straße, die ich spontan anspreche. Meine Kamera habe ich beinahe immer dabei. Wenn mir jemand auffällt, der mich interessiert oder neugierig macht, frage ich, ob ich ein Foto machen darf. Ich erzähle von meinem Blog „anders-anziehen“, auf dem ich die Fotos mit einem kurzen Text veröffentliche.
So entstehen kleine Alltags-Portraits ganz unterschiedlicher Menschen – arme, reiche, alte, junge – in meinem Blog sind alle vielfältig vertreten. Nie überrede ich jemanden. Wenn ich Zweifel wahrnehme, rate ich selbst sogar ab.
Bei meinen kleinen Fotoreisen durch die Stadt ergeben sich oftmals bemerkenswerte Begegnungen, ich erfahre interessante Geschichten und gewinne einen kurzen Einblick in ein fremdes Leben.
Beim Fotografieren nehme ich mir die Freiheit, ganz nach Lust und Laune vorzugehen. Ich spreche nur Menschen an, die mich in dem Moment wirklich interessieren, bei denen es mich in dem Moment nicht anstrengt, sie anzusprechen. Das kann bedeuten, dass ich jemanden vorüberziehen lasse, einfach weil ich nicht in der richtigen Stimmung bin. Auch wenn ich es selbst vielleicht bedauere und es am nächsten Tag wieder ganz anders sein kann. Natürlich habe ich so meine Lieblingsgeschichten. Begegnungen, die ein besonders langes Echo haben.
Da ist z.B. Basi, ein junger Mann für den ich einmal eine Vollbremsung mit dem Fahrrad gemacht habe. Er stand so an der Straße, in Arbeitskleidung, eine Zigarette in der Hand und beide hatten wir nur ganz kurz Zeit. Basi hat erzählt, dass er die 50er Jahre liebt und ich konnte merken, dass dies keine oberflächliche Angelegenheit ist. So haben wir uns verabredet und uns eines Tages an seinem Kleiderschrank wiedergetroffen. Dabei ist eine richtige Fotostrecke herausgekommen und ich bin noch immer beeindruckt von Basis Kenntnisreichtum der 50er Jahre und vor allem von seiner ruhigen Persönlichkeit.
Elvis ist ein Obdachloser, dem ich auch immer wieder mal begegne. Er ist schon zwei Mal im Blog. Als der letzte Winter sich mit Eiseskälte breitgemacht hat, habe ich Elvis in der Innenstadt wiedergetroffen. Ich habe mir Sorgen gemacht und ihn auch gefragt, ob er etwas braucht. Im Text zu seinen Bildern habe ich eine Linksammlung zu Sach- und Geldspenden für obdachlose Menschen veröffentlicht. Bei unserer ersten Begegnung, bei der das unten stehende Foto entstanden ist, hat Elvis mir seine Geschichte erzählt. Er lebt seit 27 Jahren auf der Straße. In ein Wohnheim zu gehen kommt für ihn nicht in Frage.
Letztes Jahr war ich zehn Tage zum Fotografieren in Istanbul, Partnerstadt von Köln und Europäische Kulturhauptstadt 2010. Dort sind Fotos entstanden, die ich später, zusammen mit Bildern aus Köln, in einer Ausstellung im Rahmen von „Köln fotografiert“ parallel zur Photokina gezeigt habe.
In Istanbul bin ich dem türkischen Fotografen Ara Güler begegnet. Er saß im Café neben mir am Tisch. Ich habe mein Glück etwas herausgefordert und erst ganz in Ruhe aufgegessen, bevor ich ihn angesprochen habe. Auch auf die Gefahr hin, dass er inzwischen aufsteht und geht. Ich habe ihn dann angesprochen, um ein Foto gebeten und auch gefragt, ob ich mich einen Moment zu ihm setzen darf.
Für das Foto hatte ich gefühlte 20 Sekunden Zeit. „What do you want to know?“, wollte er anschließend von mir wissen. Da sitzt man dann vor einem weltberühmten Fotografen und jede Frage erscheint nichtig. Also habe ich geantwortet: „Eigentlich möchte ich einfach nur ein bisschen bei Ihnen sitzen.“ Danach war er viel freundlicher und hat ganz von selbst erzählt. Das war eine sehr besondere Begegnung für mich und ich mag auch das Foto von ihm sehr.
Natürlich gibt es noch viel mehr Geschichten und Begegnungen, die mir am Herzen liegen. Ich fotografiere zum Beispiel besonders gerne alte Menschen. Die Geschichten, die sie erzählen sprechen von jeder Menge gelebtem Leben und man kann so manche Preziose entdecken, was Haltung, Einstellung oder Lebensklugheit angeht. Wie zum Beispiel bei diesem Herren, der erzählt hat, wie Lesen ihm zwei Mal das Leben gerettet hat.
Mit meinem Blog möchte ich anregen, sich in andere Menschen, deren Mikrokosmen und Lebensweisen hinein zu versetzen. Den Blick einmal abseits der eigenen, bekannten Sichtweise in das Leben und den Alltag anderer schweifen zu lassen, ohne zu werten.
Ich möchte dazu einladen, einen Blick unter die Oberfläche zu werfen, die bei der Orientierung im Alltag in unserer Gesellschaft immer eine so große und oftmals endgültige Rolle spielt.