03. Januar 2023 Lesezeit: ~6 Minuten

RUGIA – ein subjektives Portrait von Rügen

Als Fotokünstlerin arbeite ich vorzugsweise im Format Fotobuch, weil ich darin viel kreatives Potential sehe. Es ermöglicht mir nicht nur ein visuelles Narrativ, sondern auch eine vielfältige Gestaltung auf der konzeptionellen Ebene. Mein neues Fotobuch RUGIA ist ein subjektives Portrait einer Insel in Bild und Sprache. Es ist komplex im Umfang, vielschichtig in seiner Lesbarkeit und dennoch leicht zugänglich.

RUGIA ist ein sehr persönliches, von Zuneigung und Zuversicht durchdrungenes Fotobuch über die Insel Rügen. Seit meiner ersten Reise nach Rügen in den 80er Jahren zu den Großeltern meines damaligen Freundes und heutigen Ehemanns wächst in mir das Bedürfnis nach einer Verbindung zu dieser Insel.

Person umarmt Pferd

Eine Hand mit vier Eiern

In den Sommerferien wohnten wir bei den Großeltern auf ihrem Bauernhof in Wiek, fuhren mit dem Fahrrad zum Nordstrand oder kletterten waghalsig die Kreidefelsen hoch. Dreiteilige Rosshaarmatratzen, Plumpsklo, Wasser von der Pumpe. In Schüsseln Geschirr abgewaschen, Hände und Haare – nicht alles war schön. Das ist wahr.

Für mich, ein Großstadtmädchen, das sich ohne Zuversicht immer wieder neu definiert, weil es entwurzelt seine Identität selbst erschaffen muss, war alles, was Heimat hieß, gemütlich. In Wiek habe ich angefangen, das Beständige und Vertraute zu schätzen und begehrte es zunehmend stärker als das Neue und Moderne.

Inzwischen kenne ich auf Rügen jede Menge Schleichwege. Das macht aus mir noch keine Rüganerin. Rügen meine Heimat nennen, das darf ich nicht. Dafür fehlt mir das gewisse Gen. Das Gefühl, hier einheimisch zu sein, habe ich aber. Nicht nur, weil ich weiß, wo das Wild über die Straße wechselt und ich in der Dämmerung den Fuß vom Gas nehmen muss. Nicht, weil ich das richtige Strandgut erkenne, um darin nach Bernstein zu suchen. Sondern wegen meiner vertrauensvollen Beziehung zu den Fischer*innen und meinem Versorgungsnetzwerk lokaler Erzeuger*innen von Brot, Honig, Gemüse und Geflügel.

Wegen all der Bekanntschaften, die mir das Inselleben näherbringen und meine emotionale Bindung an diesen Menschenschlag festigen. Und, weil es mein Herz erwärmt, wenn ein Nachbar fragt, ob ich im Urlaub war, weil wir uns eine längere Zeit nicht begegnet sind.

Vor 13 Jahren habe ich angefangen, Bilder zu sammeln, die meine persönliche Bindung an Rügen und die Menschen spiegeln. Es dauerte viele Jahre, bis ich erkannte, dass ich bei den Einheimischen ankommen muss und die Landschaft alleine nicht genügt, um Wurzeln zu schlagen.

Man kann in der Natur wunderbar entspannen. Aber wirklich etwas mitnehmen, was unser Leben bereichert, können wir von Menschen. Wir sind oft einfach nur zu schüchtern, um auf sie zuzugehen und ein Gespräch anzufangen. Denn, wenn wir ganz ehrlich sind – uns interessiert, wer die Einheimischen sind und wie sie leben. Genau das zeigt RUGIA. Bodenständige Menschen in ihrem Alltag. Es ist die Freiheit der Selbstbestimmung, die mich am Leben dieser Menschen beeindruckt und dazu inspiriert, meine Werte und meinen Lebensstil zu hinterfragen.

Wäsche im Wind

Zwei lachende Menschen

Wenn man danach sucht, findet man auf Rügen Landstriche, an die sich kein*e Tourist*in verirrt. Man biegt einfach in einen unscheinbaren Plattenweg ein und lässt sich überraschen, wo er hinführt. So habe ich die Waldstraße und die anliegenden Bunker und Bauwerke entdeckt. Hier kann man ungestört spazieren gehen und es ist eine gute Stelle, um Pilze zu suchen.

Ich besuchte diesen Ort einige Male und kam erneut, um den hohen Schornstein in der Nachmittagssonne zu fotografieren. Während ich den günstigsten Blickwinkel für die Aufnahme suchte, vernahm ich hinter einer der Garagentüren das zischende Geräusch eines Schweißgeräts. Es war das erste Mal, dass ich menschliche Anwesenheit auf dem Gelände vernahm. Neugierig schlich ich mich in den dunklen Raum und sah, wie zwei junge Männer einen ausrangierten Einkaufswagen zum Kartoffelroder umbauten.

„Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?“ Eine oft gehörte Frage, wenn ich ein Terrain betrete, auf dem ich eigentlich nichts zu suchen habe. Es gibt drei Typen, auf die ich in solcher Situation treffen kann: Einen, der seine Tätigkeit unterbricht und sich gern auf ein interessantes Gespräch einlässt. Einen, der in Ruhe gelassen werden will. Und einen dritten, der mir die Entscheidung überlässt und abwartet, was geschieht. Er sagt nicht ja und auch nicht nein. Ohne aufzublicken, macht er sein Ding weiter, stellt keine Fragen und antwortet in nötiger Kürze.

Zu meinem Glück gehörte der Schweißer in der Garage zur ersten Kategorie. Fernkraftfahrer von Beruf, erzählte er mir von der Community, die sich auf dem ehemaligen Militärgelände gebildet hatte: Menschen verschiedener Berufe haben sich in leerstehende Hallen eingemietet und verbringen hier ihre Freizeit mit Hobbys. Hinter großen Toren werden Segelboote gebaut und wird an Autos geschraubt. Er schickte mich zu den Stockcar-Jungs, die Fahrzeuge umbauen, um an Rennen teilzunehmen, mit den Worten: „Wenn sie da sind, blüht hier das Leben richtig auf.“ Ich muss zum richtigen Zeitpunkt wiederkommen. Dieser Ort, der mir lange Zeit verlassen schien, birgt für mich noch viele Geheimnisse.

Buch

Den Stillstand während der Pandemie habe ich dazu genutzt, mein sehr umfangreiches Archiv zu sichten und daraus die stärksten Fotos auszuwählen. So baute sich RUGIA zusammen, das in authentischen Bildern und ehrlichen Texten von Rügen abseits des Tourismus erzählt.

Damit RUGIA im Eigenverlag erscheinen kann, habe ich auf Startnext eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, in der ich das Buch zum Vorverkaufspreis anbiete, bevor es gedruckt wird.

Informationen zum Buch

„RUGIA“ von Iwona Knorr
Sprache: Deutsch
Einband: Hardcover
Seiten: 240
Maße: 24,7 cm x 28 cm
Verlag: Eigenverlag
Preis: 56 €

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