out of place everywhere
Nicht auf Kindergeburtstage eingeladen zu werden, weil ich nur mit meinen Plastikdinosauriern spielen und partout bei keinen anderen Aktivitäten mitmachen wollte, ist meine früheste Erinnerung an Nichtzugehörigkeit. Ich hätte ohnehin keinen Spaß dort, sagten andere Mütter meiner eigenen.
Durch meine Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenalter schien mein Hirn immer nur eine Handvoll Dinge zeitgleich interessant zu finden, diese aber umso obsessiver. Und während leidenschaftliches, brennendes Interesse an einer Sache eine wundervolle Erfahrung ist, die nicht jeder Mensch zu erleben scheint, kann dies die restliche Welt umso trister wirken lassen. So blieb der Kreis der Freundschaften klein und der Unmut über Verpflichtungen wie den Schulbesuch groß.
Auch spätere Entscheidungen wie die Studienwahl wurden nicht dadurch erleichtert, dass Interessen im Verhältnis zu sicheren oder lukrativen Berufswegen gesehen werden sollten. Viele Jahre später bleibt ein Gefühl: Ich finde mich zwar gut in der Welt zurecht, befürchte aber häufig, ich würde woanders hingehören.
Als Jugendlicher versuchte ich, diese Gefühle, die mich nachts wachhielten, über Kurzgeschichten auszudrücken. Surreale Situationen, in denen das Alltägliche durch etwas Absurdes gebrochen wird, die Welt anders funktioniert, schrieb ich stets am liebsten. Dieses Hobby habe ich nie aufgegeben, im Laufe der Zeit aber den Stift oft durch andere Medien ersetzt. Heute ist die Kamera mein liebstes Werkzeug, das Grundvorgehen aber dasselbe.
Vor einigen Jahren experimentierte ich das erste Mal damit, Ideen in Form von Selbstportraits aufs Foto zu bringen. Je zahlreicher meine Bilder wurden, desto mehr teilte ich sie mit Freund*innen und Bekannten. Gespräche über die Hintergründe der Bilder führten dabei nicht selten zu Gesprächen über die eigene Lebenserfahrung. Wie sich zeigte, ist die Unsicherheit darüber, ob man am richtigen Platz ist, keineswegs eine Seltenheit, auch wenn Menschen dieses Gefühl aus verschiedensten Gründen entwickeln und es auf diverse Weisen äußern.
So hinterfragten Bekannte ihre Studiengänge und ihre Zukunftspläne oder warfen diese aktiv über den Haufen. Wiederum andere durchlebten Trennungen, neue Lieben, Glück, Tragödien oder einfach nur ihr normales Leben. Gemeinsam jedoch scheint so vielen verschiedenen Menschen die Frage danach, ob man den richtigen Platz in der Welt einnimmt oder was dieser überhaupt ist.
Momente großer Freude und tiefer Verbindung entstanden, wenn mir Bekannte sagten, ein Bild habe sie bewegt oder erklärten, was sie darin repräsentiert sehen. Die Bilder schienen ein Eisbrecher dafür zu sein, tiefe Unsicherheiten miteinander zu teilen und sich in der Erfahrung als irrende Wandernde zu begegnen.
Im Zuge dessen fragte ich einige dieser Bekanntschaften, ob sie Lust hätten, Teil dieser Bilder zu werden. So entstanden die ersten Fotos, bei denen ich andere Menschen fotografierte oder in Selbstportraits integrierte. Ich spürte erstmals, dass daraus ein kohärentes Projekt werden könnte.
Unter dem Motto „out of place everywhere“ entstanden so über den Zeitraum einiger Monate und Jahre Bilder, die das oft nicht einfach beschreibbare Gefühle der Nichtzugehörigkeit visuell greifbar machen sollten. Manche der Fotos geschahen dabei sorgfältig geplant, andere vollkommen spontan bei gemeinsamen Spaziergängen mit Kamera und Stativ.
Häufig wiederkehrende Elemente der Bilder waren dabei stets ungewöhnliche Posen in gewöhnlicher Umgebung, die das Nicht-Passen des Menschen in seiner Umwelt repräsentierten, sowie der nackte Körper als neutralste Form des Selbst, unbeeinflusst durch soziokulturelle Kleidungsnormen.
Etwa ein Jahr nach seinem Beginn taufte ich das Projekt „Menschwerdung“. Der Mensch als homo sociologicus wird häufig über sein Verhältnis zu anderen und seinem Platz in einem größeren Sozialsystem definiert. Sich seiner Rolle nicht sicher zu sein oder gar wiederholt in neue Rollen zu flüchten, kann es erschweren, seinen Platz als soziales Wesen zu kennen.
Das tiefgehend zu scheinende Bedürfnis, sich seines Platzes und seiner Rolle sicher zu sein, kann als Grundcharakteristikum menschlichen Seins verstanden werden. Menschwerdung bedeutet daher, diesem ungewissen Ort entgegenzuwandern in der Hoffnung, seine menschliche Zugehörigkeit zu erreichen.
Ursprünglich war meine Idee, eine gewisse Anzahl Fotografien anzufertigen und zu kuratieren, die dieses Konzept gut verkörpern sollten. Im Laufe der Zeit und der Begegnung mit neuen Menschen hinterfragte ich jedoch, inwiefern ein Projekt jemals abgeschlossen oder überhaupt endlich sein muss. So beschloss ich, das Projekt von der Grenze seiner Abgeschlossenheit zu befreien und somit mehr und mehr Erfahrungen in Bildform hinzuzufügen.
Meine Hoffnung ist es, mehreren Menschen Zugang zur Erfahrungsteilung zu geben, Sicherheit darin, nicht allein zu wandern und ich blicke mit großer Gespanntheit künftigen Werken entgegen. Ziel für die Zukunft ist es, Teile des Projekts auszustellen, anderen Menschen näherzubringen, neue Kollaborateur*innen zu finden und Bekanntschaften zu schließen. Zu guter Letzt gibt mir die Arbeit Bedeutung, ein Gefühl der Leidenschaft und wird meine Wanderung womöglich eines Tages an ihr Ziel führen.