Verwandlung zwischen zwei Welten
Die neuseeländische Fotografin Lara Gilks kreiert Bilder, die einen beim Betrachten in Geschichten wie die der Gebrüder Grimm versetzen: Episch, düster, voller Rätsel und Mythen. Seltsames passiert in schönen Landschaften oder Tier-Mensch-Kreaturen spielen in einem dunklen, kargen Hinterhof.
Am liebsten arbeitet sie mit Kindern, viele ihrer Fotografien sind beim Spiel mit ihren eigenen Kindern entstanden. Dafür verwendet sie Masken und andere Requisiten, die einen spielerischen, theater-ähnlichen Rahmen ermöglichen, in dem sich die Ideen der Fotografin mit den spontanen Ausdrücken der Kinder zu etwas Neuem verbinden.
Um im richtigen Moment bereit zu sein, hat sie immer eine Tasche mit gesammelten Requisiten dabei und betrachtet das Leben im Allgemeinen durch die Linse des Theaters: Unsere Umwelt ist das Bühnenbild, wir die Figuren, zwischen denen sich der Dialog entfaltet und wer von außen auf das Geschehen blickt, ist das Publikum.
Bei genauer Betrachtung finden sich in jedem Alltag die Motive und Szenen aus Theaterdramen wieder. Diese greift sie heraus und verwandelt sie im Spiel mit Kostümen und Masken zu einer neuen Geschichte, die jetzt auf einer Bühne spielt. Sie hält Standbilder der Szenen fest.
Die Lücken zwischen den einzelnen Bildern füllen wir als Betrachter*innen mit Details und unsere Fantasie erfindet die Handlung, die zu diesem Moment führte und wie es danach weitergeht. Im geschützten Raum hinter der Maske schlüpfen die Protagonist*innen des Stücks in neue Rollen, verbinden Ideen mit Erfahrungen.
So nähert sich Lara Gilks auch den Konzepten ihrer Serien an: Indem sie aus den Motiven der griechischen Mythologie oder Kindheitserinnerungen schöpft. So beschreibt sie etwa sehr eindringlich, was sie zur Serie „Beneath The Ice“ inspirierte, in der märchenhaft in ewigem Schlaf zu liegen scheinende Kindergestalten mit Blumen in Eis gebettet sind.
Als Kind verbrachte sie die Winter in Zentral-Otago, Neuseeland. Am dortigen Diamond Lake genoss sie die winterliche Landschaft, hatte aber großen Respekt vor der gefrorenen Oberfläche des Sees. Gerade der Bereich am Ufer, wo Schilf und Winterblumen wuchsen, faszinierte sie am meisten, war aber auch derjenige, an dem die größte Gefahr bestand, ins Eis einzubrechen.
Die Warnungen der Erwachsenen vor diesem Szenario spann ihre Fantasie zu schaurig-schönen Vorstellungen davon, tatsächlich durch das Eis zu brechen, unter die Eisfläche zu geraten und auf der panischen Suche nach Rettung nach den Blumen zu greifen, die auf der Oberfläche so hübsch und unschuldig gelockt hatten.
In den Fotografien, für die sie ihre Modelle zusammen mit Plastikblumen in heißes, dampfendes Wasser in ihrer Badewanne eintauchen ließ, das an der darüber platzierten Plexiglasscheibe kondensierte, schließt sich der Kreis des fürchterlichen Dramas, das sie sich als Kind ausgemalt hatte:
Nachdem die friedliche Stille des gefrorenen Sees jäh durchbrochen wurde und sie verzweifelt versuchte, der Tragödie zu entgehen, verstummen die Geräusche, wieder kehren Frieden und Schönheit ein. Unter dem Eis zeichnet sich die Szene eines dunklen Gemäldes ab.
Solche und ähnliche Traumlandschaften ersinnt Lara Gilks entlang von Themen wie Metamorphose, Sterblichkeit, Schönheit und Stille. Durch die jungen Akteur*innen ihrer Bildwelten fühle ich mich in die spannungsvollen Fantasiewelten meiner eigenen Kindheit zurückversetzt.
Umgeben von einer sicheren Umwelt mit einem normalerweise beruhigend gleichförmig sich ständig wiederholenden Alltag, verlor ich mich auch gern in dunklen Geschichten, inspiriert von Märchen und Fabeln aus den unterschiedlichsten Büchern. Wohldosierter Nervenkitzel durch Unheimliches.
Am Rande der eigenen Lebensbahnen tauchten immer wieder rätselhafte Dinge auf, die meine kindliche Fantasie in Ermangelung rationaler Erklärungen stattdessen mit teilweise absurden Details ausschmückte, die ich den gelesenen Sagen und Mythen entlehnte.
In den verlassenen Betonstrukturen, in denen wir spielten und dort neben ausrangierten Sofas auch allerlei anderen Kram vom Sperrmüll horteten, hatte sich ganz sicher früher einmal ein grausames Verbrechen abgespielt. Und im verlassenen Haus am Ende der Straße haust natürlich ein böser Mann oder eine alte Hexe.
Aus der heutigen, erwachsenen Sicht mutet diese Flucht in gefährliche, grausame Erzählungen fast etwas verstörend an. Warum stört man als Kind ohne Not selbst diese himmlisch friedliche Realität, in der man aufwächst? Warum steigert man sich selbst manchmal so sehr in eine unheimliche Welt hinein, dass man nachts vor lauter Angst nicht schlafen kann?
Die Sehnsucht nach einem düsteren Drama, das hinter der scheinbar so heilen Welt liegt, scheint im Kern des Menschseins bereits mit angelegt zu sein. Lara Gilks lädt uns mit ihren Bildern in diese verlockenden, dunklen Zwischenwelten ein. Ihr findet sie auf ihrer Webseite oder auf Instagram.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 25. April 2022 veröffentlicht.