Im Gespräch mit Moritz Wahl
Schon seit einigen Jahren ist mir klar, dass mich das vermeintlich Banale in der Fotografie sehr anzieht, sei es der seltsam gewachsene Busch am Rande der verwahrlosten Dorfkoppel oder das Zufallsstillleben aus altem Sessel neben dem Mülleimer auf der Straße.
Um dem fotografischen Reiz dieser und ähnlicher Szenarien wie etwa trostlos anmutenden Plätzen an den Rändern unserer Ortschaften nachzugehen, habe ich ein paar Menschen zum Gespräch gebeten, deren Arbeiten mir mit diesen Themen unter unserem Hashtag #instakwer aufgefallen sind. Den Anfang dieser losen Serie macht heute Moritz Wahl.
Hallo Mo! Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview nimmst. Erzähl doch erst einmal etwas über Dich – wer bist Du, was machst Du?
Mein Name ist Moritz Wahl, ich bin 29 Jahre alt, habe in Stuttgart Architektur studiert, anschließend eineinhalb Jahre in Tokio gelebt und arbeite jetzt seit einem Jahr als Architekt in Basel.
Die Fotografie beschäftigt mich, seit ich 17 Jahre alt war, anfangs habe ich hauptsächlich Portraits von Freunden gemacht, mittlerweile interessiert mich vielmehr das Alltägliche, Fragmente, das Skurrile im vermeintlich Normalen. Trotz Architekturstudium bin ich jedenfalls absolut nicht daran interessiert, spektakuläre Architekturen abzubilden.
Wie sieht Deine fotografische Praxis aus? Wo und wie findest Du Deine Motive?
Es ist im Grunde eine Mischung aus Recherche und Zufall, aber am Ende resultiert es immer in langen, planlosen Spaziergängen und Autofahrten durch Industriegebiete und die Peripherie der Stadt.
Ich habe weder Stativ noch schwere Kameraausrüstungen, die meisten meiner Bilder sind mit einer Contax T2 entstanden, das 38-mm-Objektiv funktioniert mit 99 % meiner Motive. Fotografieren ist bei mir somit hauptsächlich mit der ständigen Suche nach Motiven verbunden, die eigentliche Aufnahme entsteht ziemlich spontan und ohne Fokus auf technische Perfektion.
Das „Skurrile im vermeintlich Normalen“, wie Du es so schön nennst, ist ja das, was Du suchst und mich an Deinen Bildern unter anderem auch so interessiert. Kannst Du das genauer fassen, wonach suchst Du vor Ort?
Ich denke, es gibt einerseits eine Art Vokabular ganz konkreter Motive, nach denen ich kontinuierlich suche, unabhängig vom Ort. Das sind bestimmte Farben, Texturen oder Schichtungen von Einzelelementen. Andererseits versuche ich, mich nicht allzu sehr auf bestimmte Elemente zu beschränken und weniger systematisch nach ganz bestimmten Dingen zu suchen – das würde mich ziemlich stark einschränken und bald langweilen.
Formale Gemeinsamkeit der Arbeiten sind dennoch die Einfachheit und das extrem Fragmentarische – um ein Beispiel zu nennen: Die Straßenlaterne vor der kahlen Ziegelsteinwand wird für mich erst durch den gewählten Ausschnitt interessant, das Objekt selbst oder das Dokumentarische daran interessieren mich nicht.
Aus diesem Gedanken heraus entstand auch die Verwendung des Hochformats, da es für mich weniger den normalen Sehgewohnheiten entspricht, weniger Reportage-ähnlich funktioniert.
Wo siehst Du die Grenze zwischen einem interessanten Bild und dem „zu Wenigen“? Deine Bilder haben ja oft auch eine große Leere, in dem Sinne, dass die wenigen abgebildeten Objekte sich durch den Ausschnitt auch mal fast zu bloßen Farbflächen reduzieren.
Eine gute Frage und eine, die mich auch sehr beschäftigt. Bei meinen Arbeiten geht es ja primär nicht um einen ausdrücklichen Minimalismus, im Gegenteil finde ich die Vielschichtigkeit eines Bildes interessanter als die bloße formale Reduktion.
Das gilt für die Malerei gleichermaßen wie die Fotografie. Völlig subjektiv betrachtet natürlich. Ich denke, am Ende muss bei aller Reduktion auch etwas Poetisches, Ungreifbares dabei sein, ansonsten wäre das Bild wohl sehr kurzlebig, eindimensional und würde schnell langweilen.
Würdest Du sagen, dass Du einen eigenen Stil entwickelt hast? Was unterscheidet Deine Arbeiten von denen anderer, die ähnliche Kompositionen und Motive suchen?
Ich weiß nicht, ob ich von „Stil“ sprechen würde, dafür gibt es sicher zu viele ähnliche Fotografien von anderen. Insbesondere auf Plattformen wie Instagram entwickeln sich sehr schnell solche Tendenzen und Trends zu Ähnlichkeiten.
Ich habe auch gemerkt, dass man genau diese Art zu fotografieren sehr einfach kopieren kann, da es keine besonders hohen technischen Kenntnisse erfordert, im Grunde muss man sein Auge nur für bestimmte Motive schulen.
Ich betrachte meine Art zu fotografieren jedenfalls als extrem persönlich, immerhin hat es mich mehr als zehn Jahre fotografisches Experimentieren in alle möglichen Richtungen gekostet, um genauso zu fotografieren wie ich es heute tue.
Am Ende unterscheidet mich vielleicht nur die Tatsache, dass ich extrem selbstkritisch gegenüber meinen eigenen Arbeiten bin und sehr bedacht mit der Auswahl meiner Bilder umgehe. Man verfällt schon sehr leicht in Versuchung, einfach nur viel zu produzieren und dadurch entsteht häufig Mittelmäßigkeit.
Auch deshalb lösche ich online ständig Arbeiten, die ich im Nachhinein als nicht besonders gelungen empfinde. Um auf Deine vorherige Frage zurückzukommen: Es genügt meiner Meinung nach eben nicht, aus dem bloßem Willen heraus zu fotografieren, möglichst „schöne“ minimalistische Bilder zu machen.
Heißt das für Dich auch, dass es weniger um das einzelne Bild geht, sondern viel mehr um das Gesamtwerk der Bilder und wie sie sich vielleicht auch zueinander verhalten?
Absolut. „Gesamtwerk“ klingt vielleicht sehr endgültig, ich sehe es eher als eine Art Sammlung. Deshalb fotografiere ich auch ortsunabhängig immer dieselben Motive. Von meiner dreiwöchigen Tour durch Marokko im letzten Jahr blieben am Ende nur zwei Fotos übrig, die mir gefielen und die waren beide von einer Tankstelle, die ebenso in Berlin hätte stehen können.
In der Hinsicht hat mich dann doch das Architekturstudium sehr geprägt. Im Masterstudium habe ich mich damals sehr für die „Analoge Architektur“ interessiert, dort ging es – stark vereinfacht formuliert – um das Sammeln von Referenzen aus der anonymen Architektur, Industriearchitektur und banalen Gebäuden sowie ihrer Verfremdung zu neuen, poetischen Bildern.
In letzter Zeit bin ich aber ehrlich gesagt etwas vom ‚Sammeln‘ abgekommen und würde lieber bewusst in Serien arbeiten. Das muss nicht unbedingt konzeptionell zu einem bestimmten Thema oder Ort sein, vielleicht aber mit einer bestimmten Technik verbunden oder begrenzt auf ein einziges, sich wiederholendes Motiv.
Das passt dann auch gut dazu, dass Du sagtest, dass es gar nicht um das einzelne abgebildete Objekt geht. Das kenne ich gut, wenn auch bei mir mit Gestrüpp im Ländlichen.
Was passiert mit Deinen Fotos nach der Aufnahme? Welchen Weg durchlaufen sie bei Dir in der Nachbearbeitung?
Meine Filme gebe ich zum Entwickeln und Scannen ab, danach passiert eigentlich nicht viel. Farben lasse ich grundsätzlich unbearbeitet. Meist lasse ich die Scans in möglichst hoher Auflösung machen, damit ich die Option habe, Ausschnitte noch stärker zu reduzieren.
Teilweise schneide ich aus einer Einzelaufnahme am Ende auch zwei Bilder heraus. Das geht ganz gut, solange man nicht metergroße Drucke anfertigen möchte.
Du erwähntest, dass Du zehn Jahre lang experimentiert hast, bis Du jetzt bei dieser Art der Fotografie angekommen bist. Welche Zwischenstationen gab es noch so und wie hat sich eins zum anderen entwickelt?
Die ersten Jahre habe ich wie gesagt fast ausschließlich Portraits fotografiert, zuerst digital, später analog. Portraits interessieren mich aber auch heute noch, ich habe also nicht komplett damit aufgehört, die Fotos mische ich nur nicht unter denselben Instagram-Account.
Irgendwann habe dann fast ein ganzes Jahr lang gar nicht fotografiert, da ich genervt war von den Scans, die ich zuhause auf einem Flachbettscanner produzieren konnte. Die Farben waren einfach nie richtig.
Dann gab es eine Zeit, in der ich ausschließlich schwarzweiß mit einer Leica M6 fotografiert, die Filme zuhause selbst entwickelt und digitalisiert habe. Irgendwie hat mich die Leica dazu verleitet, so zu arbeiten. In der Zeit habe ich alles Mögliche fotografiert: Bushaltestellen in Rumänien, Portraits, die Hochzeit meiner Grundschullehrerin.
Im Architekturstudium habe ich dann wieder angefangen, auf Farbe umzusteigen und in Serien zu bestimmten Themen zu fotografieren. Teilweise waren die Serien auch mit Architekturentwürfen verknüpft. Jedenfalls waren die inhaltlichen Veränderungen immer auch an andere Kamerasysteme und eben auch andere Vorbilder geknüpft.
Leben Deine Arbeiten nur auf Instagram oder zeigst Du sie noch woanders bzw. verwendest Du auch andere Medien?
Einen inaktiven Flickr-Account gibt es noch. Ansonsten plane ich momentan meine erste Ausstellung hier in Basel, die Mitte März stattfindet. Dazu wird es ein Buch oder Ausstellungskatalog mit den Arbeiten auf Instagram geben.
Ich finde es extrem wichtig, den Maßstab von Instagram und Smartphones zu verlassen und die Arbeiten zu präsentieren, die Beschäftigung mit dem Ausstellungsformat bringt mich hoffentlich auch fotografisch weiter, da man sich mit Format, Betrachter*innen und der Wirkung von Einzelbildern zum Gesamten beschäftigen muss.
Das sind eigentlich essentielle Themen der Fotografie, die aber online leider größtenteils verloren gehen. Vielleicht ist die Ausstellung aber auch ein guter Abschluss oder ein guter Anfang für ein neues Thema.
Ich bin gespannt, ob die Ausstellung dann ein Ende oder Anfang sein wird. Jetzt hast Du vielleicht schon meine letzte Frage etwas vorweg genommen: Was hast Du außerdem noch für fotografische Ziele und Träume für die Zukunft?
Ausstellungen und Publikationen wären sicher die größten Ziele. Allgemein würde ich gerne einfach mehr Zeit investieren und stärker mit dem Medium Fotografie experimentieren. Interessant wäre für mich aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Fotograf*innen und Künstler*innen. Ich hoffe, dass mir in dieser Hinsicht die Ausstellung im März auch etwas hilft.
Dafür drücke ich Dir alle meine Daumen, Mo! Danke für Deine Zeit und ich bin sehr gespannt, was wir in Zukunft von Dir noch alles zu sehen bekommen.