Im Gespräch mit Christopher Hall
Seit Längerem schon bin ich mit Christopher auf Flickr in Kontakt, wo man ihn am besten unter seinem Pseudonym Dead Slow kennt.
Christopher lebt in San Francisco, fotografiert Objekte, die er auf der Straße vorfindet und ist vor allem für seine „Vintage Car Shots“ bekannt. Zwei Fotobücher mit diesem Thema findet man in seinem Blurb Bookstore.
Im Gespräch mit ihm möchte ich nun herausfinden, wie er es schafft, eine gewisse Atmosphäre von Nostalgie und eine Art von subtilem Humor in seine Bilder zu bringen, die mich und viele andere immer wieder inspiriert.
Hey Christopher! Schön, dass du Zeit für ein Interview gefunden hast. Stell dich am besten einmal kurz vor und erzähl uns etwas über deinen Hintergrund.
Hi Robert, ich freue mich sehr, dass du mich um ein Interview gebeten hast. Ungefähr als ich sechzehn war, gab mir mein Vater eine Agfa Optima; ich war auf dem Weg zu einem Sommer-Austauschprogramm in Saarbrücken. Das war so ziemlich das erste Mal, an das ich mich erinnere, dass ich mich für Fotografie interessierte.
In den Achzigern dann lernte ich, meine eigenen Schwarzweiß-Aufnahmen zu entwickeln. Zu dieser Zeit war ich als Soldat in West-Berlin stationiert. Die Armee hatte ein gut ausgestattetes Fotolabor, das wir als Soldaten nutzen konnten.
Ich hatte damals verschiedene DDR-Kameras, bis ich mir 1984 schließlich eine Canon AE-1 leisten konnte. In diesen Jahren verbrachte ich meine Freizeit entweder im Fotolabor oder lief durch die Straßen auf der Suche nach Fotogelegenheiten.
In den Neunzigern legte ich eine lange Pause ein, fand aber später über die sich entwickelnde Digitaltechnik den Wiedereinstieg in die Fotografie. Das war lange bevor ich entschied, dass mir der Look von Film wesentlich lieber ist.
Jetzt fotografiere ich wieder hauptsächlich analog. Ich habe zwar noch eine digitale Kamera, besitze aber nicht die Geduld, stundenlang vor dem Rechner zu sitzen, bis ich die Fotos so habe wie ich sie möchte.
Von heute aus zurückgeblickt, muss das damals in Berlin doch eine unglaubliche Zeit gewesen sein, oder?
Ja, absolut. Bewaffnete Grenzwachen an der Mauer zu sehen oder von Berlin nach Helmstedt zu fahren war zuerst schockierend, wurde aber schließlich alltäglich.
Ich fuhr sehr gern dann mit der S-Bahn, wenn es für das amerikanische Militär eigentlich verboten war. Auf vielen Strecken fuhr zu der Zeit für gewöhnlich niemand außer der Zugführer. Die Haltestellen zerfielen langsam und sahen aus, als hätte dort die Zeit seit 1962 stillgestanden.
Auch neben der Teilung von Ost und West geschahen damals erstaunliche Dinge – fast 200 besetzte Häuser, häufige Krawalle und Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Autonomen oder sogar Unruhen als Reagan Berlin besuchte.
Ich glaube, ich bereue am meisten, dass ich zu dieser Zeit nicht mehr fotografiert habe. Aber ich musste ja mein Taschengeld gut einteilen für Film und Bier. Das war wirklich eine Wahnsinnszeit.
Haha, du scheinst dich also öfter für das Bier entschieden zu haben. Du hast gerade schon erwähnt, dass du wieder analog fotografierst, weil du den Look von Film magst. Könntest du darauf etwas näher eingehen?
Allgemein gesagt, denke ich, dass man schon sehr schnell ein auf Film belichtetes Bild von einem digital aufgenommenen unterscheiden kann. Digitalfotos haben oft durchweg eine ausgeprägte Schärfe und grundsätzlich bin ich kein besonders großer Fan kräftiger Farben.
Es gibt natürlich Digitalfotografen, die ziemlich geübt sind, den Look von Film nachzuahmen und ich nehme an, das ist ein möglicher Ansatz. Ich selber jedoch verbringe meine Zeit viel lieber mit allem anderen als stundenlang in Photoshop herumzuschummeln.
Mir ist aufgefallen, dass ich mit Film eher zu Langsamkeit neige und viel gewissenhafter mit Blickwinkel, Komposition und Licht einer bestimmten Szene arbeite. Nicht zuletzt deswegen, weil ja jedes Bild ein ordentliches Stück Geld kostet.
Ich genieße eigentlich die Zeit der Vorahnung, nachdem ich den Film in die Entwicklung gegeben habe und dann warte, um einige Tage später zu sehen, was dabei herausgekommen ist.
Als ich noch digital fotografiert habe, schoss ich 30 Bilder in der Hoffnung, dass ein gutes dabei herauskommen würde. Irgendwann habe ich entschieden, dass das ein ziemlich träger Ansatz ist – er bedarf einfach wenig Grips. Ich weiß, dass es mich sehr zufrieden macht, Dinge auf altmodische Art und Weise zu machen. Ich denke auch, dass ich auf diese Weise einiges mehr über Fotografie gelernt habe.
Zugleich weiß ich, das es Menschen gibt, die verächtlich auf Digitalfotografie herab blicken und ich halte das für sehr bedauernswert. Solche sinnlosen Urteile passen mir nicht. Ich denke, die Fotos sind das Entscheidende; wie man dazu kommt, ist untergeordnet und nicht wert sich darüber zu streiten.
In meinem Fall mag ich Film, weil er schön zu der Art von Projekten passt, die ich gern mache. Aber ich würde niemals behaupten, dass man nicht auch gute Ergebnisse mit einer Digitalkamera erzielen kann.
Das sehe ich genauso. Wir haben heute sehr viele technische Möglichkeiten, können mit Film fotografieren und ihn digitalisieren oder digital fotografieren und eine Filmemulation benutzen. Ich bin etwas vorsichtig damit, die Wahl des Mediums schon zu einer Frage des Stils zu machen. Dennoch: Ich finde, insbesondere deine Mittelformatbilder haben eine sehr prägnante Atmosphäre. Was denkst du, kann man da schon von einem – deinem – Stil sprechen?
Also, ich gehe mal davon aus. Ich habe ein paar Freunde, die gern darüber Witze machen, dass ich ziemlich deprimierende Fotos mache. Zumindest hoffe ich, sie machen Witze. Ich habe eine Vorliebe für Tage mit bedecktem Himmel und ich verwende fast immer den gleichen Film (Kodak Portra 400 NC – dessen Produktion leider eingestellt wurde) und diese Kombination liefert mir sehr beständige Ergebnisse.
Mir gefällt es, eine Geschichte zu erzählen. Wenn mir das mit einem einzelnen Bild gelingt und Leute darauf reagieren, dann macht mich das glücklich.
Viele meiner „Autobilder“ handeln von soviel mehr als nur Autos – sie beschreiben einen Ort, eine Erinnerung, oft etwas, woran ich mich aus meiner Kindheit erinnere.
Ich weiß, dass insbesondere meine Bilder von stehen gelassenen Gegenständen vermutlich häufig traurig wirken, aber für mich sind sie gar nicht deprimierend, ich sehe viel mehr einen gewissen Humor darin. Jedes dieser Objekte hat eine Geschichte.
Wenn du diese Objekte findest, arrangierst du sie dann manchmal auch ein bisschen, bevor du sie fotografierst?
Na ja, ein oder zweimal habe ich mir die künstlerische Freiheit genommen, ein bisschen neu zu ordnen, aber generell ziehe ich es vor, die Dinge so zu fotografieren wie ich sie finde.
Ich bin sogar auch manchmal schon an potenziellen Motiven vorbei gelaufen, weil sie nicht so aufgestellt waren wie ich es gern gehabt hätte. Das ist besonders schwierig, weil „Fundsachen“ oft genauso schnell verschwinden wie sie auftauchen. Man weiß also nie genau wie lange etwas auf der Straße stehen bleiben wird.
Ich hatte schon häufig Situationen, dass Dinge aufgesammelt wurden, gleich nachdem ich mit dem Fotografieren fertig war. Dass ich darum bitten musste, etwas so lange stehen zu lassen bis ich fertig würde, war allerdings noch nie der Fall.
Welche sind deine Vorbilder? Hast du Lieblingsfotografen, die dich inspirieren?
Ja, absolut. Die Unterscheidung zwischen historisch und zeitgenössisch ist dabei aber etwas unklar in meinem Kopf. Mir kommen sofort Stephen Shore und Joel Meyerowitz in den Sinn – was sie in den Siebzigern fabriziert haben, ist einfach unglaublich und versorgt mich tonnenweise mit Inspiration.
Sie leben aber beide noch und deswegen ist es sicher nicht ganz zutreffend, sie als historisch einzuordnen. Eggleston fällt mir auch noch ein, obwohl in seinen Fotos eine gewisse “Southern Sensibilty” steckt, die nicht ganz auf meiner Wellenlänge ist.
Ich schätze mich extrem glücklich, dass ich hier in San Francisco an einer großartigen Quelle für Fotografie bin. Die Rede ist von der „Pilara Collection“, die in Pier 24 ausgestellt ist.
Man kommt dort nur mit Verabredung hinein und auch nur in kleinen Gruppen mit bis zu 20 Leuten. So kann man diese unglaublichen Fotos ohne Gedränge genießen, wie man es aus so vielen Museen kennt.
Ohne jetzt zu weit abschweifen zu wollen, würde ich jedem empfehlen, der sich für Fotografie interessiert und nach San Francisco kommt, sich möglichst früh einen Termin für Pier 24 zu besorgen.
Unter aktuelleren Fotografen gefallen mir besonders die Arbeiten von David Hilliard. Er hatte bis jetzt noch keinen großen Einfluss auf mich, aber jedesmal, wenn ich seine Arbeiten sehe, bekomme ich Lust, selbst mehr Porträtfotos zu machen.
„Sawdust Mountain“ von Eirik Johnson ist ein Buch, das mir sehr gefällt und ich hatte das Glück, vor einigen Monaten seine Ausstellung zu sehen. Meine Liste aktueller Lieblingsfotografen ist wahrscheinlich endlos. Um eine 20-seitige Aufzählung zu vermeiden, belasse ich es jetzt einfach mal bei den genannten.
Danke für die guten Tipps. Du hast schon erwähnt, dass du in Zukunft mehr Porträts machen möchtest. Vielleicht kannst du zum Abschluss unseres Gespräches noch darauf eingehen, was deiner Meinung nach für ein gutes Porträt wichtig ist.
Es hilft natürlich, wenn man dafür jemanden mit einem interessanten Gesicht findet. Meiner Erfahrung nach fand ich es immer entscheidend, dass sich das Modell entspannt. Ich hatte einigen Erfolg darin, wenn ich die Person in ein Gespräch verwickelt habe und sie über etwas reden ließ, das ihr wichtig ist. Das lenkt sie tendenziell ab und sie konzentriert sich nicht mehr so sehr auf die Kamera vor ihr.
Ich mag es auch Porträts in einer Umgebung zu fotografieren, wo sich das Modell ungezwungen fühlt – idealerweise bei jemandem zu Hause oder in einer Arbeitsumgebung. Man muss richtig daran arbeiten, damit das Modell sich wohl fühlt.
Christopher, herzlichen Dank für das Interview.