23. April 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Ich konnte dieses Foto nicht machen.

Sonntagmorgen. Zwei Wochen Urlaub lagen vor mir. Ich war viel zu früh wach (wie immer). Am Abend vorher hatte ich mir schon vorgenommen, noch einmal den Melaten-Friedhof in Köln mit der Kamera zu erkunden. Falls jemand aus Köln oder Umgebung kommt und nicht abgeneigt ist, auf Friedhöfen zu fotografieren, dem kann ich es nur empfehlen, dort mal vorbeizuschauen.

Tasche gepackt, auf den Roller geschwungen und los. Mit der üblichen Mischung aus Vorfreude und Skepsis, ein gutes Motiv zu finden, fuhr ich durch ein noch verschlafenes, aber sonniges Köln in Richtung Melaten.

Mit Van Morrison auf den Ohren schlenderte ich durch das sonnige Labyrinth aus kleinen Wegen, an denen sich die Gräber reihten. Relativ neue und zum Teil völlig verwetterte wechselten sich ab. Ich genoss die Ruhe, die so ein Friedhof ausstrahlt.

Dann entdeckte ich hinter der ersten Grabreihe eine große, aber versteckte Lichtung mit einem riesigen Baum in der Mitte, dessen Äste fast die gesamte Lichtung wie ein Dach schützten. Über einen kleinen Trampelpfad ging ich hinein. Die Morgensonne tauchte den Ort in goldenes Licht und ich zückte meine Kamera. Unterhalb des Baumes stand eine Bank, die mich irgendwie anzog. Also setzte ich mich hin und wollte von dort aus ein schönes Motiv finden. Ich nahm mir Zeit, denn ich hatte das Gefühl, einen magischen Ort gefunden zu haben.

Mein Blick schweifte über die kleinen, frischen Blumen, die auf der Wiese wuchsen, wanderte über das Schattenspiel der Äste und kam bei den Gräbern weiter hinten auf der Lichtung an. Mir fiel auf, dass die Gräber dort sehr dicht beieinander lagen und viele bunte Details aufwiesen. Wahrscheinlich auch ein Grund, warum dieser Ort auf dem Friedhof so speziell auf mich wirkte, denn viele Farben findet man dort normalerweise nicht.

Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass die Gräber und Kreuze nicht nur bunt, sondern auch sehr klein waren. Von einem Moment auf den anderen wusste ich, wo ich war. Ich befand mich auf einem Kinderfriedhof. Viele Gräber hatten nur ein Datum, bei anderen lagen nur wenige Monate oder Jahre zwischen Geburts- und Todesjahr.

~.~

Ich vermute, dass ich als Vater einer vierjährigen Tochter sensibler auf dieses Thema reagiere als Menschen ohne Kinder. Aber ich denke, jeder kann nachvollziehen, dass mir innerhalb von Sekunden die Tränen in die Augen schossen. Ich konnte das alles gar nicht fassen. Es waren bestimmt 50 oder mehr kleine Gräber und ich hatte ein Gefühl, als überkäme mich die gebündelte Trauer der Eltern. Ich kann mir wenig Traurigeres vorstellen, als den Tod der eigenen Kinder zu erleben. Kein Mensch sollte seine eigenen Kinder zu Grabe tragen. Ich war wirklich fassungslos.

Aber gleichzeitig ist es auch wunderschön, denn diese Stelle auf dem Friedhof liegt da ganz versteckt und beschützt von diesem riesigen Baum in der Mitte. Überall stehen kleine Windräder, Fähnchen oder bunte Figuren. Dazu die kleinen Gräber, die sich eng aneinander schmiegen, sodass man nur auf kleinen Trampelpfaden dazwischen laufen kann.

Es wirkte fast so, als hätten die Kinder dort einen ewigen Spielplatz gefunden und als hätten sie da, wo sie jetzt sind zusammen eine Menge Spaß. Als hätten sie Frieden gefunden.

~.~

Ich überlegte, ob ich diesen Ort mit seiner Magie fotografisch festhalten könnte.

Ich wollte, aber ich konnte nicht. Es fühlte sich einfach nicht richtig an.

Ich konnte dieses Foto nicht machen.

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