Eine Frau mit Mundschutz sitzt im Fenster eines Ladens.
19. Februar 2020 Lesezeit: ~3 Minuten

Der Coronavirus in Shanghai

Der Zeitpunkt hätte nicht schlechter sein können. Pünktlich zum chinesischen Neujahrsfest, wenn die größte jährliche Völkerwanderung beginnt, bricht ein Virus aus. Man stelle sich vor: 400 Millionen Menschen machen sich auf die Reise – mit dem Auto, der Bahn oder im Flugzeug.

Ein leerer Kreisverkehr zwischen Hochhäusern

Leere Straßen vor einer Skyline mit Hochhäusern

Verlassener Eingang eines Einkaufszentrums

Drei Milliarden Reisen innerhalb von 40 Tagen. Shanghai, die Stadt, in der ich lebe, ist traditionell eine Stadt mit hoher Inlandsimmigration. Das bedeutet, dass knapp 40 % der 24 Millionen Einwohner*innen nicht gebürtig aus Shanghai sind und ein Großteil davon zum Neujahrsfest nach Hause fährt.

Hinzu kommen die, die zu dieser Zeit in den Urlaub fliegen. Bis zu diesem Jahr gehörte ich auch dazu. In den vier Jahren, die ich jetzt in China lebe, war es mein erstes Neujahr, das ich in Shanghai verbracht habe. Ich wollte es auch einmal erlebt haben: Die Ruhe in der sonst so hektischen Stadt. Leergefegte Straßen. Doch dann überschlugen sich die Nachrichten.

Eine Frau mit Mundschutz steigt in einen Zugwaggon

Ein Mann steht vor einem Gebäude, aus dem Essen verkauft wird und hat seinen Mundschutz abgenommen, um sein Essen zu verzehren.

Zwei Menschen mit Mundschutz stehen in einem Geschäft

Es ist nun bestätigt, dass der Coronavirus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Über Nacht waren alle Mundschutzmasken ausverkauft – das gleiche galt für Vitamin-C-Brausetabletten. Im Internet kursieren Videos von Hysterien in Apotheken. Denen, die alt genug sind, kamen die Erinnerungen an das letzte Auftreten eines Virus im Jahr 2003 wieder hoch.

In Shanghai habe ich davon nicht so viel mitbekommen. Zugegeben, anfangs war ich die meiste Zeit zuhause und bin nur ab und zu mal rausgegangen. Und das erste Mal eigentlich auch nur, um mir endlich einmal die Beine vertreten zu können.

Eine Frau mit Mundschutz kocht am Straßenrand

Ein Mann mit Mundschutz

Einem Mann mit Mundschutz wird die Körpertermeperatur gemessen

Als ich dann angefangen hatte, zu fotografieren, wurde mir bewusst, was für wahnsinnig interessante Geschichten es hier zu erzählen gibt. Ideen sind günstig, sagt man. „Rausgehen und machen“ hat sich dann doch schwieriger gestaltet als gedacht. Die Leere einzufangen und eine Geschichte zu erzählen, hat mich ganz schön gefordert.

Insgesamt wird in Shanghai sehr verantwortungsvoll damit umgegangen und es ist erstaunlich, wie schnell hier eine Infrastruktur ausgerollt wurde und Maßnahmen ergriffen worden sind, um das Ganze irgendwie einzudämmen. Sehenswürdigkeiten wurden geschlossen, Einkaufszentren haben „single entry points“ eingerichtet, an denen jedem Menschen vor dem Betreten die Körpertemperatur gemessen wird.

Zwei Polizisten mit Mundschutz stehen hinter den Glastüren eines Ladens

Frau mit Mundschutz vor einem Gemüseregal

Köche verrichten ihre Arbeit mit Mundschutz

Es wird sehr viel Energie in Aufklärungsarbeit gesteckt. Plakate mit Informationen, wie der Virus sich verbreitet und wie man sich die Hände richtig wäscht, wurden in wenigen Tagen überall aufgehängt. Viele Läden verlangen das Tragen von Mundschutz als Einlassbedingung und haben Personal, das allen Kund*innen Fieber misst.

Der größte Schritt war wohl, den Feiertag offiziell um satte zehn Tage zu verlängern und ganze Städte unter Hausarrest zu stellen. Aber das alles hat natürlich auch seinen Preis: Man kann sich nur vage ausmalen, was das für die unzähligen Kleingeschäfte und Restaurants bedeutet.

Eine Person mit Mundschutz geht mit einem Hund mit Mundschutz spazieren

Ein Mensch mit Mundschutz schläft in einem Wachhaus

Ein Mensch mit Mundschutz steht vor Aufzügen

Mittlerweile merkt man, dass das Leben wieder einkehrt. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – werden mehr und mehr Maßnahmen ergriffen, um den Virus weiter unter Kontrolle zu halten. Persönlich mache ich mir natürlich auch Sorgen. Hätte ich keine Freundin und zwei Haustiere, wäre ich vermutlich schon längst weg und würde alles aus sicherer Entfernung beobachten.

Wie sich die Situation nun weiterentwickelt, wird sich zeigen. Ich hoffe jedenfalls, dass ich Euch einen kleinen persönlichen – sehr subjektiven – Einblick in die aktuelle Situation geben konnte.

9 Kommentare

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  1. Danke für die tollen Bilder. Wir leben auch in Shanghai und sind jeden Tag aufs Neue erstautmmt über die leeren Straßen.
    Heute konnte ich aber auch beobachten, dass mehr Leute rausgehen, um die frische Luft und Sonne zu genießen. VG Angie

    • Hi Theo,

      yes, one the one hand, its an incredible time to be here and witness what is happening. On the other hand can we only hope that all these measures are helping to cease the spread. 加油

  2. So traurig das alles ist, so lustig ist dennoch der Hund mit dem Mundschutz.

    Tolle Fotos, vielen Dank auch. Die Dimensionen in China sind immer ganz andere als in Europa!

    Ich erinnere mich, als ich 15 Jahre alt war, stand in einer geradezu lachhaft kleinen Randnotiz in der Zeitung, dass bei einem Erdbeben in China bis zu einer Million Menschen umgekommen sind. 1976 war das, man kann das in Wikipedia finden oder googeln, „Erdbeben von Tangshan 1976“. 655.000 Tote steht da heute, und das ist nur das zweitschlimmste Erdbeben in der chinesischen Geschichte. Lange Zeit war das fast aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden.

    Und auch die extrem hohe Zahl der Uiguren in Umerziehungslagern finde ich immer wieder sehr erstaunlich. Wikipedia sagt: „Es wird geschätzt, dass die chinesischen Behörden ab dem Jahr 2018 Hunderttausende bis Millionen Uiguren, Kasachen, Kirgisen, Hui-Chinesen und Muslime anderer Ethnien sowie Christen, darunter auch einige ausländische Staatsbürger, festgenommen haben und diese in der gesamten Region teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen in zahlreichen Lagern willkürlich interniert sind.“

  3. Ja, die Infektion: Wenn wir doch daraus lernen würden. In erster Linie macht man sich Sorgen um die Weltwirtschaft. Und es zeigt, dass Abhängigkeit von einem solchen System nicht gut ist.

    Mit jedem Produkt, auch in der Fotografie, unterstützen wir diesen Machtapparat. Das sollten wir uns immer vor Augen führen. Irgendjemand zahlt den Preis, den wir an der Kasse nicht bezahlen wollen.

    Insgesamt finde ich die Bilder sehr mutig. Denn China will ja schon vorschreiben, wer was wie anderen mitteilt.
    Weiterhin gute Gesundheit.
    Ach ja, ich glaube, jeden Tag sterben in der Welt 20.000 Menschen an Hunger? Ist aber wohl weniger dramatisch. Ist ja auch nicht ansteckend.

    • Hallo Wilhelm,

      Ich denke man muss hier auch differenzieren. Viele Teile Chinas sind unter Ausgangssperre.
      Aber ja, Nachrichten zeigen das was sie zeigen wollen :)

      Grüße aus Shanghai, Alex

  4. Blogartikel dazu: Travel through India - Alexander Pollnow - China Camera Style