Beate Knappe: 50 Jahre als Frau und Fotografin
Ich bin seit über 50 Jahren Fotografin. Es war im Mai letzten Jahres, ich suchte nach einem ganz bestimmten Motiv, öffnete dafür etliche Kartons und Mappen meines Positivarchivs, nicht ahnend, was sich dort für Schätze finden und was das mit mir machen würde.
Die Begegnung mit einem Selbstportrait aus längst vergangener Zeit löste bei mir eine Reihe von Erkenntnissen und Erschütterungen in beide Richtungen aus: In die Vergangenheit und in mein heutiges Leben als Düsseldorfer Portraitfotografin mit eigenem Studio.
Mir wurde klar, wie wenig miteinander verbunden die analog arbeitende Fotografin der früheren Jahre und die jetzige, nun digital arbeitende, Künstlerin sind. Die Diskrepanz zwischen der in meinen Bildern stets spürbaren wertschätzenden und empathischen Zuneigung, die ich den von mir Portraitierten und Motiven entgegenbringe, und der eigenen, zweifelnden Abwertung meiner selbst gegenüber rückte aus der Verdrängung in den Vordergrund.
Nach meiner Gesellenprüfung als Fotografin habe ich lange Zeit journalistische Reportagen fotografiert. In den zahlreichen Kartons und Mappen meines Archivs befinden sich unzählige Fotografien von Menschen, die für ihre Rechte demonstrierten oder ihre Überzeugung laut verkündeten.
Neben Portraits von Politikern der damaligen Zeit finden sich sehr viele Fotos von Frauen an ihren Arbeitsplätzen, Frauen mit ihren Kindern, Frauen bei Demonstrationen. Arbeitskämpfe und soziale Konflikte waren ebenso meine Themen, wie Frauen, die für gleiche Rechte ihrer Stimme erhoben und auf die Straße gegangen sind, um zu demonstrieren. Ihre Kämpfe waren noch immer meine Kämpfe.
Mein mit vielen Hürden gesäumter Lebensweg und Werdegang als Fotografin steht exemplarisch für das Schicksal vieler Frauen meiner Generation. So habe ich versucht, mich als Fotografin zu behaupten, ich wollte nie übersehen oder beiseite geschoben werden; gelungen ist mir das nicht immer. Frauen wurden kaum wahrgenommen und unsere Arbeit hatte es sehr schwer, sich durchzusetzen.
Das alles hatte ich wieder vor Augen, als ich eine Schachtel nach der anderen öffnete. Erinnerungen an Brüche und Verletzungen, aber auch an Standfestigkeit und Mut wurden zu einer inneren Welle, der sich nicht mehr zu widersetzen war. Zeugnisse jeder meiner Lebensphasen sind Fotografien:
In je einem winzigen Augenblick konzentrierte Geschichten, mit denen meine Bilder von der sichtbaren Welt erzählen und zugleich über die Betrachterin und Fotografin Auskunft geben – als würde man umgekehrt durch ein Objektiv blicken.
Diese Kraft des Ringens und Scheiterns, des Neubeginns und der Integration verloren geglaubter Anteile in meinem künstlerischen Leben führte zum Gedanken, eine Ausstellung zu konzipieren, die mein Lebenswerk retrospektiv beleuchtet.
Ich bin in den 1950er Jahren aufgewachsen, habe in den 1960er Jahren meine Schul- und Berufsausbildung absolviert und in den 1970er Jahren erfahren, was es bedeutet, in der damaligen Gesellschaft Frau und Fotografin zu sein. Die 1980er Jahre waren für mich als Fotografin besonders intensiv.
Ich entschied mich für eine Qualifikation durch ein Studium an der Universität Essen: Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie. Der Titel meiner Diplomarbeit lautete: „Die Atelier-Fotografin. Ein Frauenberuf im 19. Jahrhundert zwischen Modeerscheinung und Profession.“
Heute arbeite ich selbst als Fotografin in einem Portraitstudio. Das Portrait hat mich immer schon sehr interessiert, weil Menschen mich inspirieren. Ich arbeite ausschließlich in schwarzweiß, weil ich finde, dass so die Persönlichkeit eines Menschen mehr betont werden kann.
Auch meine Familienportraits entstehen in schwarzweiß und sind somit, aus meiner Sicht, nachhaltiger. Seitdem diese Ausstellung in Planung ist, denke ich darüber nach, was meine analoge Arbeitsweise von der heutigen digitalen unterscheidet, doch das wäre Stoff für einen weiteren Beitrag.
Diese Ausstellung wird ab dem 1. Juni 2020 für vier Wochen in den Ausstellungsräumen des Gerresheimer Bahnhofs in Düsseldorf zu sehen sein. Begleitend zu meiner Retrospektive möchte ich einen Bildband herausgeben, der auf rund 100 Seiten mein Lebenswerk verdichtet, damit die zeitlich begrenzte Wirksamkeit der Ausstellung durch ein länger wirksames Medium ergänzt wird.
Meine fotografischen Arbeiten werden für die Ausstellung und das Buch von Sebastian H. Schröder kuratiert und in einen künstlerischen und zeitlichen Zusammenhang gebracht. So ergibt sich ein vieldimensionales Spannungsfeld von Zeitgeschichte und höchst individuellem Blick, von handwerklich dokumentarischer und zugleich ästhetisch anspruchsvoller Fotokunst, vom Arbeiten und Leben einer Frau in einer Männerdomäne und letztendlich auch von Selbstentfremdung und Selbstentdeckung meiner eigenen Person.
So wie ich bei der Wiederentdeckung meiner eigenen Arbeit die Vergangenheit neu entdeckt habe, lädt das Buch alle Leser*innen zu einer Reise in 50 Jahre Vergangenheit und Gegenwart ein. Das Buch reflektiert aus meiner ganz persönlichen Sicht fünf Jahrzehnte Geschichte und Geschichten.
Die Bilder schlagen einen Bogen von den frühen experimentellen Arbeiten über die journalistischen, gesellschafts- und frauenspezifischen Arbeiten der 70er Jahre zur freieren, künstlerischen Fotografie während meiner Studienzeit und zu späteren thematischen Arbeiten bis hin zu den schwarzweißen Portraitarbeiten von heute.
Wer sich für Fotografie interessiert, für Bilder, die „für sich selbst“ sprechen, die historisch-gesellschaftlich relevant sind und die gleichzeitig ganz persönlichen Reflexionen einer Fotografin in unserer Zeit sind, erhält ein besonderes Buch und einen wertvollen Einblick in 50 Jahre Geschichte.
Dieses Buch ist der Kern meiner Crowdfunding-Kampagne zu „Knappe70“, die gerade gestartet ist und noch bis Ende April läuft. Als Dankeschöns biete ich neben meinem Buch unter anderem auch Postkarten, Drucke und Coachings an.