09. Oktober 2017 Lesezeit: ~5 Minuten

Nepal – The Aftermath

Am 13. Mai 2015 beteiligte ich mich als Musiker an einem Benefizkonzert. Es sollte Geld für ein Waisenhaus im Kathmandutal gesammelt werden, das beim Erdbeben am 25. April 2015 stark beschädigt worden war. Mitglieder einer weiteren Band dieses Abends, die die Veranstaltung ins Leben gerufen hatten, kannten die Verantwortlichen im Waisenhaus persönlich und hatten ihren nepalesischen Bekannten Hilfe versprochen.

Es konnten über 2.000 € Spenden gesammelt werden. Etwa ein halbes Jahr später erreichten mich zwei Briefe aus dem Waisenhaus, in denen die Kinder meiner Band und mir mit kleinen Gedichten und Zeichnungen für unsere Hilfe dankten. Die Nachricht rührte mich sehr und ich empfand eine Art innere Verbundenheit zu diesen Kindern, trotz der Entfernung und der völlig anderen Kultur, in der sie leben.

Ein Haus wird von Stützen gehaltenEin Kind vor einem Zeltager

Eine Idee begann sich in meinem Kopf zu entwickeln: Ich könnte ein Fotoprojekt in diesem Waisenhaus umsetzen, was sich womöglich als Thema für meine Diplomarbeit eignen würde. Zuerst hatte ich Zweifel, ob mich die Geschichte nur wegen ihrer Exotik interessierte. Doch allein die Art und Weise, wie es zu meiner Bekanntschaft mit dem Waisenhaus gekommen war, ließ mich sicher sein, dass, wie so oft, sich das Thema mich und nicht ich mir das Thema ausgesucht hatte.

Ich wollte diese Chance nutzen. Ich wollte herausfinden, wer die Menschen sind, die mir die Briefe geschrieben hatten. Ich würde die von mir empfundene Verbindung zum Waisenhaus nutzen können, um einen Zugang zu einer völlig fremden Welt zu erlangen. Viele Reisen in Europa, Afrika, Süd- und Nordamerika hatte ich bereits unternommen, was mit Sicherheit auch dazu beitrug, dass ich mich für dieses Projekt entschied.

Zelt an einem Trampelpfad

Die Tatsache, dass ich noch niemals zuvor weder ein asiatisches Land, noch ein Waisenhaus besucht, geschweige denn dort fotografiert hatte, nahm ich als Herausforderung an. So hoffte ich, möglichst unvoreingenommen an die Sache herangehen zu können. Die auf meiner Reise entstandene Fotodokumentation zeigt Nepal und seine Bewohner*innen 18 Monate nach den schweren Erdbeben von April und Mai 2015.

Fast 9.000 Menschen kamen ums Leben, acht Millionen waren von den Folgen betroffen und bis zu eine Million Gebäude wurden beschädigt oder zerstört. Aus unseren Medien nach kurzer Zeit verschwunden, ist die Katastrophe vor Ort noch allgegenwärtig. Baustellen, Ziegelsteinhaufen und provisorische Unterkünfte aus Wellblech prägen vielerorts das Landschaftsbild.

Nebel mit Vögeln am HimmelStaub weht entlang eines Hauses

Was macht ein solches Ereignis mit einem Land, das aufgrund von Korruption und schwacher Wirtschaft ohnehin zu den ärmsten unseres Planeten zählt? Wer sind die Menschen, die zur Gruppe der sogenannten betroffenen Personen zählen? Ihnen wollte ich mit der Arbeit „Nepal – The Aftermath“ ein Gesicht geben.

Meine Reise führte mich in die Region Annapurna und nach Pokhara, zwei Hotspots des Tourismus, der nach wie vor für Nepal den wichtigsten Wirtschaftssektor darstellt. In der Hauptstadt Kathmandu besuchte ich das IDP-Camp Chuchepati, eines der zahlreichen Obdachlosenlager, die nach dem Beben entstanden sind. Die Menschen, die zur Zeit meines Besuches hier schon seit 18 Monaten lebten, haben alles verloren und fühlen sich von den Politiker*innen im Stich gelassen.

Eine Hütte

Die internationalen Hilfsgelder in Höhe von rund vier Milliarden Dollar zum Wiederaufbau des Landes sind längst nicht überall dort angekommen, wo sie gebraucht werden. Trotz alledem sind die Menschen im Flüchtlingscamp mit Stolz vor meine Kamera getreten und ich gab ihnen das Versprechen, auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Im März 2017 löste die Polizei das Camp auf und die verbliebenen zirka 2.000 Bewohner*innen wurden einmal mehr ihrer Behausung beraubt.

Das Waisenhaus „Happy Bottle House“, für das wir beim Wohltätigkeitskonzert Geld gesammelt hatten, liegt in Nayapati, im nordöstlichen Kathmandutal. Es wurde beim Beben schwer beschädigt. Wie durch ein Wunder überlebten alle fünfzig Kinder und die Betreuer*innen, sie mussten jedoch die darauffolgende Regenzeit in Zelten verbringen. Die Einrichtung, die sich ausschließlich durch private Spenden und Patenschaften finanziert, konnte die Schäden schnell beheben und wird mittelfristig ihre Kapazität sogar noch verdoppeln.

Ein SchulhofKinder stehen auf einem Platz und falten die Hände

Sie ist Teil des gemeinnützigen Vereins „Poor and Orphan Children Relief Centre“ (PAORC), gegründet von Sudama Karki im Jahr 2004. Bei PAORC hat man verstanden, dass die Zukunft des Landes und die der Kinder untrennbar miteinander verbunden sind. Durch Patenschaften haben die Waisenkinder das Privileg, eine gute Ausbildung auf einer Privatschule zu genießen, was ihnen vielleicht ermöglicht, der Armut zu entkommen.

Nur durch eine transparente Politik, die es allen Pat*innen und Spender*innen möglich macht, das Waisenhaus zu besuchen, schafft es PAORC, Vertrauen aufzubauen und die Zahl der Spenden stetig zu vergrößern.

Ein Mädchen mit einer SchüsselEin Junge posiert vor einer Hauswand

Mein Eindruck von diesem Land hätte vielfältiger kaum sein können: Die Hoffnung und Zuversicht, die ich während meines Aufenthalts im Waisenhaus schöpfte, dass viel Engagement und Arbeit dazu führen kann, dass manchen geholfen wird, fanden beim Betreten des Flüchtlingscamps ein jähes Ende.

Da der Tourismus den wichtigsten Wirtschaftssektor darstellt, ist eine Reise nach Nepal mit Sicherheit nicht die schlechteste Möglichkeit, um das Land zu unterstützen und nebenbei noch unvergessliche Momente zu erleben. Jedes Mal, wenn ich einen Facebook-Post von PAORC sehe oder eine Nachricht von einem der Kinder und Jugendlichen des Waisenhauses erhalte, kann ich es kaum abwarten, erneut nach Nepal und zum Waisenhauses „Happy Bottle House“ zu reisen und meine Fotodokumentation fortzuführen.

2 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

    • Vieles, was in dem kritischen ZEIT-Artikel über „Waisenhäuser) steht, kann ich (nicht aus Nepal, sondern aus drei anderen Ländern) bestätigen.
      – Oft (oder sogar meistens) sind die Kinder gar keine Waisen.
      – In der Regel werden die „Waisenhäuser“ dort aufgebaut, wo Touristen sind.
      – Oft sind die Waisenhäuser mit „Schulen“ verbunden, die bei näherer Betrachtung Koran- oder Bibelschulen sind, und die oft von staatlichen Institutionen keine Anerkennung bekommen, manchmal auch vom Staat schnell wieder geschlossen werden.
      – Gern werden Besuchern (finanzielle) Probleme aufgezeigt, z.B. fehlende Wasserpumpen oder renovierungsbedürftige Dächer. Will man diese Probleme schnell und unkompliziert lösen, trifft man auf z.T. heftigen Widerstand. Es scheint offensichtlich, dass immer im Fokus der Besucher bestimmte Probleme unbedingt sichtbar sein sollen. Die Besucher sollen keine konkrete Hilfe leisten, sondern Geldzahlungen, am besten als Dauerauftrag, und gern auch Fotos machen, um Werbung zu machen.
      – Oft wollen die „Waisenhäuser“ auch Patenschaften für einzelne Kinder, so wie World Vision. Das ist für einzelne Kinder vermutlich sehr vorteilhaft, aber außerhalb der Waisenhäuser sind tausende anderer armer Kinder, die in die Röhre gucken.
      Ob die Vorwürfe in diesem Fall hier auch zutreffen, vermag ich natürlich nicht zu sagen, aber man muss auf jeden Fall kritisch hinschauen und nachfragen, bevor man sich finanziell engagiert.