Mutter Vaterkarenz Kind
Bereits vor der Geburt meines Sohnes stellte ich mir die Frage, wie ich die Kinderbetreuung mit meinem Beruf als selbstständige Fotografin vereinbaren sollte. Es erschien mir am naheliegendsten, mit meinem Mann eine Aufgabenteilung zu finden, die uns beide gleichberechtigt als Bezugspersonen für unser Kind, sowie als Ernährer*innen der Familie etablieren würde. Doch wir merkten, dass dieses Bemühen einige Hürden mit sich brachte.
Arbeitgeber*innen und Gesellschaft scheinen von Frauen eine Babypause zu erwarten, während bei Männern positiv wie auch negativ gestaunt wird. Daneben hatte ich ständig das Gefühl, als Mutter die Bittstellerin zu sein. Mein Ausgangspunkt war nicht derselbe wie der eines Vaters. Auch heute, drei Jahre später, ertappe ich mich dabei, mich regelmäßig bei meinem Mann für Dinge zu bedanken, die sowieso in seinem Aufgabenbereich liegen.
Die gesellschaftliche Messlatte der Fürsorgebeteiligung beim Mann liegt zwischen 0 und 50 % – er tut so viel er kann –, während bei Frauen von 100 % ausgegangen wird – sie tut so viel wie getan werden muss. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ich beschloss, meine Arbeitszeit nach der Babypause mit einer Artist Residency in Portugal zu beginnen. Die Foundation OBRAS unterstützte mich bei der Arbeit an einer Ausstellung in Évora und ermöglichte mir, im Anschluss daran zwei Wochen lang an einem freien Projekt zu arbeiten.
Es kristallisierte sich heraus, dass mich die vorangegangenen Monate stark geprägt hatten. Die Schwangerschaft, die Stillzeit, das enge Beziehungsband, das ich zu unserem Neugeborenen aufgebaut hatte, war intensiver als ich es mir vorstellen hätte können. Sich plötzlich wieder mit den eigenen Bedürfnissen beschäftigen zu dürfen, war ein unglaubliches Gefühl.
Da die Zeit der intensiven Fürsorge- und Hausarbeit einzigartig in jeglicher Hinsicht gewesen war, selten war ich im Leben an so viele Grenzen gestoßen, wollte ich mich auch künstlerisch damit beschäftigen. Ich las viel zum Thema Rabenmütter, suchte nach typischen Mutter- und Vaterbildern, ließ mich durch die von Cindy Sherman kuratierte Ausstellung „Hidden Mothers“ inspirieren, recherchierte Statistiken zu Väterkarenz und initiierte eine Umfrage unter den anderen Künstler*innen der Residency zur Aufteilung der Fürsorgearbeit in ihren Ländern.
Mein Mann und ich waren froh, dass auch er nun die Möglichkeit hatte, diese Zeit zu erleben, und ich begann ein Selbstexperiment. Ich beobachtete Vater und Sohn mit der Kamera, ohne mich einzumischen. In schönen Momenten gelang das gut. Schwieriger war es, wenn Sohnemann weinte, schrie, nicht schlafen konnte oder nicht essen wollte. Als Höhepunkt erkrankte der kleine Mann am Tag meines Künstlergesprächs.
Doch gerade diese Momente schienen Vater und Sohn näher zusammenzubringen und ihr Beziehungsband zu stärken – und lehrten mich in Zurückhaltung. Begeistert von dieser Erkenntnis begann ich, zurück von der Residency, vier weitere Karenzväter zu fotografieren und interviewen.
Das Ergebnis soll im hochwertig produzierten Fotobuch „Mutter Vaterkarenz Kind“ im September 2021 im Verlag für moderne Kunst in Wien erscheinen. Nicht nur Bilder der schönen wie schwierigen Momente sollen darin Platz finden. Auch die nie enden wollende Hausarbeit bricht das idyllische Bild des Wochenendvaters auf, und zeigt, wie gut auch Männer mit den nicht immer einfachen Situationen der Sorgearbeit zurechtkommen.
Durchwoben werden die Bildseiten von Karenztagebuch-Tweets des Ökonomen und Journalisten Peter Sim, im Zentrum stehen die Gespräche, die ich mit den fotografierten Vätern geführt habe. Umrahmt wird das Buch von einem Prolog der Grünen-Abgeordneten zum Nationalrat Sibylle Hamann und einem persönlichen Tagebucheintrag als Epilog. Die Gestaltung und Konzeptionierung kommt von Mato Vincetić.
Da die Produktion des Buches kostenintensiv ist, läuft bis Anfang August 2021 eine Crowdfunding-Kampagne. Um dem Thema Öffentlichkeit zu geben und das Projekt zu unterstützen, lade ich ein, die Seite zu besuchen, ein Buch zu einem reduzierten Vorverkaufspreis oder ein anderes Dankeschön zu bestellen und den Link dazu in den sozialen Medien zu teilen.
Ein wunderbarer Artikel (mit toller Dokumentation!), der mich persönlich berührt. Seit unsere Tochter drei Monate alt ist, arbeitet meine Partnerin wieder und wir teilen uns die Kinderbetreuung nach Möglichkeit 50/50 auf (Teilzeit ist für Familienarbeit ein riesiges Privileg). Am Anfang fiel es mir wirklich schwer, weil die Beziehung durch das Stillen natürlich sehr stark mutterorientiert war und ich nicht wusste, wie ich die Stimmungen von meinem Kind lesen kann. Nach zwei, drei Wochen haben wir uns aber eingegrooved und ich fühle mich seither in meiner Rolle als Vater – neudeutsch – empowered. Elternschaft hat auch immer was mit Geschlechterrollen zu tun und es tut unfassbar gut, mich von dominanten Männlichkeitsvorstellungen zu emanzipieren, mit denen ich mich ohnehin immer schwer getan habe bzw. nicht identifizieren konnte.
Ich kann es wirklich sehr empfehlen, auch wenn es anfangs nicht leicht ist! Es bedeutet logischerweise, besonders in der Selbstständigkeit als Fotograf, dass beide Kompromisse eingehen und planen müssen und erfordert – als selbstständiger Fotograf – nochmal mehr Kommunikation mit Partnerin und Auftraggeber:innen. Aber man bekommt dafür eine unschätzbar wertvolle Beziehung zum eigenen Kind und es hilft in der Partnerschaft zugleich noch dabei, antiquierte Rollenmodelle zu überwinden, die sich – empirisch belegt – durch Elternschaft selbst in eigentlich emanzipierten Partnerschaften einfahren.
Um nochmal den Bogen zu spannen: Ich freue mich sehr auf das Buch, das ich mir definitiv zulegen werde.
Vielen Dank, Christopher für deinen tollen Beitrag zum Bericht und die Unterstützung! Ich freue mich besonders über Stimmen von Männern zum Thema und die Sicht eines Fotografen. Alles Gute weiterhin und auf bald, Katharina