01. Mai 2020 Lesezeit: ~4 Minuten

Love Affair – Photopaintings

Am Anfang stand für mich die Frage: Ist es möglich, Bilder mit einer Smartphonekamera zu finden, die eine hohe erzählerische und ästhetische Dichte aufweisen? Die technischen Möglichkeiten und Einstellungen sind bei den Smartphonekameras stark limitiert, zumal ich ein älteres iPhone 6 benutze.

Zudem war für mich klar, dass ich keine der vorprogrammierten Filter einsetzen wollte, da diese eine generische Ästhetik beinhalten. Ebenso wollte ich die Bilder nicht über Photoshop weiterbearbeiten. Dies gefiel mir: Ein einfaches Instrument, das ich immer dabei habe, das keine technischen Ansprüche aufweist und mich damit zwingt, die Motive zu entdecken, aufzuspüren.

Nebensächliches, Spiegelungen, Nähe und Unschärfe. Die Smartphonekamera mit ihrer Limitierung half mir dabei, mich auf das Bild als solches konzentrieren zu können. Oft spielten Bewegung und Zufall eine wichtige Rolle.

Surreales BildSurreales Bild

Ein Bild besteht immer aus vielschichtigen Komponenten an Information. Das Zeichenhafte, das Abwesende, die Verweise auf erweiterte kulturelle und gesellschaftliche Codierungen, die auch immer eine Rezeptionsgeschichte in sich tragen. Kurz: Ein Bild besteht aus ganz vielen Codes, die je nach Lesart und Interpretation weit über das offensichtlich Gezeigte hinausreichen.

Es ist immer einfach, ein Konzept als Reaktion auf Bestehendes auszuweisen. Manchmal ist es aber tatsächlich so, dass sich solche Bezüge in der Realisierung manifestieren. Bei der Bildserie „Love Affair“ kam der Gedanke schon am Anfang auf, dass die Bilder sich durch die Verwendung des Smartphones klar als eine Art Gegenpol des Selfiewahns positionieren sollten.

Die Faszination der normativen Selbstinszenierungen, die die angestrebte Individualität restlich auslaugen, ist eine Darstellungsform, die sich an generischen Bildsprachen und voyeuristischer Ästhetik orientiert und damit den angestrebten Individualismus definitiv korrumpiert. Eine Bestechungsform eigener Eitelkeiten. Ein Ansatz wäre gewesen, diese Bildsprachen noch weiter zu überhöhen oder eben einen ganz anderen Weg zu suchen. Ich habe mich für den zweiten entschieden.

Surreales BildSurreales Bild

Die Fotografien der Serie „Love Affair“ transformieren somit den Voyeurismus in eine Welt einer enigmatischen Intimität, bei der die ästhetische Komposition der Bilder als ein beabsichtigtes Stilmittel eingesetzt wird. Als poetische Schicht, die einen vermeintlichen Überblick verbirgt oder überhöht und dadurch mit einer eigenen Wirklichkeit versieht.

Der Bezug zur Malerei ist dabei offensichtlich. Als Hybrid von Fotografie und Malerei ist der Begriff „Photopaintings“ schon lange bekannt. Entsprechend referenzieren sich die Arbeiten vielschichtig auf den kunsthistorischen Kontext. Unter anderem findet sich der Begriff bei Gerhard Richter, der schon in den sechziger Jahren, im Umfeld der Informel-Bewegung, die als Konstitutiv das „Prinzip der Formlosigkeit“ im „Spannungsfeld von Formauflösung und Formwerdung“ manifestierte, operiert hatte. Allerdings mit einem anderen Ansatz:

Wenn ich nach einem Foto male, wird das bewusste Denken ausgeschaltet. Ich weiß nicht, was ich tue. Meine Arbeit ist dem Informel viel näher als jeder Art von „Realismus“. Die Fotografie hat eine eigene Abstraktion, die nicht leicht zu durchschauen ist.

Gerhard Richter, Notizen 1964–65

Surreales BildSurreales Bild

Dieser Ansatz der eigenen Abstraktion wird in der Serie „Love Affair“ durch den Einsatz der Smartphonekamera medial zusammengeführt und dadurch weiter verstärkt. Dank diesem endoskopischen Vermessungsinstrument ist es mir möglich, das Bild als „Undurchschaubares“ weiterzuentwickeln und zu erforschen.

Seit dem Start der Serie im Jahr 2017 sind Tausende Bilder entstanden, die nach bestimmten Auswahlkriterien verworfen oder in die Sammlung aufgenommen werden. Die Bilder werden unbearbeitet entsprechend dem Bildschirmformat des Smartphones – 4:3 – auf verschiedene Formate und Medien vergrößert. Dabei hat sich gezeigt, dass auch die größeren Formate wie etwa 135 x 180 cm trotz der eher bescheidenen Datenmenge von 2448 x 3264 px sehr gut funktionieren.

17 Kommentare

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  1. Also ich mag vieles daran.

    1) Die Idee, mit nur 2448 x 3264 px Bilder im Format 135 x 180 cm zu drucken, yeah, klasse!

    2) Die Idee, geheimnisvolle Bilder zu machen, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben.

    3) Die gesamte Philosophie dahinter: „Die Smartphonekamera mit ihrer Limitierung half mir dabei, mich auf das Bild als solches konzentrieren zu können.“ Ja!

    4) Neu für mich: „Als Hybrid von Fotografie und Malerei ist der Begriff ‚Photopaintings‘ schon lange bekannt.“ Kannte ich so nicht, ich kenne aber den Ausdruck „Poetic Images“ (z.B. aus dem Buch „Street Photography and the Poetic Image“, und die Suche nach Poesie statt nach technischer Perfektion treibt auch mich an.

    • Lieber Jürgen

      Vielen Dank für deine 4 Punkte :-)
      Es ist tatsächlich so, dass die Bilder auch im grossen Format nichts von ihrer Intensität verlieren – fast schon im Gegenteil – Hinter Acrylglas reflektieren sie zusätzlich den Raum und sind nur aus einem bestimmten Winkel betrachtbar…

      Viele Grüsse
      Markus

  2. Den fotografischen bzw. kreativen Ansatz finde ich spannend. Zum konkreten Vorgehen hätte ich gerne etwas mehr erfahren. Und einen theoretischen Unterbau zur Auseinandersetzung mit der präsentierten Bildserie kann durchaus hilfreich sein.
    So spannend die präsentierten Bilder daherkommen: Aber wieso muss der erläuternde Text ebenso wolkig, luftig, verschleiernd, ausufernd formuliert sein?
    „Ein Bild besteht immer aus vielschichtigen Komponenten an Information. Das Zeichenhafte, das Abwesende, die Verweise auf erweiterte kulturelle und gesellschaftliche Codierungen, die auch immer eine Rezeptionsgeschichte in sich tragen. Kurz: Ein Bild besteht aus ganz vielen Codes, die je nach Lesart und Interpretation weit über das offensichtlich Gezeigte hinausreichen.“
    Das kann sehr viel einfacher formuliert werden und passt zu absolut jedem Bild … Und es hilft mir keinen Schritt weiter. Schade um die verpasste Chance, spannende Bilder den Betrachter/-innen etwas zugänglicher zu machen. Das wäre für mich hier der Anspruch an einen Begleittext.

    • Liebe Mandy

      Vorab vielen Dank für das positive Feedback. Klar, der Text ist nicht unbedingt klärend oder macht die Bilder zugänglicher. Für mich ist aber wie mit einem guten Essen; es schmeckt oder auch nicht – das Kochrezept als Beilage lenkt eher vom Genuss ab.
      Deshalb habe ich mich für einen Text entschieden, der um und durch die Arbeiten kreist.

      Lieber Gruss
      Markus

  3. Ich bin glückliche Besitzerin mehrerer dieser Bilder. Sie überraschen immer wieder von neuem durch ihre Vielschichtigkeit und beeindrucken mit ihrer Schönheit und Poesie – ich kann mich nicht daran sattsehen

  4. Ich stehe hier etwas ratlos den Fotos gegenüber, den ich verstehe sowohl die empathische und neugierige Seite wie auch die kritische, die mit der vermeintlichen inhaltlichen Dichte der Fotos nichts anfangen kann. Muss aber auch zugeben, dass die Kritiker hier bislang nichts Konstruktives haben beisteuern können.
    Mich bewegen diese Fotos nicht, das ist meine Perspektive. Sie stoßen mein Herz nicht an, vielleicht ist das eben auch ein Teil von Kunst. Wenn eine ästhetische Dichte vorhanden ist, dann erkenne ich sie nicht, weder mit dem Verstand durch eine gezielte Analyse noch durch ein Hineinfühlen: Zu ungegenständlich. Vielleicht habe ich keinen Zugang zu dieser „Scheinwelt“, ich verstehe das Spiel nicht (um einen Bezug zu Schiller zu schlagen).
    Über das Smartphone kann man sicherlich diskutieren! Aber Fakt ist: Es ist hier Mittel zum Zweck, nicht weniger als eine Spiegelreflexkamera, die kein Objektiv vorne drauf hat. Ich verstehe allerdings nicht, warum du dich für ein Smaprtphone entschieden hast. Mit einem Automatikmodus einer Kamera kann man sich ja auch fokussieren. Oder ist es die die Zweck-Mittel-Verwendungs-Kritik? (auf den Selfiewahn bezogen)

    • Lieber Wilhelm
      Vielen Dank für deine Gedanken. Stimmt, die Bilder sind sehr abstrakt – nicht von Ungefähr habe ich im Text den Bezug zur Malerei unterstrichen, mit der ich mich lange beschäftigt habe. Dies ist unter anderem ein Grund, weshalb ich mich für die „primitive“ Smartphonekamera entschieden habe. Ich verstehe das Smartphone als Pinsel, der ja auch ein sehr einfaches Instrument ist. Eine Spiegelrelexkamera, wie du geschrieben hast, hätte für mich eine völlig andere Bedeutung.
      Die ästhetische Dichte entsteht für mich genau aus dem Abwesenden, dem Ungegenständlichen. Mir ist auch klar, dass die Arbeiten nicht den Regeln der Ästhetik der Fotografie folgen. Wenn du so willst, ist es mehr Malerei als Fotografie.

      Und natürlich hast du völlig recht, dass der Aspekt des Selfiewahns, dem Konzept gut in die Karten gespielt hat.

      Lieber Gruss
      Markus