Reisen mit der Heimat
Ich wachse zwischen dem Bauernhof meiner Großeltern im Wildtal bei Freiburg und den Bauernhöfen meiner Freund*innen und Verwandten auf. In einem kleinen typischen Schwarzwälder Seitental: Haslach-Simonswald, wo die Sicht zu Sonnenuntergängen etwas verschlossen ist.
Zwischen exakter katholischer Erziehung, Kommunionunterricht, Handlangerarbeiten im Wald, „Zeunen“ (Koppeln anlegen) mit meinem Opa und dem nötigsten Aufpassen in der Hauptschule, erlebe ich eine pflichtbewusste Erziehung, um „brav“ zu werden und eine sehr naturnahe Kindheit.
Meine Uroma trägt jeden Sonntag ihre Tracht, Scheibenschlagen ist eine großartige Veranstaltung und ich gewinne mit zwölf Jahren sogar das Kilwiklepfen. Ich bin als Kind ein echter Schwarzwälder. Brauchtum an jeder Ecke!
Eine klassische dreijährige Ausbildung als Ofensetzer ist die Konsequenz eines faulen, ziellosen und kreativen Kindes mit 15 Jahren. In Stuttgart schnuppere ich erstmals Stadtluft. Dabei fühle ich mich trotzdem wohl. Das führt glücklicherweise dazu, dass ich zum besten Kachelofenbauer-Junggesellen meines Schuljahres werde. Zwölf Jahre lange arbeite ich dann in meinem Beruf.
Infektion
Als ich zur Kommunion eine Kleinbildautomatikkamera für meine ersten kleinen „Reisen“ mit Oma und Opa nach Südtirol geschenkt bekomme (danke Tante Verena), wird die noch unbekannte Leidenschaft wach. Die Fotografie! Wenn nur nicht die Filme so teuer gewesen wären. Es ist bemerkenswert zu sehen, wie ich schon zur Kommunion ein Selfie in eigener Tracht gemacht hatte. Ein Vorzeichen?
Die ständige Suche nach Motiven und Gelegenheiten, um zu fotografieren, legen neue Leiterbahnen durch mein Hirn, es entstehen mittlerweile „ansehnliche“ Bilder. Kaum Talent, aber der Wille, tolle Fotos zu schießen, bricht durch. Das Wollen führt irgendwann zu einem Ergebnis, mit dem ich glücklich werde. Das Glück wuchs mit der Resonanz zur ersten Ausstellung 2012 in Sexau. Ich entdecke gleichzeitig die weite Welt.
Das Reisen als junger Erwachsener durch Chile und Patagonien, mit dem Rad und als Rucksackreisender in Asien, führt zu einem heftigen Drang, die Leidenschaft wird zu stark: Ich muss den Beruf des Luftheizungs- und Kachelofenbauermeisters an den Nagel hängen. Die Frage ist nur: wie und mit welchem Grund?
Parallel wird aus einer „Miniknipse-Lumix“ ein ausgewachsenes „Schlachtschif“. Die Nikon D700 mit den Festbrennweiten 14–24 mm und 70–200 mm werden weiter zu Auswüchsen wie D3x und D3s, bis ich dann glücklicherweise bei der fast besten Kamera der Welt lande: Der D800E . Viele Objektive folgen, das 85 mm f/1.4 ist mein Liebling. Die Statistik sagt allerdings, dass ich mit dem 135 mm f/2 doch fast die meisten Bilder mache.
Die Kamera wird während meiner Infektion zu einem festen „Bestandteil meines Körpers“, man könnte auch von einem Leidenschaftsbefall im dauerhaften Endstadium sprechen.
Der Weitblick wächst mit jeder Reise, so wie mit jedem Wohnortswechsel. Das „Dorf am Himmel“ wird meine Bleibe in einer unruhigen Zeit. Johann Peter Hebel nannte so den Ortsteil Ottoschwanden in Freiamt. Der schmale Blickwinkel meines geliebten 135 mm f/2 DC wird zu einem 12 mm f/2 . Die Sicht zu den Sonnenauf- und -untergängen ist geöffnet. Außerdem kann ich dort noch während des Joggens die Rehe, Füchse, Eichhörnchen und Hasen fotografieren – und den Blick ins Elsass genießen. Der Schwarzwald bietet fast alles. Im Hintergrund unterstützt mich Sandra, meine Liebe.
Selbstständigkeit
Der zaghafte Ausstieg als Kachelofenbauermeister nach zwölf Jahren fiel einerseits wegen liebgewonnener Freund*innen und Kolleg*innen schwer, andererseits hatte die Leidenschaft mich gepackt. Aufträge jeglicher Art ließen den „Versuch Selbstständigkeit“ schnell gelingen. Wahrscheinlich ist nicht jede*r dazu gemacht, ich liebe es allerdings, für uns voll verantwortlich zu sorgen. Und vielleicht bald für eine kleine Familie.
Doch zwischen Angestelltendasein und Selbstständigkeit lag etwas ganz Aufregendes. Eine 17.500 km lange Reise mit dem Rad von Los Angeles bis nach Ecuador und Asien. Alles mit Sandra, Sack und Pack, sowie 14 kg Kameraequipment. Das Verrückteste war es, ein 300 mm f/2.8 VR und zwei D800/D800E-Bodies sowie etliche Objektive mit mir rumzuschleppen. (Jetzt würde mir eine Fuji XPRO2 mit XT2 und gepaart mit drei, vier Gläsern reichen.)
Auf dieser über ein Jahr langen Reise konnte ich meiner Portrait- und Landschaftsfotografe freien Lauf lassen. Ich habe Terrabytes und Profiausrüstung vierzehn Monat lang sicher auf zwei Rädern balanciert.
Ideen, Experimente und Konzepte
Wieder zurück, umgeben von vielen Künstlern wie Stefan Strumbel, Trachtennäherinnen sowie meinem Drang zur Portraitfotografie, schwebte der Geist des Schwarzwaldes in der Luft. Das Konzept für eine Serie entstand während eines geplanten Shootings in meinem winzigen Studio in Freiamt, beim Experimentieren mit der Hornkappe (Tracht aus Freiamt), geliehen von Sandras über achtzigjähriger Oma Lydia, die auch beim Anziehen half, mit Visagistin Ramona Strudel und dem Modell Sina Heinrich.
Der Blick frontal, symmetrisch und geheimnisvoll mit einem dunklem Hintergrund. Die Kamera ist eine D800E mit dem legendären 105 mm Macro . Es ist mein erstes Objektiv, das ich meinem Vater für die damalige D80 abgekauft hatte. Jetzt hatte es den Einsatz allerdings auf 24 × 36 mm.
Krieg
Ich führte die Serie fort, mehr als ein Jahr lang. Ein Portrait nach dem anderen. Manchmal allerdings unterstützte mich nun ein ehemaliger Partner bei der Organisation von Modellen und Trachten. Auch beteiligte ich ihn am Erfolg der Serie sehr großzügig, denn er vertrieb die Bilder und Klamotten unter anderem in seinem Shop. Jedes Bild erzeugte eine enorme Aufmerksamkeit für sein Label und brachte beachtliche „Like-Wellen“ auf die Facebookseiten.
Die Serie erlebte einen entsprechenden Bekanntheitsgrad im Schwarzwald und vielleicht sogar darüber hinaus. Meiner Meinung nach war also eine geniale Win-Win-Situation entstanden. Doch im Laufe des Jahres 2015 fing mein ehemaliger Partner an, die Bilder auf T-Shirts und andere Kleidungsartikel zu drucken, nur um mich dann später nicht an diesem Erfolg teilhaben zu lassen. Was zu längeren E-Mails führte und unweigerlich zur Diskussion, wer hier wen unfair behandelte.
Ein Problem, das aus einigen verkauften T-Shirts entstand, erzeugte in meinem ehemaligen Partner anscheinend das Gefühl, einen Anwalt einschalten zu müssen. Man hätte das Problem mündlich regeln können, jedoch wurde nun ein Geschütz gegen mich aufgefahren. Die Anwälte hatten dann, wie mir schien, das Thema der Miturheberschaft als am geeignetsten für ihren Klienten ausgesucht. Ab diesem Zeitpunkt war dann leider klar: Mit Anwälten stand ich nun in der Defensive.
Nach aktuellem Stand könnte es nun sein, dass das Organisieren von Kleidungsstücken und Modellen zu einer Miturheberschaft führt. Dass ich das Konzept der Bilder schon erschaffen hatte, bevor mein Kollege in die Organisation eintrat, beeindruckte den Richter anscheinend kaum. Auch dass ich als Fotograf das Set angeleitet, das Licht gesetzt und ständig verbessert sowie die Retusche und die finale Auswahl der Bilder getroffen hatte, schien nicht allzu wichtig.
So wird nun wahrscheinlich für einige Bilder der „Urheberrechtstod“ anstehen – das wäre für mein Team und mich unglaublich. Man stelle sich nun vor, dass die eigenhändig fotografierten Werke verboten würden. Vielleicht hat ja noch jemand einen Tipp für mich, was das Urheberrecht angeht, ich habe ein offenes Ohr dafür. Im Moment wird wahrscheinlich vor dem Oberlandesgericht weiter diskutiert.
Horizont
Das Leben geht natürlich weiter und es ist eine Aufgabe, an der ich wachse. Eine Ausstellungseröffnung in Brooklyn und eine große Vernissage in der Frankfurter Oper zusammen mit Duravit waren ganz großes Kino der letzten Monate. Außerdem habe ich ein neues Projekt ausgebrütet, das das Licht der Welt vorerst in der Schweiz erblicken wird. Es bleibt also sehr spannend in der wahrscheinlich schönsten Zeit meines Lebens.
Mittlerweile fotografiere ich die Serie mit einer Sony 7RII und dem Sigma 85 mm Art. Mittelformat ist nur ein analog verwirklichter Traum. Oh Gott, wie ich es liebe, einen Rollfilm einzulegen. Analog, digital, lichtstarke Objektive, da fühle ich mich besonders wohl.
Dazu schleicht sich gerade noch eine Polaroid Land 195 ein, das ist einfach nur fantastisches Technikzeug, egal welche Marke oder Kamera, Hauptsache Freude beim Suchen nach neuen Motiven. Was meine Uroma wohl zu meinem Projekt „Facing Tradition“ gesagt hätte? Ich weiß es nicht.
Die Trachtennäherinnen und Trachtenvereine ermutigen mich enorm, weiter bei der Sache zu bleiben, ebenso kann ich die Shootinganfragen sowie die Shootings kaum bewältigen. Ja, ich kann davon überleben, trotz Krieg. Natürlich schaue ich nun genauer hin, wer sonst noch so am Set steht. Ich freue mich aber sehr über die neu gewonnene Win-Win-Situation. Es geht weiter. Nicht mal der EuGh wird mich von meiner Leidenschaft abhalten können.
Und übrigens mache ich mal ein Youtube-Tutorial, wie man richtig „kilwiklepft“. Damit die weite Welt auch weiß, was das ist.