zwei Portraits
29. Juli 2022 Lesezeit: ~9 Minuten

Das Heranwachsen mit all seinen Unwägbarkeiten

Die Arbeiten von Laura Pannack verbinden im Kern ihre Leidenschaften für Fotografie und Psychologie. Ihre Sozialdokumentationen und Portraits entstehen oft im Rahmen von persönlichen Projekten, in denen die Londoner Fotografin über mehrere Jahre hinweg Menschen, Orte und Geschichten studiert.

Während kommerzielle Kampagnen groß angelegte Teamarbeit erfordern und oft genug sehr hektisch ablaufen, entstehen ihre freie Strecken zumeist in der denkbar engsten Intimität zwischen zwei Menschen und werden in einem langsamen, geradezu tastenden Tempo erarbeitet.

Seit 15 Jahren fotografiert Laura Pannack beide Formen, genießt die Vor- und Nachteile dieser ganz unterschiedlichen Projektformen und sagt auch, dass diese sich gegenseitig auf völlig unvorhergesehene Weisen inspirieren und befruchten können. Vielleicht schöpft sie im Rahmen des einen jeweils Energie für das andere.

zwei Männer in der Natur

Aus der Serie „Baruch“.

Ihr künstlerischer Ursprung liegt in einer Leidenschaft für das Malen und Zeichnen, von dem ausgehend sie ihre kreativen Ausdrucksformen erweitert hat, bis sie in der Fotografie ein Zuhause fand. Noch immer ist sie besessen davon, einzelne Momente in der Zeit festzuhalten und Geschichten zu erzählen.

Dabei wird sie angezogen von Folklore und Nostalgie, die oft im Alltäglichen zu finden sind. Abseits des Lauten und Glitzernden – genau dort verstecken sich die universellen Themen des Menschseins: Das Verstreichen der Zeit, die vergängliche Jugend, die Liebe.

Laura Pannacks Herangehensweise an eine Serie besteht darin, so viel wie möglich zu recherchieren und zu planen, um die besten Voraussetzungen für verschiedene Ergebnisse zu schaffen. Sie öffnet ihre Arbeiten konzeptuell, sodass der Raum für unterschiedliche Möglichkeiten entsteht.

Diese ausgiebige Recherche und Planung ergibt ein stabiles Grundgerüst, auf dem aufbauend sie dann mit den sich spontan ergebenden Aspekten arbeiten kann. Von der damit ermöglichten kreativen Unvorhersehbarkeit lässt sie sich zu ihren Erlebnissen und Bildern leiten.

Person in weiß

Aus der Serie „Separation“.

Für ihre Projekte ist Laura Pannack viel unterwegs, überall auf der Welt. Oder wie sie sagt: Immer eine Zahnbürste eingepackt, um sofort für die nächste Reise bereit zu sein. Während der Pandemie war das Reisen jedoch kaum möglich.

Auch der persönliche Kontakt war in Großbritannien über Monate hinweg auf den engsten Personenkreis beschränkt. Was macht das mit einer Fotografin, die es seit vielen Jahren gewohnt ist, ständig neue Winkel der Welt zu betreten?

Es war eine Lektion darin, still zu sitzen und tatsächlich über Ideen nachzudenken, anstatt etwas zu tun. Ich habe auch gelernt, Ideen nicht zu erzwingen oder mich selbst zum Fotografieren zu zwingen. Ich habe diese Zeit der Stille sowohl als hilfreich als auch als frustrierend empfunden.

Portrait

Aus der Serie „Digital Self-Esteem“.

Portrait

Ein weiterer Aspekt von Laura Pannacks Arbeiten, der mich interessiert hat, war das Spannungsverhältnis zwischen einer Fotografin, deren Werk in weiten Teilen auf Portraitaufnahmen basiert und der Tatsache, dass nicht nur jeden Tag unglaubliche Mengen Fotos aufgenommen und geteilt werden, sondern dass darunter auch ein beachtlicher Teil professioneller Portraits ist.

Wie können wir in so einer Welt, in der zusätzlich gerade auch junge Menschen obsessiv mit der Optimierung jedes kleinsten Details ihrer äußeren Erscheinung beschäftigt sind, bedeutungsvolle Portraits fotografieren und ausstellen?

Laura Pannacks Motivation dazu speist sich aus der Überzeugung, dass Qualität wichtiger ist als Quantität. Dass so viele Portraits aufgenommen werden, bedeutet auch, dass es sich um ein besonders zugängliches fotografisches Genre handelt. Im Grunde ist es also einfach, Menschen dafür zu begeistern. Die beste Voraussetzung:

Um neue Wege zu erkunden, mit Menschen in Kontakt zu treten. Um in diesem Rahmen gemeinsam Ideen auf eine spielerische und neugierige Art zu entwickeln. Mit dieser geistigen Haltung öffne ich ein Raum, in dem ich darüber nachdenke, wie innerhalb dessen neue Denkanstöße gelingen und etwas Einzigartiges geschaffen werden kann.

Junge in einer Wolke

Aus einer Kampagne für Kerrygold.

Diese Art, Verbindungen aufzunehmen, führt dazu, dass Begegnungen mit Menschen im Mittelpunkt von Laura Pannacks künstlerischer Arbeit stehen. Es hilft ihr dabei, eine tiefe und echte Verbindung zwischen sich und ihrem Gegenüber herzustellen und eine Intimität aufzubauen.

Die gemeinsamen Ideen und Erfahrungen, die sich daraus ergeben, führen zurück zu den Orten, an denen sie sich aufhalten, an denen Menschen verwurzelt sind. Laura Pannack verbindet die Einzigartigkeit dieser Orte mit dem Wesen der Menschen, die sie portraitiert.

Ihr Blick, der sich oft auf Orte fokussiert, an denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, hat Laura Pannack im November 2021 schließlich zu einer Kunstresidenz nach Deutschland geführt. Vier Wochen in der Dübener Heide. Eine Landschaft zwischen Elbe und Mulde, in der Grenzregion von Sachsen und Sachsen-Anhalt.

nackter Mann spielt in einer Sauna Kontrabass

„Pieter“, aus der Dübener Heide.

Sie nutzte diese Gelegenheit, um sich als Fotografin herauszufordern und gleichzeitig an ihre bestehenden Themen anzuknüpfen. In London ist sie ein Stadtmensch, der dazu neigt, sich den gesamten Tagesablauf vollzustopfen und alles genau zu planen.

Die Kunstresidenz namens „Passage“, veranstaltet vom Kultur- und Kunstverein Kemberg e. V., hingegen: Eine ländliche Gegend in Spätherbst, vier Wochen völlig ohne Programmpunkte. Laura Pannack sah darin eine Gelegenheit, sich selbst dazu zwingen, mit dem gegenwärtigen Moment wieder in eine Beziehung zu treten.

Passage zielt darauf ab, die Region der Dübener Heide im Kontext zu ihrer Historie, Landschaft und Kultur durch künstlerische Herangehensweisen mittels Fotografie und Film zu betrachten und regional und überregional zu thematisieren.

Dabei sollen Tendenzen und Schwerpunkte einer sich im Wandel begriffenen Region aufgezeigt werden. „Passage“ sucht nach Wegen, die mit Einfallsreichtum und Kreativität die Sicht auf die Fragilität der Natur erweitern und gesellschaftliche Veränderungen sichtbar machen.

drei Kinder auf der Straße vor einem Plattenbau

Aus der Serie „Island Symmetries“.

In der Dübener Heide griff Laura Pannack zwei thematische Fäden auf, die sie schon seit längerer Zeit in ihrem Werk verfolgt und vor Ort auch vielfältig verbindet. Für ihre Arbeit über Folklore untersucht sie einige Geschichten aus der Region. Ihre Beobachtungen zu Jugend knüpfen an ihr Projekt „Island Symmetries“ an.

Dabei arbeitet sie auch mit lokalen Jugendclubs zusammen, um eine ähnliche Bildsprache zu erreichen. Obwohl es eine Fülle ganz unterschiedlicher Orte auf der Welt gibt, findet man überall auffällige Gemeinsamkeiten. Etwa darin, wie speziell die Jugendzeit in den kleinen, eher abgelegenen Ecken aussieht.

Die unheimlichen, oft subtilen Parallelen sind eine deutliche Erinnerung daran, dass die Jugend universell ist und das Aufwachsen in einer engen Nischengemeinschaft oft vorhersehbare Trends, Beziehungen und Verhaltensweisen mit sich bringt.

Im Mai 2022 besuchte Laura Pannack die Dübener Heide erneut für einen Monat, um die Arbeit an diesem Projekt fortzusetzen.

Mann hängt sich an eine umgestürzte Birke

In der Dübener Heide.

Abschließend möchte ich Eure Aufmerksamkeit auf ihre besonders gestaltete Webseite lenken, die zum Erkunden einlädt und eine unverkennbare, persönliche Handschrift trägt. Sie hebt sich erfrischend von den oft gleichförmigen, modernen Webseiten der meisten Künstler*innen ab.

Gerade vor diesem Hintergrund war ich sehr neugierig, zu erfahren, wie sie dann das Präsentieren ihrer Arbeiten etwa auf Instagram erlebt. Sie teilt dort zu ausgewählten Bildern oft lange Erfahrungsberichte, die einen tiefen Einblick sowohl in ihr Fotografieren als auch ihr persönliches Erleben gewähren.

Hin und wieder stößt sie an die Zeichengrenze, setzt den Text in den Kommentaren fort, dort muss man ihn erst suchen und finden. Das enge Korsett der Plattform, in dem alle im ewig gleichen Format ohne Spielräume ihre Arbeiten präsentieren müssen, könnte nicht weiter von Laura Pannacks behutsam und durchdacht gestalteten Webseite entfernt sein. Wie hält man da Instagram aus?

Ich denke, dass die Präsentation von Arbeiten die einzige Möglichkeit ist, Gespräche zu beginnen und uns selbst herauszufordern. Es geht beim Teilen von Arbeiten nicht um Anerkennung, sondern um Wachstum und Verständnis. Neue Ideen und Konzepte ergeben sich aus den Reaktionen und ich erfahre gern mehr darüber, wie Menschen mit meinen Bildern umgehen oder nicht und warum.

zwei Menschen umarmen sich

Aus der Serie „Young Love“.

Wo ich von der Eintönigkeit und Gleichförmigkeit des endlosen Instagram-Feeds nicht zuletzt auch genervt bin, sieht Laura Pannack eine unendliche Quelle, um neue Arbeiten zu entdecken. Es bietet weitere Möglichkeiten, Bilder zu absorbieren.

Das Online-Erlebnis von Kunst ist eine Ergänzung zu Büchern, Ausstellungen und persönlichen Begegnungen, auch wenn es diese niemals völlig wird ersetzen können, wie die Pandemie uns gerade erst gelehrt hat. Also, besucht Laura Pannack auf ihrer Webseite und auf Instagram. Und dann geht raus. Zu den Orten, zu den Menschen.

Titelbild: Zwei Arbeiten aus der Serie „Youth Without Age“.

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