Landschaft
09. Juli 2022 Lesezeit: ~7 Minuten

Paul Harts Trilogie über das Fenland

Paul Hart, Jahrgang 1961, ist ein britischer Fotograf, der sich für die Beziehung des Menschen zur Landschaft aus kultureller wie auch ökologischer Sicht interessiert. Seine Arbeiten untersuchen vom Menschen veränderte Topografien wie auch den Umgang und die Nutzung des Landes.

Dafür konzentriert er sich für seine Projekte auf jeweils eine geografische Region und beobachtet sie intensiv über mehrere Jahre. Seine Arbeitsweise wird durch den Einsatz analoger Mittel- und Großformat-Kameras unterstützt. Die dabei entstehenden analogen Schwarzweiß-Aufnahmen begleitet er im gesamten fotografischen Prozess vom Negativ bis zur eigenhändigen Erstellung der Silbergelatineabzüge.

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Holbeach Bank (Farmed)

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Holbeach St. Matthew (Farmed)

Die am Ende entstehenden Fotobücher sind ein zentraler Bestandteil von Paul Harts künstlerischer Praxis. Vier seiner Arbeiten sind als eigenständige Monografien bei Dewi Lewis Publishing erschienen: „Truncated“ von 2009 ist bereits vergriffen. „Farmed“ von 2016, „Drained“ von 2018 und „Reclaimed“ von 2020 bilden die hier vorgestellte Fenland-Trilogie – für das Projekt fotografierte Paul Hart zehn Jahre lang die Fens im Osten Englands.

Nach Fertigstellung der Serie „Truncated“, die sich mit einem sehr dichten Waldgebiet beschäftigte, sehnte Paul Hart sich nach weiten, offenen Landschaften und fühlte sich zunächst zu den kleinen, übriggebliebenen Baumgruppen in den Fens hingezogen. Bald stellte er jedoch fest, dass die landwirtschaftlich intensiv genutzte Landschaft zwischen diesen Bauminseln das viel interessantere Sujet war.

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Lundy’s Farm (Farmed)

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Fosdyke (Farmed)

Als „die Fens“ wird eine Moor- und Marschlandschaft im Osten Englands bezeichnet. Die Region liegt sehr tief, ursprünglich knapp über dem Meeresspiegel, und wurde daher vor allem im Winter regelmäßig und zum Teil auch dauerhaft überschwemmt. Bereits im 17. Jahrhundert wurde damit begonnen, das Gebiet trockenzulegen.

Ein Effekt der Trockenlegung war jedoch, dass die Torferde sich so stark zusammenzog, dass das Land insgesamt stark absank. So drohten neue Überschwemmungen vom nun gegenüber dem Land höhergelegenen Meeresspiegel, die mittels Deichen und Pumpen abgewehrt wurden. Diese Bemühungen zogen sich mit Hilfe immer neuer technischer Errungenschaften bis ins 19. und 20. Jahrhundert.

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Lyn Way (Farmed)

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Windy Corner (Farmed)

Heute gehörigen die Fens mit ihren besonders fruchtbaren Böden zu den ertragreichsten Ackerbaugebieten des Vereinigten Königreichs, es wird vor allem Getreide und Gemüse angebaut. Als vom Menschen stark umgeformte Landschaft der Agrarindustrie interessieren die Fens Paul Hart also ganz besonders.

Paul Harts fotografische Erzählung untersucht die komplexe Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur und wirft Fragen über die vom Menschen veränderte Topografie dieser Landschaft auf. Die Ästhetik seiner Fotografien ist dabei von einer dokumentarischen Sensibilität geprägt. Sie erlaubt den Landschaften, sich selbst zu definieren, indem der Fotograf sich auf übersehene Elemente in vertrauten Landschaften konzentriert.

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Leverton (Drained)

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Sea Bank (Drained)

Bei den Fens handelt es sich durch den tiefen, jahrhundertelangen menschlichen Eingriff heute um eine konstruierte Landschaft, beinahe ohne Möglichkeit der Rückkehr zum ursprünglichen Zustand. Inmitten dieser geraden und rechtwinkligen Linien trotzen noch immer die übrig gebliebenen Bäume ihrer vollständigen Unterwerfung unter die Ordnung.

Sonst ist wirklich alles gerade: Begradigte Flussläufe mit Böschungen, die wie direkt vom Reißbrett in die Existenz gewünscht wirken. Stromleitungen, schnurgerade Straßen und Gräben. Rein funktionale Gebäude, Zäune. Selbst der Horizont ist überall flach und gerade, wie mit dem Lineal in die Welt gezeichnet.

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Hurn’s End (Drained)

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Staunt Road (Drained)

Die Abbildung dieser Landschaften ist auch ein politisches Dokument. Es sind kaum Menschen zu sehen, doch der heutige Blick auf diese umgeformte Natur verweist auf seine eigene Geschichte der grundlegenden Umgestaltung sowie die damit einhergegangenen politischen und sozialen Verwerfungen.

Die oft düstere Bildstimmung ist geprägt vor allem von Abwesenheit: Abwesenheit von Mensch und Tier sowie der erst auf den zweiten Blick auffälligen Geradlinigkeit der umgewidmeten Landschaft, also auch der Abwesenheit von ursprünglicher Natur. Trotzdem wirken diese Fotografien am Ende nicht trostlos oder gar dystopisch. Ihre Wirkung verharrt, in gespenstischer Klarheit, ohne sich zu entscheiden, auf der Kippe.

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Park Farm (Drained)

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Billinghay Skirth (Reclaimed)

Das „Gewicht des Schlamms“ ist beim Betrachten fast spürbar. Alles, was diese Landschaft durchgemacht hat, lief darauf hinaus: Den fruchtbaren Boden nutzen zu können. Noch ist keine Ernte zu sehen, alles noch kahl. Doch das landwirtschaftliche Potential, die Möglichkeit von in Überfluss sprießenden Trieben trieft aus den gerodeten, gepflügten und bereits eingesäten Feldern.

Doch zu welchem Preis wurde diese reiche Ernte erkauft? Hat sich die Arbeit der Trockenlegung und des Lösens von immer wieder neuen dabei auftretenden Problemen, die sich über unglaubliche Jahrhunderte hinzog, am Ende gelohnt? Wiegt all das den heute gesteigerten Ertrag wieder auf? Und welche Artenvielfalt wurde dort eigentlich für immer unwiederbringlich verloren?

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Five Towns Pumping Station (Reclaimed)

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Garwick (Reclaimed)

So kreativ ein einzelner Mensch auch sein kann und so sehr er sich an der Natur erfreuen mag – im großen Zusammenhang menschlichen Fortschritts dominieren bisher doch die Funktionalität und das Gewinnstreben. Die Menschheit strebt danach, die Natur zu beherrschen und auszubeuten; an diesem Ort wird das Ergebnis sichtbar: Eine gefrorene Stille, in gewisser Weise ein künstlich, beinahe tot wirkendes Natur-Stillleben – „nature morte“.

So sehr der Mensch sich auch aus der Natur „herausdefiniert“, am Ende ist er ein Teil von ihr. Was der Mensch der Natur antut, tut er am Ende sich selbst an. So sind die Fens etwa erneut ganz besonders von den Folgen des Klimawandels, allen voran dem steigenden Meeresspiegel, bedroht. Werden sie doch wieder überschwemmt sein? Schließt sich der Kreis wieder, ganz egal, wie sehr der Mensch sich doch dem Lauf der Dinge entgegengestemmt hat?

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Brothertoft Hall (Reclaimed)

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Walpole St. Andrew (Reclaimed)

Mehr von und über Paul Hart findet Ihr auf seiner Webseite sowie auf Instagram. Wer zufällig im April oder Mai in Arizona ist, kann seine Arbeiten auch in persona auf seiner nächsten Ausstellung genießen. Allen anderen seien seine bisher erschienenen Bildbände und seine Handabzüge ans Herz gelegt.

 

Informationen zur Ausstellung

Paul Hart: The Fens
Zeit: 5. April – 28. Mai 2022
Ort: 340 S. Convent Ave, Tucson, AZ 85701 USA

 

Informationen zu den Büchern

Buchcover„Reclaimed“ von Paul Hart, 2020,
mit einem Vorwort von Isabelle Bonnet

Sprache: Englisch, Französisch
Einband: gebundener Leineneinband
Seiten: 108
Abbildungen: 52
Maße: 29 x 29 cm
Verlag: Dewi Lewis Publishing
Preis: 42,95 €


Buchcover„Drained“ von Paul Hart, 2018,
mit einem Vorwort von Francis Hodgson

Sprache: Englisch
Einband: gebundener Leineneinband
Seiten: 96
Abbildungen: 49
Maße: 29 x 29 cm
Verlag: Dewi Lewis Publishing
Preis: 42,95 €


Buchcover„Farmed“ von Paul Hart, 2016,
mit einem Vorwort von Steven Collier Brown

Sprache: Englisch
Einband: gebundener Leineneinband
Seiten: 108
Abbildungen: 56
Maße: 29 x 29 cm
Verlag: Dewi Lewis Publishing
zwei Auflagen ausverkauft


Dieser Artikel wurde ursprünglich am 28. März 2022 veröffentlicht.

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