Der Zeiss Award führt uns einmal um die Welt
Dubai ist wohl eine Stadt, die sich einem nicht erschließt, auch wenn man sie noch so oft besucht. Nick Hannes hat in seiner Fotoserie „Garden of Delight“ die Kontroversen der Megastadt festgehalten. Er zeigt skurrile Szenen aus Dubai – im Spannungsfeld zwischen traditionellem Islam und westlicher Konsumgesellschaft, zwischen Realität und Inszenierung. Seine Aufnahmen überzeugten die Jury des diesjährigen Zeiss Photography Awards und gingen als Siegerbilder hervor.
Fünf Mal ist er dafür in die Metropole am Persischen Golf gereist. Die Szenen, die er dort mit der Kamera eingefangen hat, wirken skurril – und seltsam künstlich: Da kühlen sich saudische Tourist*innen in einer Bar aus Eis ab, ein Butler steht vor einer schwimmenden Luxusvilla mit Unterwasserschlafzimmer, in einem Strandclub feiern russische Mädchen in Hasenkostümen. Hannes wirft Fragen auf: nach Globalisierung und Kapitalismus, nach Authentizität und Nachhaltigkeit.
Die Serie ist für mich eine Fallstudie zur Hochgeschwindigkeitsstadtentwicklung. Natürlich entwickelt sich jede Stadt weiter. Mit meiner Arbeit möchte ich jedoch nicht das normale, organische Wachstum zeigen, sondern die atemberaubende Dynamik einer rein profitorientierten Urbanisierung. Nirgendwo ist diese Dynamik so sichtbar, so extrem wie in Dubai.
Wie schwer die Auswahl der Jury gefallen sein muss, zeigen auch die großartigen Aufnahmen aus der Shortlist. Insgesamt hatten 12.000 Fotograf*innen aus mehr als 140 Ländern ihre Arbeiten eingereicht. Neun Fotograf*innen haben es auf die Shortlist geschafft. Darunter auch der deutsche Fotograf Toby Binder mit seiner Serie „Themmuns – Youth in Northern Ireland“.
„Themmuns“ ist ein Slangwort, abgeleitet von „them ones“, das von beiden Seiten der sich gegenüberstehenden katholisch-irischen Nationalist*innen und den protestantischen Unionist*innen in Nordirland für die Mitglieder auf der jeweils anderen Seite der politisch-religiösen Kluft verwendet wird. Kolleg*innen der eigenen Seite hingegen werden als „ussuns“ bezeichnet. Binder portraitierte die Jugend Nordirlands, die besonders unter den aktuellen Spannungen zu leiden hat. Das Land hatte für einen Verbleib in der EU gestimmt, im Inneren verliefen die Abstimmungsgrenzen aber ziemlich genau entlang der konfessionellen Linien.
Auch die deutsche Fotografin Snezhana von Büdingen konnte mit ihrer Serie „Permer Frost“ überzeugen. Für diese hat sie die Eisschwimmer*innen von Perm in Russland portraitiert, die im Winter auch bei -30 °C noch ins Wasser gehen.
Es ist eine Art Religion, die an die Reinigung der Seele und die Heilung des Körpers durch eisiges Wasser glaubt. Als ich die Eisschwimmer*innen portraitierte, bemerkte ich die Verbindung zwischen ihnen und den umgebenden Stadtansichten. Die Landschaften, die diese Härte, die Kühle und den eigentümlichen Charakter haben, der fast eine Metapher für die portraitierten Personen ist. Man stellt die Frage „Was formt was?“ – sind die Menschen die Schöpfer*innen oder sind sie das Ergebnis der sie umgebenden Welt?
Wir machen eine kleine Reise von Russland nach Litauen mit der einfühlsamen Serie „Soon to be Gone“ von Tadas Kazakevičius. Litauen leidet massiv unter der Migration von jungen Menschen. Sie ziehen von den Dörfern in die großen Städte und vielerorts auch in die Metropolen der EU. Allein in den letzten zehn Jahren ist die Bevölkerung Litauens deshalb um fast 15 % geschrumpft.
Ich bin von einem Gefühl der Dringlichkeit getrieben, diese Orte festzuhalten, bevor sie nur noch nichts weiter als Erinnerungen sind. Vielleicht wird dieses Denkmal für den litauischen ländlichen Raum die Erinnerungen berühren, die wir unabsichtlich verschlossen haben, weil wir schon daran gewöhnt sind, zu akzeptieren, dass alles sehr schnell weg sein kann.
Der Zeiss Award führt uns einmal um die Welt. Mark Leaver beschäftigt sich in seiner Serie „Tight“ mit Bodybuilding in Indien. Der Sport ist ein Symbol für das zeitgenössische Indien und seine neue Mittelklasse. Immer mehr junge Männer nehmen Steroide, um sich in übermenschliche Muskelmänner zu verwandeln und um in einem harten Wettbewerb um Macht, Prestige, Frauen und Wohlstand voranzukommen.
Diese Serie enthüllt die Träume und Bestrebungen einer neuen Generation indischer Männer, ihre Bereitschaft, der Tradition den Rücken zu kehren und wirklich bereit zu sein, alles zu opfern – einschließlich ihrer Gesundheit – in der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Menschen der LGBT-Community haben in Deutschland nach wie vor mit Vorurteilen zu kämpfen. Wie es Menschen, die nicht der Heteronormativität entsprechen, in anderen Ländern geht, erfahren wir jedoch selten. Die südkoreanische Fotografin Gowun Lee hat Menschen der LGBT-Community in ihrem Heimatland anonym portraitiert, denn sie müssen tagtäglich ihre wahre Identität verstecken, aus Angst, ihren Job zu verlieren und von ihrer eigenen Familie vertrieben zu werden.
Die Idee zum Projekt kam mir, als mir ein Schüler in Südkorea von seiner Homosexualität erzählte – er wartete, bis alle seine Freunde außer Hörweite waren. Ich war beunruhigt darüber, dass dieser Junge meinte, er könne nur mit einer Fremden darüber reden. Als ich dieses Projekt im Jahr 2015 begonnen habe, brauchte ich eine Weile, um Menschen zu finden, die bereit waren, mir zu vertrauen und mich zu unterstützen. Einige ihrer Worte waren so verletzend, dass ich eine Pause machen musste, um die Kraft zu finden, die ich brauchte, um diese Fotoserie zu erstellen.
Mezamor ist das einzige Kernkraftwerk in Armenien und dem gesamten Kaukasus. Es ist nicht nur technisch sehr veraltet, sondern liegt auch in einer stark erdbebengefährdeten Region. 1989 wurde es nach einem verheerenden Erdbeben in der Nähe geschlossen, jedoch 1995 wiedereröffnet und ist seitdem in Betrieb. Der italienische Fotograf Stefano Morelli wollte das Leben in der Umgebung des Kraftwerks dokumentieren und nannte seine Serie „Suspension“.
Zu Beginn war es nicht immer einfach, Bilder für diese Serie zu machen. Als ausländischer Journalist und Fotograf war ich in Mezamor kein gern gesehener Besucher. Ich musste viele Genehmigungen einholen und den Kontrollen zustimmen, bevor ich mit meinem Projekt fortfahren konnte. Ich kannte Armenien schon, aber ich wusste nicht, was mich erwartete.
Die Leute wollten mir zunächst nicht vertrauen, aber hießen mich bald doch in ihrem Leben willkommen – und ich war überrascht, auf solche Freundlichkeit zu stoßen. Die Menschen von Mezamor leben in einer Stadt, die zwischen Zweifeln und Ängsten, zwischen Armut und Überleben, zwischen Leben und Tod in der Schwebe ist.
„America first“ und „Americanism“ sind allgegenwärtig. Und nicht nur in der Politik. In patriotischen Sommerlagern und Vereinen in den USA sollen rund 400.000 Kinder, oft mit militärischer Botschaft, lernen, was es bedeutet, Amerikaner*innen zu sein. Sarah Blesener hat es mit ihrer Serie „Beckon Us From Home“ in die Shortlist des Zeiss Awards geschafft.
Durch meine Arbeit versuche ich, einen Einblick in das Leben junger Amerikaner*innen zu geben. Ich möchte verstehen, wie sie denken und wie die patriotischen Traditionen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Obwohl es nicht einfach war, die Veranstalter*innen dieser Programme und die Eltern zu überzeugen, mir bei meiner Fotoserie zu helfen, war es dennoch einfacher als ich dachte. Viele fühlen sich ungehört und missverstanden und möchten ihre Sicht auf die Dinge erzählen. Mit meiner Serie möchte ich einen Dialog über die differenzierten und komplizierten Ideale, die den zukünftigen Generationen eingetrichtert werden, anstoßen.
In eine ganz andere Welt ist die italienische Fotografin Stéphanie Gengotti getaucht. Sie hat einen kleinen französischen Wanderzirkus namens Les Pêcheurs de Rêves („Die Traumfischer“) fotografisch begleitet. Florence, Vincent und ihre Familie sind Teil des Zirkus und parodieren in den Rollen der Clowns Krapotte und Za ihr Leben und ihre Ehe.
Der ganze Unterhaltungswert, den der Zirkus bietet, ist nur durch harte körperliche Arbeit, unzählige Proben und ein einfaches Leben in einer alten Karawane möglich, die während der Jahreszeiten den Elementen ausgesetzt ist. Umso mehr fühlte ich mich geehrt, dass sich Florence, Vincent und ihre Kinder die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen und Gegenstand meiner Fotoserie zu sein. Sie waren so glücklich, dass ich vorbeikam und eine kleine Weile ihr Leben teilte. So habe ich gelernt, wie es ist, Teil einer Zirkusfamilie zu sein.
Die letzte Serie aus der Shortlist des Zeiss Awards ist eine sehr persönliche. Kicia Randagia fotografierte für sie ihre Tochter Siria, die zwischen zwei Welten lebt. Die eine ist die hektische Großstadt Rom, die andere ein kleines Dorf in Polen. Sie zeigt beide Welten bewusst schwarzweiß, um sie gleichwertig darzustellen und die Aufmerksamkeit nicht von der Hauptsache abzulenken.
Als Mutter war es unglaublich für mich, zu sehen, wie schnell Siria sich von einem ehrgeizigen High-Tech-Mädchen in ein Mädchen verwandelt, das barfuß herumläuft, unter Tieren lebt, einfaches, natürliches Essen schätzt und mit allem spielt, was sie findet. Ich erkannte, dass meine Tochter überall Glück finden konnte und als wir nach Rom zurückkehrten, kam ich auf die Serienidee „Scelte“. Für Siria schienen beide Welten perfekt zu sein. Unterdessen frage ich mich, welche sie wählen wird, wenn sie erwachsen ist.
Mit dieser letzten Serie ist unser Überblick zur Shortlist des Zeiss Awards und gleichzeitig auch eine kleine Reise um die Welt abgeschlossen. Welche Serie hat Euch besonders gefallen?