Im Sommer 2017 war ich mit der Bahn nach einem Ausflug auf der Rückreise nach Berlin. In Gedanken vertieft, schaute ich während der gesamten Fahrt aus dem Fenster. Das Vorbeirauschen der Landschaft nahm ich dabei eher unbewusst wahr. Mit einem Mal erregten Windräder meine Aufmerksamkeit.
Ich wusste nun, dass ich kurz vor Berlin war. Diese Gruppe von Windrädern steht in der Nähe von Nauen, zwischen Bundesstraße und Bahntrasse und ist in der recht flachen Brandenburger Landschaft eine richtige Landmarke. Die erste, die ich seit gefühlt 200 Kilometern in der Norddeutschen Tiefebene wahrnahm.
Die ganze Strecke fühlte sich wie ein Zeitraffer an. Ich dachte darüber nach und nahm meine Kamera zur Hand, die ich immer dabei habe und versuchte, dieses Vorbeiziehen am Fenster fotografisch festzuhalten.
Was mich an diesen spontan geschossenen Fotos faszinierte, war zum einen die durch die Bewegungsunschärfe verzerrten Objekte wie Bäume und Sträucher im Vordergrund und zum anderen die Details, die plötzlich im Hintergrund auftauchten. Details, die mir nie auffielen, obwohl ich die Strecke schon viele Male gefahren war.
Da ich in Berlin fast jeden Tag mit der U- und S-Bahn unterwegs bin und auch oft die Ringbahn, die einmal um Berlin fährt, benutze, fragte ich mich, wie diese Art der Fotografie wohl aus eben dieser Ringbahn-Perspektive wirken würde. Mir kam die Idee zum Projekt „360Grad Ringbahn Berlin“ – eine Panoramaaufnahme einmal um die ganze Stadt.
Im September 2017 machte ich mich an einem Samstagnachmittag auf, eine Fahrt mit der S-Bahn 360° um Berlin herum zu dokumentieren. Mein Ziel war es, für jeden Streckenabschnitt ein repräsentatives Foto zu schießen. Schnell war auch die Entscheidung für das Hochformat getroffen, das den Fokus begrenzt und für mich auch den Bruchteil des Augenblicks stärker unterstreicht.
Eine Fahrt rund um die Innenstadt dauert zirka eine Stunde und ich machte ungefähr 1.400 Fotos. Ich stand während der gesamten Fahrt am Fenster und schoss fast im Sekundentakt ein Bild. Ich bemerkte, dass das recht befremdlich auf die anderen Fahrgäste wirkte, fotografierte aber dennoch die komplette Fahrt, bis ich wieder am Ausgangsbahnhof angekommen war.
Zuhause lud ich dann alle Fotos auf meinen Rechner und die eigentliche Arbeit begann. Ich musste mich für jeden Streckenabschnitt auf ein interessantes Foto festlegen und sortierte aus. Herausgekommen sind dabei teils sehr unterschiedliche Motive. Angefangen vom Tunnelfoto, auf dem nur ein „Lichtstreifen“ der Beleuchtung zu sehen ist, bis hin zum landschaftlichen Foto, auf dem man die Weite des Tempelhofer Feldes, dem ehemaligen Berliner Stadtflughafen, erkennen kann.
Die Bewegungsunschärfe kreiert zudem außergewöhnliche Formen, Farben und Muster, die die Dynamik des Aufnahmeprozesses widerspiegeln. Für die aufmerksamen Betrachtenden, die die Strecke oft fahren, werden zudem Einzelheiten auf den Fotos ersichtlich, die verraten, in welchem Abschnitt man sich befindet. Man kann sich so mit Hilfe der Fotos auf der Strecke verorten und sieht zusätzlich Facetten, die bisher im Verborgenen geblieben sind.
Diese Art der Rezeption aus der Bahnperspektive schärft zum einen den Blick für Details, zum anderen zeigt sie die Vielseitigkeit der Berliner Stadtlandschaft in ihrer vollen Gänze. Das Spannendste bei diesem Projekt war für mich das Zusammenspiel von Geschwindigkeit, Abwechslung und Zufälligkeit, die Begrenzung auf eine festgelegte Strecke und die so entstandene „andere“ Panoramaaufnahme Berlins.