Die Nase
Obwohl die Nase den Mittelpunkt des menschlichen Gesichts bildet, wird sie selten aktiv wahrgenommen. Während eines Gesprächs sind meist die Augen oder der sich bewegende Mund im Fokus des Gegenübers. Diese beiden Organe sind auch diejenigen, die sich im Laufe des Lebens über zahlreiche Komplimente freuen. Über lange Zeit hinweg habe ich dieses Phänomen der ignorierten Nase beobachtet und mir zum Ziel gesetzt, die Ästhetik der äußeren Nase einmal genauer zu betrachten.
Ich habe mich also im weitesten Sinn mit der Ästhetik der menschlichen Nase befasst, sie erforscht, beobachtet, fotografiert, mich mir bis dato unbekannten Themen genähert. Medizinisch sowie biologisch, kulturell und geografisch. Und das mit der Intention, der Nase die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie allemal verdient.
Der Mensch wird geboren und besitzt eine Nase, deren Form ungewollt und angeboren einer individuellen Gestaltung unterliegt. Die Form der Nase ist geprägt durch unterschiedliche Einflüsse, wie der Genetik, auf die der Nasenträger keinerlei Einfluss hat. Je nach Form und Größe ist die Nase mehr oder weniger bewusst wahrgenommener Bestandteil des Lebens.
Obwohl sie nicht als aktives Kommunikationsinstrument unseres Körpers dient, gibt sie passiv Informationen preis. Eine Nase kann somit nicht nicht kommunizieren. Sie kann durch ihre Form und bestimmte Merkmale Auskunft über Verwandtschaft und ethnische Herkunft geben, kann Vorurteile begünstigen und Bestandteil politischer Bewertung sein.
Den meisten Menschen mag die eigene Nase nicht viel bedeuten. Sie fügt sich unauffällig in die Proportionen des Gesichtes ein, ohne weder von anderen noch von Besitzer*in selbst beachtet zu werden. In diesem Fall hat die Nase ihre Aufgabe bereits erfüllt – sie fällt nicht auf. Andere Personen, die aufgrund verschiedenster Extreme der Nase – wozu vor allem extreme Größe, extreme Breite oder Länge, sowie eine extreme Biegung zählen können – sehen beim Blick in den Spiegel zuerst ihre eigene Nase.
Je nach Proportion zu anderen Strukturen im Gesicht kann das Extreme verstärkt oder abgeschwächt werden. Auch eine Form, die ungewollt eine ethnische Einordnung suggeriert, kann beim Nasenträger zu Unzufriedenheit bis hin zur Verzweiflung führen. Persönliche Frustration über die Nasenform tritt bei allen Betroffenen in einer anderen Ausprägung auf. Auch eine Nase, die für Außenstehende keinerlei Aufsehen erregt, kann bei den Träger*innen aufgrund von kleinen, persönlich wahrgenommenen Makeln den Wunsch nach Kompensation erzeugen.
Grundsätzlich sind die „richtige“ Form und Größe der Nase abhängig vom übrigen Gesicht, was bedeutet, dass es eine perfekte Nase, die in jedes Gesicht passt, nicht geben kann. Denn auf die Harmonie und die Ästhetik des Gesichtes kommt es im Hinblick auf die individuellen Gesichtsproportionen an.
Mehrere Studien konnten zeigen, dass ein Gesicht mit symmetrischen Zügen als besonders attraktiv wahrgenommen wird. Gemeint ist dabei die Symmetrie um die vertikale Mittelachse. Grund dafür ist laut Evolutionsbiologie die körperliche Gesundheit, die ein symmetrisches Gesicht bedingt.
Asymmetrien können nämlich durch Infektionserkrankungen in frühen Lebensphasen hervorgerufen werden. Die Symmetrie eines Gesichtes steht also für Gesundheit und dementsprechend auch für gesunde Nachkommen. Interessant hierbei ist jedoch, dass sich leicht asymmetrische Gesichter besser ins Gedächtnis einprägen.
Es liegt nahe, dass dies auf eine Speicherungsmethode unserer Wahrnehmung im Gehirn zurückzuführen ist: Immanuel Kant ging davon aus, dass beim Formgedächtnis von einem statistischen Mittelwert ausgegangen wird. Dieser ist im Normalfall symmetrisch. Wir merken uns dabei nur die Abweichungen vom Ideal.
Die Erstellung von dokumentarischen Fotografien war bis vor dieser Arbeit Neuland für mich. Zwar fotografiere ich seit Jahren gern, jedoch ausschließlich mit natürlichem Licht und experimentell. Die professionelle fotografische Aufzeichnung der Nasen war für meine Arbeit sehr wichtig, da es möglich sein sollte, einen groben Überblick über die Komplexität der menschlichen Nasenformen zu bekommen. Um die Fotos meinen Vorstellungen entsprechend herstellen zu können, bat ich den befreundeten Fotografen Nico Kleemann um Rat.
Um bei den Fotografien der Nasen einen dokumentarischen Charakter herzustellen, war es wichtig, für ein gleichbleibendes Licht zu sorgen. Das Verhältnis und die Position von Licht und Schatten auf den Nasen sollte identisch sein, um einen direkten Vergleich der Nasenformen zu ermöglichen. Es war also obligatorisch, mit Blitzen zu arbeiten und so entschied ich mich für den Profoto Zoom Reflektor als Hauptlicht und den Profoto Deep Umbrella L mit Difusor als Fülllicht für die Schatten.
Da es sich bei den Nasen-Fotografien um Nahaufnahmen handeln sollte, arbeitete ich mit der Nikon D810 und einem 105-mm-Makro-Objektiv, um auch kleinste Details der Nasen abbilden zu können. Bei der Bearbeitung achtete ich besonders auf die Natürlichkeit der Haut. Grobe, störende Elemente wie besonders große Poren, Unreinheiten oder lange Haare entfernte ich, ließ aber die Grundstruktur der Haut so gut es ging unbearbeitet, um den dokumentarischen Charakter der Fotos nicht zu zerstören.
Anmerkung der Redaktion: In der ersten Version dieses Artikels ist nicht klar geworden, dass es sich bei dieser Bachelorarbeit im Rahmen eines Kommunikationsdesign-Studiums um eine Arbeit mit illustratorischen, fotografischen und wissenschaftlichen Aspekten – zusammengefasst in einem Buch – handelt. Daher haben wir nachträglich weitere Bilder eingefügt, die auch die nicht-fotografischen Anteile zeigen. – 17. Oktober 2018