Tankstelle in schwarzweiß
25. Januar 2022 Lesezeit: ~10 Minuten

In der Schwärze der Nacht

Deine minimalistischen Bilder von Tankstellen und Laternen in der Nacht zeigen wunderbar die Schönheit im Banalen. Kannst Du Dich daran erinnern, mit welchem Bild alles angefangen hat?

Das erste Foto, das zu Beginn der Serie entstand, hat es nicht in die Auswahl geschafft. Es wurde nie veröffentlicht. Die Aufnahme zeigte eine geschlossene Tankstelle, deren Innenbeleuchtung zwei Autos aus den frühen 1900er Jahren enthüllte. Wenn ich es hier beschreibe, hört es sich toll an, aber ich hatte das Bild zu eng beschnitten. Nichts, was ich in dieser Nacht fotografiert habe, hat funktioniert. Damals wusste ich noch nicht genau, in welche Richtung die Serie sich entwickeln sollte. Ich wusste, dass ich Nachtaufnahmen in Schwarzweiß machen wollte. Das war alles, was feststand.

In der ersten Nacht wanderte ich einfach in der Dunkelheit und Kälte des Januarwinters herum und versuchte, der Idee eine Form zu geben. Ich war noch dabei, das Thema und meine Herangehensweise auszuarbeiten. Ich mag es, eine neue Serie mit einer allgemeinen Idee zu beginnen und sie dann nach und nach zu entwickeln oder sich selbst entwickeln zu lassen. Ich finde, das funktioniert für mich besser, als zu versuchen, eine Idee oder ein Konzept zu erzwingen oder direkt nach vorgefertigten Bildern zu suchen. Es benötigte also mehrere Ausflüge, bis ich ein Gefühl dafür hatte, welche Art von Bildern ich aufnehmen wollte.

Das erste Foto, das für mich wirklich Klick gemacht hat, war auch das erste, das ich online gestellt habe. Es zeigt einen ziegel- und schmiedeeisernen Zaun, der einen Friedhof eingrenzt. Ich habe das Bild so komponiert, dass der Lichtmast außerhalb des Bildes steht. Nur die Wirkung des Lichts auf den Zaun, den Gehweg und den Straßenrand ist zu sehen, aber nicht die Lichtquelle selbst. Wenn man sich das Bild genau ansieht, sind im Hintergrund einige Grabsteine zu entdecken.

Friedhofmauer

Mit diesem Bild wusste ich, dass die Serie minimalistisch sein würde. Szenen, bei denen die Dunkelheit der Nacht das Motiv zu verschlingen oder zu umgeben scheint, um es zu isolieren. Das Schwarzweiß ist nicht nur eine visuelle Wahl, es geht auch um das Schwarz der Dunkelheit als das vorherrschende Gefühl oder die vorherrschende Stimmung. Mehrere andere Aufnahmen folgten und bestimmten die Richtung der Serie weiter.

Deine Beschreibung der Stimmung passt sehr gut zu meinem Gefühl, wenn ich die Bilder betrachte. Aber gleichzeitig wirken die Fotos sehr surreal. In der Stadt sieht man selten einzelne Motive so isoliert. Ist das in Atlanta anders oder musst Du viel nach passenden Szenen suchen?

Das stimmt, es gibt ein Gefühl der Isolation in den Bildern. Und die von Schwarz umgebenen Szenen können sich surreal anfühlen. Wir sind es gewohnt, Menschen und Aktivitäten an diesen gewöhnlichen Orten zu sehen. Ich zeige sie leer.

Ich suche viel, um diese Szenen zu finden. Meine übliche Jagd dauert vier bis fünf Stunden und ist mit viel Autofahren verbunden. Atlanta ist – wie die meisten Städte – voll, es gibt kaum offene Plätze, auch nachts. Meine Herangehensweise war, ein oder zwei Autostunden von Atlanta entfernt ein Ziel auszuwählen und während der Fahrt zu suchen. Wenn ich das Ziel, etwa eine kleine Stadt erreiche, steige ich aus und laufe herum. Die Jagd nach dem Motiv macht genauso viel Spaß wie das Fotografieren selbst. Ein paar Stunden lang nichts zu finden und dann etwas Aufregendes zu sehen, das einen auf die Bremse treten lässt, ist ein besonderes Gefühl.

Baum und Laterne in der Nacht

Zu Beginn der Serie suchte ich nach Straßenlaternen und schaute dann, welche Szene ihr Licht beleuchtete. So entstanden Aufnahmen von Bäumen, leeren Straßenecken, einer Zaunreihe, Parkplätzen. Die erste Tankstelle, die ich fotografierte, war eine Insel mit einer Zapfsäule, die für Fahrzeuge der Stadtverwaltung reserviert war. Das Bild hat mir so gut gefallen, dass ich angefangen habe, gezielt nach Tankstellen zu suchen.

Hier im Großraum Atlanta sind sie überall, an fast allen Kreuzungen. Man kann um keinen Block fahren, ohne auf eine zu stoßen. Normalerweise handelt es sich um stark frequentierte Bereiche, die von Einzelhandelsgeschäften und Restaurants umgeben sind. Daher gibt es viele ablenkende Elemente in der Szene und im Hintergrund. Das passt nicht gut zu meiner Art von Bildern. Um isoliertere Szenen zu finden, musste ich raus aus der Stadt in ländlichere Gebiete. Aber auch dort ist dann ist vielleicht nur einer von zehn Orten es auch wert, fotografiert zu werden.

Ich suche meist spät in der Nacht, um keine Autos, die zum Tanken kommen, auf meiner Aufnahme zu haben. Aber das ist schon schwierig, da die meisten Tankstellen nicht die ganze Nacht hindurch geöffnet sind. Bei mehreren Gelegenheiten musste ich auch dreißig oder vierzig Minuten lang ausharren, weil ein Auto nach dem anderen zum Tanken anhielt. Aber das Warten lohnt sich.

Die Tankstellenbilder gehören zu meinen Favoriten in der Serie. Was mich an diesen leeren Tankstellen anzieht, ist ihre Helligkeit inmitten all der Dunkelheit, wie Inseln in einem schwarzen Meer. Ihre schlichte Architektur ist funktional und kalt, aber dennoch stark und anziehend. Ich mag die Art und Weise, wie das Licht auf den zerbrochenen und fleckigen Betonplatten rund um die Pumpen kreist.

Tankstation in schwarzweiß bei Nacht

Und ich finde, dass die harten Linien, das glänzende Metall und die grelle Beleuchtung ein faszinierendes Motiv bilden, das sich perfekt für die Schwarzweiß-Interpretation eignet. Wenn sie so isoliert in der Dunkelheit stehen, haben sie auch eine etwas dystopische Stimmung oder so einen Unterton, den ich faszinierend finde.

Ich denke, die Geldautomaten sind in ihrer Stimmung und dem Gefühl ähnlich. Sie sind jedoch noch schwieriger zu finden, als geeignete Tankstellen. Die überwältigende Mehrheit dieser Geldautomaten ist Teil des physischen Bankgebäudes oder befindet sich auf ihren überfüllten Grundstücken. Aber ich habe einige ziemlich vereinzelte gefunden, auf Einkaufsparkplätzen, einen sogar auf einem Tankstellenparkplatz. Mit der richtigen Rahmung lassen sie sich gut isolieren.

Wie wichtig ist es Dir, dass die Isolation während der Aufnahme erfolgt und nicht in der Nachbearbeitung? Da die Bilder keinen journalistischen, sondern rein künstlerischen Charakter haben, könntest Du die störenden Elemente ja im Nachhinein einfach am Computer entfernen.

Tolle Frage, die sich alle Fotograf*innen stellen müssen. Wie weit kann man ein Bild manipulieren oder verändern und trotzdem noch das Gefühl haben, dass es sich um ein Foto handelt? Der einzige Teil des fotografischen Prozesses, bei dem ich Purist bin, ist die Komposition. Ich beschneide nichts. Ich arbeite vor Ort genau an der Gestaltung des Bildausschnitts. Aber danach endet der Purismus in mir auch schon.

Ich bin kein Fotojournalist und dokumentiere keine Szenen oder Situationen. Ich interpretiere eine Szene und erschaffe ein Bild. Meine Hauptwerkzeuge sind Abwedeln und Nachbelichten, aber ich entferne auf jeden Fall störende Elemente. Ohne zu zögern. Meine Loyalität gilt dem Bild, das ich beim Aufnehmen der Szene in meinem Kopf sehe, nicht der Realität. Wenn ich ein Foto bearbeite, ist es mein Ziel, es auf seine wichtigen Elemente zu reduzieren. Alles andere kann weg. Das ist natürlich total subjektiv.

Kleine Tankstation in schwarzweiß

Diese Serie ist eine Mischung aus Bildern, die nichts anderes als etwas Kontrastarbeit benötigten und anderen, bei denen ich mit dem Kopierstempel arbeiten musste oder Dinge in den Schutz der Dunkelheit nachbelichtete. Mein Ziel war es, Orte zu finden, die in ihrem natürlichen Zustand nahezu perfekt sind, weshalb ich so viel nach den richtigen Tankstellen oder einsamen Straßen suche.

Könnte ich an überfüllten Orten Tankstellen oder Geldautomaten fotografieren, den Hintergrund maskieren und durch Schwarz oder einen Hintergrund aus einer anderen Aufnahme ersetzen? Ja, aber das tue ich nicht. Ich suche gern isolierte Motive und entferne dann, was die Aufnahme davon abhält, das zu sein, was ich will. Zum Beispiel ein Stoppschild oder ein anderes helles Licht, ein Mülleimer, die Kante eines Gebäudes, Dinge, die dem Bild im Weg stehen. Auf diese Weise habe ich das Gefühl, ausschließlich mit dem zu arbeiten, was ich vor Ort einfange.

Laterne und Bank in schwarzweiß

Wann ist die Serie für Dich abgeschlossen? Ich kann mir vorstellen, dass Du nachts nicht mehr unterwegs sein kannst, ohne nach Motiven zu suchen. Und gerade bei langfristigen Projekten ist es schwierig, zu einem Ende zu kommen.

Ja, es ist mir unmöglich, nachts irgendwohin zu fahren, ohne mich nach möglichen Motiven umzusehen. Man könnte ja jederzeit über eins stolpern und muss aufmerksam bleiben. Wenn ich mit meiner Frau unterwegs bin, fragt sie oft: „Was siehst Du Dir da an?“ Und meint eigentlich: „Behalt die Straße im Auge!“

Wann die Serie abgeschlossen sein wird, ist schwer zu sagen. Ich habe mir keinen festen Termin gesetzt. Und Du hast Recht, es ist schwierig zu wissen, wann man aufhören sollte. An einer anderen Serie habe ich vier Jahre lang gearbeitet. Diese hier wird sicher nicht über einen derart langen Zeitraum laufen, aber solange es mir Spaß macht und ich immer noch interessante Dinge zum Fotografieren finde, werde ich weitermachen. Aufhören werde ich spätestens an dem Punkt, an dem sich die Bilder wiederholen. Oder vielleicht im Juni, wenn die Tage lang und die Nächte kurz sind.

Ist eine Abschlussausstellung oder ein Buchprojekt geplant?

Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich konzentriere mich auf das Fotografieren. Ich mag aber den Gedanken, dass die Fotos eine Zukunft in gedruckter Form haben, egal ob in einer Ausstellung oder als Buch. Aber wer weiß? Es ist wie die Suche nach Motiven zum Fotografieren: Man weiß nicht, was einen hinter der nächsten Kurve erwartet.

Dann wünsche ich Dir viel Erfolg bei der Suche nach den nächsten Motiven. Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview wurde für Euch von Herausgeberin Katja Kemnitz aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

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