10. Dezember 2019 Lesezeit: ~8 Minuten

Machen wir Fotos von der Welt oder zerstören wir sie?

Hach ja, die Malediven. Klischee vom perfekten, weißen Palmenstrand, gern gebuchtes Reiseziel für die Flitterwochen, beliebtes Motiv für Menschen aus der ganzen Welt – und damit auch Ausgangspunkt für ein klassisches Dilemma.

Denn die berühmten Korallenriffe vor Ort sterben infolge steigender Wassertemperaturen und einige der Inseln befinden sich nicht mehr als einen Meter über dem Meeresspiegel; was bedeutet, dass wenn dieser weiter ansteigt, die Eilande eher früher als später im Wasser verschwinden werden. Und was trägt maßgeblich dazu bei, den Meeresspiegel sowie die Wassertemperaturen ansteigen zu lassen?

Richtig, Flugreisen. Zum einen aufgrund von CO2-Emissionen, zum anderen über Stickoxide und Wasserdampf in hohen Luftschichten. Für viele Fotograf*innen stellt sich daher seit geraumer Zeit die Frage: Wenn das Ablichten der großen, weiten Welt dazu beiträgt, sie zu zerstören – müssen wir es dann nicht sein lassen?

Es fällt zugegebenermaßen schwer, den Klimawandel auf unser eigenes Verhalten zu beziehen. „Was wird die eine weitere Flugreise schon anrichten können, aufs große Ganze bezogen? Die anderen fliegen ja auch trotzdem weiter und immerhin habe ich kein Auto, Fleisch esse ich auch nur noch ganz selten.“ Dazu kommt, dass die meisten (und schlimmsten) Folgen des Klimawandels noch gar nicht Teil unserer Realität sind – und noch nicht einmal der Realität derjenigen anderen, die es in absehbarer Zeit viel schlimmer treffen wird als uns hier. Nun gibt es jedoch Möglichkeiten, die Auswirkungen unseres Handelns zu quantifizieren.

In einem aufschlussreichen Artikel der New York Times beschreibt Andy Newman einen Schlagabtausch unter Wissenschaftler*innen, der zu dem Ergebnis führte, dass jede*r US-Amerikaner*in im Durchschnitt durch die eigenen verursachten Treibhausgasemissionen das schwere Leiden und/oder den Tod zweier zukünftiger Menschen zu verantworten hat. Oder, noch weiter heruntergebrochen: Eine Sonntagsfahrt mit dem Auto hat im übertragenen Sinne den Effekt, jemandem den Nachmittag zu ruinieren.

Was eine Flugreise von Berlin auf die Malediven da anstellen würde, möchte man sich lieber gar nicht ausrechnen. Bleibt uns also nur noch, von nun an in den Regionalzug zu steigen und Apfelbäume in Brandenburg abzulichten? Oder gibt es auch Gründe, weshalb es wichtig und moralisch richtig sein könnte, die Kamera mit hinaus in die weite Welt zu tragen?

Ein gewichtiges Argument dafür ist das der Dokumentation. Bewusstseinsbildung rund um den Klimawandel kann dazu beitragen, dass wir unser Verhalten überdenken und Schritt für Schritt verändern. Sieht man sich beispielsweise die Bilder James Balogs des im Verlauf von zehn Jahren immer kleiner werdenden Gletschers Sólheimajökull in Island an, so lässt sich der Klimawandel nur schwer leugnen.

Und Bilder haben eine ganz andere, unmittelbarere Wirkung auf uns und unsere Emotionen als Worte oder Zahlen. Wie der Psychologe Robert Zajonc sagte, besitzen Informationen, ohne dass sie einen Einfluss auf uns haben, keine Bedeutung per se. In diesem Sinne also sind Bilder wichtig für die Kommunikation rund um den Klimawandel.

Interessant in diesem Zusammenhang ist beispielsweise auch die Arbeit der Fotografin Lisa Murray, die in den vergangenen Jahren mit Ihrer Kamera in Afrika und Asien unterwegs war. Ihre Arbeit zeigt die Auswirkungen des Klimawandels in Ländern wie Indonesien oder Äthiopien.

Aber statt sich fotografisch auf Wetterbedingungen oder Bodenerosion zu konzentrieren, zeigen ihre Bilder die Betroffenen selbst. Das ist für Betrachtende auf emotionaler Ebene etwas ganz anderes. Zudem hat sie in ihrer Arbeit auch viele erfinderische Methoden dokumentiert, mit denen die Probleme in der jeweiligen Region angegangen werden. Ihre Fotografie konzentriert sich also nicht nur auf das Negative, sondern ist in ihrer Herangehensweise konstruktiv.

Nun soll an dieser Stelle jedoch auch nicht verschwiegen werden, dass es in den allermeisten Fällen nicht Deutscher, Französ*innen oder US-Amerikaner*innen bedarf, um mit der Kamera zuhause ein Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels zu schaffen. Das in Fotograf*innenkreisen höchstwahrscheinlich unpopuläre Gegenargument lautet: Es gibt in jedem Erdteil talentierte Foto-Aficionados, die das ebenso gut – oder vielleicht sogar besser – können. Darum kommen wir (zumindest) um diese Frage nicht herum: Wenn ich nicht ganz auf Flugreisen verzichten möchte, wie kann ich ihre negativen Auswirkungen zumindest minimieren?

In einer Zeit, in der selbst der deutsche Flughafenverband eine Abschaffung von Inlandsflügen als sinnvoll erachtet, scheint dieser erste Punkt fast selbstverständlich: Kürzere Strecken nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Bahn bestreiten. Dass das nicht immer angenehm oder gar kosteneffizient ist, wissen wir alle – müssen aber in diesen sauren Apfel schnellstens zu beißen lernen.

Das gilt selbstverständlich auch für die Regionen und Länder, in die wir per Langstreckenflug gereist sind. Statt als Jetsetter von Stadt zu Stadt zu eilen und nicht lang genug zu verweilen, um irgendeinen Ort überhaupt wirklich zu begreifen, müssen wir Langsamkeit wieder lernen. Nicht nur der Umwelt, sondern auch den Menschen vor Ort und uns selbst zuliebe.

Carbon Offsets, wie man sie beispielsweise bei Atmosfair erwerben kann, um Flüge zu kompensieren, scheinen den direktesten Weg zu bieten, die Schuld der Reisenden zu lindern. Man gibt einfach ein wenig zusätzliches Geld aus, um beim Bau eines Windparks zu helfen oder Abholzung zu verhindern und hilft so, an anderer Stelle Treibhausgase zu reduzieren. Einige Klimaexpert*innen bezeichnen Carbon Offsets jedoch als Ablasshandel und Drückebergerei:

„Es ist, als würde man jemand anderen dafür bezahlen, für einen selbst auf Diät zu gehen“, sagt zum Beispiel Alice Larkin vom Tyndall Center for Climate Change Research der Universität Manchester. Mit anderen Worten: Carbon Offsets vermitteln uns den Eindruck, den Schaden, den wir verursachen, wieder gutmachen zu können – und verhindern damit einen wirklichen Bewusstseins- und Verhaltenswandel.

Dieser Drückeberger hier jedoch findet, dass nichts schlimmer ist als eine Haltung à la wenn ich am Großen und Ganzen nichts ändern kann, dann ist es ja auch ganz egal, was ich in Kleinen tu. Ich denke, dass es jetzt schneller und drastischer Veränderungen bedarf, wenn wir noch mit einem blauen Auge davon kommen wollen. Ich denke auch, dass diese schnellen und drastischen Veränderungen vor allem von der Politik initiiert werden müssen – aber auch, dass wir selbst als Individuen eine Verantwortung besitzen, der nicht nachzukommen wir uns nicht mehr leisten können.

Für mich bedeutet das: Ich weiß selbst, dass ich nicht nie wieder einen Langstreckenflug antreten werde. Dafür habe ich schon viel zu früh in meinem Leben Blut geleckt. Andere Länder und Kulturen kennenlernen zu dürfen, hat mein Leben und meine Persönlichkeitsentwicklung maßgeblich beeinflusst und ich würde es nie missen wollen. Aber inzwischen fühle ich mich schuldig bei jeder angetretenen Flugreise – unter anderem dank toller Fotoreportagen über den Klimawandel und seine Folgen für Flora, Fauna und Mitmenschen.

Und das bedeutet, dass ich weniger und bewusster fliege – und es hoffentlich bald ganz sein lassen werde. Und in der Zwischenzeit werde ich versuchen, die von mir verursachten Emissionen via Ablasshandel auszugleichen. Denn aus meiner Sicht nützt das der Welt immer noch mehr als stumpfer Fatalismus.

Wie steht Ihr zu dieser ethischen Zweckmühle? Und was sind Eure Tricks und Kniffe, um bei Fotoreisen den CO2-Fußabdruck zu reduzieren?

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