Die Farben der Nacht
Idyllisch, aber kahl stehen die mächtigen Baumriesen des Kellerwaldes fest in der nordhessischen Sommernacht verwurzelt. Spielerisch werden sie umtanzt von kleinen Lichtern, die Spuren durch die Nacht ziehen, feengleich. Was viele nur erahnen: Hinter diesen bildgewordenen Sinfonien aus Licht, Bewegung und Dunkelheit steckt viel Arbeit. Und jede Menge Freude am Tun. Vier Monate wurde der Nationalpark so zu unserer Bühne, haben wir die Nacht zum Tag gemacht.
Feentanz
Die Idee dafür entstand vor zwei Jahren: Es war ein lauer Sommerabend, als mir die neue Taschenlampe meines Vaters in die Hände fiel. Der Himmel versank gerade in einem malerischen Rot, ich musste unbedingt noch mal raus. Mit Kamera und Stativ zu einem nahe gelegenen Sandbruch hastend, malte ich fünfzehn Minuten später meine ersten Lichtspuren in die Dunkelheit. Es sollte der Beginn einer großen Leidenschaft werden.
Unsere (meine Lebensgefährtin Nadine unterstützte mich tatgräftig) letzte Entdeckungsreise führte mitten hinein ins Reich der urigen Buchen. Die spannende Frage war: Was würde uns abseits der öffentlich zugänglichen Wege erwarten? Durch meine Mitarbeit und die Besuche im Nationalpark hatte ich zumindest eine grobe Vorstellung: Skurrile Baumformen mit eingestreuten Felsfluren und verschlungenen Mittelgebirgsbächen.
Kompositionen aus Licht und Wildnis
In Absprache mit der Nationalparkverwaltung begannen wir im Oktober mit der Arbeit. Unser erstes Ziel: Herbstimpressionen sammeln. Tagsüber galt es zunächst, nach geeigneten Motiven zu suchen. Das konnten von Wind und Wetter gezeichnete Bäume genauso wie markante Felsformationen sein. Oder wie in unserem Fall: In farbenfrohen Herbstgewändern erstrahlende Buchen.
Ist die geeignete Kulisse gefunden, geht es ans Planen: Welchen Standpunkt wählen wir für die Kamera, wie soll der Bildausschnitt aussehen? Wie wollen wir die Szene ausleuchten und wo setzen wir Lichtfiguren? Ist diese Vorarbeit getan, heißt es warten, warten bis die Dunkelheit einsetzt und die eigentliche Arbeit beginnen kann. D
er Sucher der Kamera ist dann schwarz, einzig die von Taschenlampen oder Fackeln gezogenen Spuren bringen Licht ins Dunkel. Was als Zuschauer lediglich wie ein wandernder Lichtpunkt aussieht, enthüllt erst in der Langzeitbelichtung seine wahre Gestalt: Von Kreisen über Spiralen bis hin zu geschlungenen Linien oder funkelnden Sternen.
Manchmal ist weniger allerdings mehr. Hatten wir uns zu Beginn des Projekts noch darauf eingeschworen, möglichst immer mit filigranen Lichtfiguren zu arbeiten, so brach sich bereits nach wenigen Wochen eine neue Sichtweise bahn. Es war einer dieser rauen Herbsttage an denen sich die Sonne, wenn überhaupt, nur selten zeigt. Ich war entlang der Hagensteinroute unterwegs, hatte die mit bizarren Baumgestalten bestandenen Steilhänge gerade hinter mir gelassen. Eigentlich wollte ich umkehren.
Aber wie von Geisterhand gelenkt, ging ich weiter und fand mich Minuten später in einem alten Fichtenforst wieder. Mein Blick schweifte umher, blieb stehen: Was war das? Inmitten der kahlen Fichtenriesen ragte eine vereinzelte Buche empor, erstrahlte in vollem Herbstgewand. Schon bei dieser ersten Begegnung schien sie mir sagen zu wollen: „Ich habe Dich bereits erwartet.“ Solche Worte vergisst man nicht.
Lichtbringer
Alles eine Frage der Beleuchtung
Bis alles so erstrahlt wie es soll, können Stunden vergehen. Auf dem Weg dahin kommen rund zwei Dutzend unterschiedliche, teils modifizierte Leuchten zum Einsatz. Allen gemein ist ihr Zweck: Mit Licht die Kulisse ausmalen, ihr ein völlig neues Erscheinungsbild geben. Es ist, als ob man vor einer dunklen Leinwand steht. Doch während der Maler seinen Pinsel zur Hand nimmt, greifen wir zu Taschenlampe, Fackel, Wunderkerze – eben allem, was leuchtet. Der Verschluss der Kamera bleibt dabei bis zu 45 Minuten offen.
Das Faszinierende an dieser entschleunigten Art von Fotografie lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Ihr Grundprinzip ist einfach, die gekonnte Umsetzung aber erfordert viel Übung und nicht weniger Geduld. Auch die Beharrlichkeit, bei widrigen Wetterverhältnissen loszuziehen, wird manchmal belohnt. Es war Anfang Dezember, der Winter stand vor der Tür. Es war kalt und nass, Schnee noch nicht in Sicht. Alles in allem also ein Wetter, bei dem man eigentlich lieber zu Hause bleibt.
Wäre da nicht der Nebel gewesen. Geräuschlos kroch er durch den Wald, hüllte alles in einen gespenstischen Schleier – wunderschön. Unsere Freude währte jedoch nicht lange: Gegen Mittag hatte sich der Nebelschleier gelüftet, was blieb, war Feuchtigkeit und eine durch jede Ritze kriechende Kälte. Sollten wir abbrechen?
Gegen Nachmittag hatten wir schließlich eine vielversprechende Stelle gefunden. Aber bei dem Wetter? Der Nebel kam unserer Entscheidung zur Flucht zuvor. Kaum setzte die Abenddämmerung ein, da stieg er erneut aus unsichtbaren Quellen empor, kroch langsam auf uns zu. Schnell wurde die Kamera in Position gebracht, die passende Lichtquelle ausgewählt. Und siehe da:
Der bei Tageslicht so unscheinbar wirkende Wald wurde plötzlich zur Kulisse einer mysteriösen Lichterscheinung. Wer das fertige Bild betrachtet, sieht zunächst einmal nur hohe Fichtenstämme, mysteriös beleuchtet. Ein genauer Blick jedoch lenkt das Auge auf eine vereinzelt stehende kleine Buche. Nicht nur einmal wurde ich schon angesprochen, was hinter diesem „Omen“ steckt. Mein Hinweis: Hier wächst die Zukunft. Denn die Fichten sind vom Borkenkäfer befallen, ihre besten Tage gezählt. Fallen sie, machen sie der unscheinbaren Buche Platz. Urwald im Werden.
Etwas schaffen, das nicht von dieser Welt scheint
Ähnliche Geschichten ziehen sich durch die meisten unserer Bilder, auch wenn sie dem flüchtigen Betrachter oftmals verborgen bleiben. Eine besondere Faszination geht dabei von rauen, kargen Orten aus, an denen sich das Leben seinen Existenzanspruch immer wieder neu erkämpfen muss.
Mein liebstes Beispiel: Die Steilhänge des Hagensteins. Brüllende Hitze und quälende Trockenheit lassen die Bäume hier tagtäglich ums Dasein kämpfen. Ihre Wurzeln tief in den Fels gekrallt, recken sich die knorrigen Körper gen Himmel und regen die Fantasie des Betrachters an. Schon bei Tage drängt sich der Verdacht auf: Hier könnten Kobolde und andere Fabelwesen zuhause sein.
Mit der Landschaft arbeiten, aber gleichzeitig etwas zu schaffen, das nicht von dieser Welt scheint, das ist die Zauberformel, die uns immer wieder nach draußen treibt. Es gibt noch viel zu entdecken.