06. Januar 2017 Lesezeit: ~7 Minuten

Im Gespräch mit Brooke Shaden

Brooke Shaden verfolge ich schon seit längerer Zeit. Durch ihre surrealen, fantastischen und manchmal auch dunkel anmutenden Bilder lässt man sich leicht in eine andere Welt entführen. Die Geschichten und Emotionen, die sie in ihren Bildern transportiert, fesseln die Betrachter*innen länger als nur einen kurzen Moment. Ich selbst kann immer wieder in ihre Geschichten eintauchen und minutenlang darin versinken.

Neben ihrer Fotografie motiviert und fördert sie durch ihren Blog „Promoting Passion“ Künstler*innen aller Art. Durch Videos und Coachings teilt sie ihr Wissen. Bereits vor einem Jahr besuchte ich einen ihrer Workshops in London. Nun hatte ich endlich die Chance, Brooke in einem persönlichen Interview via Skype meine Fragen zu stellen.

Eine Person mit nacktem Rücken aus dem Schaumstoff quillt

Brooke, Du bist nicht nur Fotografin und Künstlerin, sondern auch Videografin, Geschichtenerzählerin, Autorin, Mentorin, Coach und passionierte Motivatorin. Hast Du eine Idee, woher Deine vielfältige Kreativität kommt? Gibt es in Deiner Familie andere kreative Köpfe?

Mein Vater war Musiker. Das ist die Kreativität, die von meiner familiären Seite stammt. Aber auch meine Schwester ist unglaublich kreativ. Sie hat sehr früh bereits mit Aktzeichnungen und Malerei angefangen und war sehr talentiert. Ich selbst hätte nie gedacht, so kreativ sein zu können.

Als ich 16 Jahre alt war, habe ich meinen Mann kennengelernt. Er war es eigentlich, der mich dazu motiviert und mich ermutigt hat, meine Geschichten aufzuschreiben und meiner Kreativität freien Lauf zu lassen. So, denke ich, hat meine kreative Geschichte angefangen.

Ich habe mich dann für ein Studium entschieden, das diese beiden Bereiche vereint: Englische Literatur und Film. Während des Studiums hatten wir auch einen Fotografiekurs, den ich gar nicht mochte. Unser Professor hatte uns feste Regeln auferlegt, wie zum Beispiel das Fotografieren ohne Menschen. Filme machen und Geschichten erzählen hingegen liebte ich. Somit begann ich zunächst mit Film und bewegten Bildern.

Meist beinhaltete ein Film ein großes Team von mehr als 30 Personen und benötigte eine lange Zeit vom Beginn der Idee bis zur Fertigstellung. Was am Ende entsteht, ist meist eine Zusammenarbeit und ein Konsens aus all diesen Menschen, was auf der einen Seite zwar schön ist, aber auf der anderen bleiben Deine eigene Individualität und Deine Ideen völlig auf der Strecke. So habe ich schließlich versucht, allein einen ganzen Film und die Geschichte, die damit verbunden ist, in ein einziges Bild zu packen.

Eine Frau im See mit Regenschirm auf dem Kopf

Was war denn die verrückteste Geschichte, die Du bei der Erstellung Deiner Bilder erlebt hast?

Oh, da gibt es so einige. Ich liebe es, raus in die Natur zu gehen, mich dreckig zu machen und Dinge einfach auszuprobieren. Manchmal bin ich auch allein unterwegs, was mir bei einem Bild fast zum Verhängnis wurde. Ich hatte eine Idee, bei der ich meinen Kopf mit roter Wolle umwickelte, eine Interpretation von „Rotkäppchen“. Als ich losfuhr, war es eigentlich schon zu spät zum Fotografieren und dämmerte beinahe, aber ich wollte dennoch versuchen, mein Bild umzusetzen.

Im Wald angekommen, umwickelte ich meinen Kopf mit roter Wolle. Als ich etwa bei der Hälfte angekommen war, merkte ich, dass die Schnüre eigentlich viel zu fest saßen. Ich versuchte, sie zu lockern, doch es funktionierte nicht. Ich habe schließlich mit einem Fingerbreit Abstand weiter gemacht, um wenigstens mein Bild zu machen. Es ist mit einer Belichtungszeit von drei Sekunden aufgenommen, so dunkel war es bereits. Mehr als zehn Minuten lang habe ich noch vor Ort versucht, die Wolle zu lösen.

Schließlich habe ich halb blind zu meinem Auto zurückgefunden. Zum Glück hatte ich dort noch eine kleine Schere und konnte mich schließlich selbst befreien. Ich war unverletzt, aber diese Geschichte brachte mich dazu, meine Sicherheit bei Fotosessions zu überdenken.

Eine andere, eher lustige Geschichte begab sich auf Island. Dort gibt es eine Gletscherlagune, in der Eisschollen vom Gletscher über einen See ins Meer treiben. Ich wollte dort ein Selbstportrait aufnehmen, bei dem ich im Eiswasser stehe. Zur Vorbereitung hatte ich unter das Kleid eine wasserdichte Wathose angezogen. Als ich im Wasser stand, merkte ich allerdings, dass diese ein Loch hatte. So stand ich um ein Uhr nachts zur Mitternachtssonne in eisigkaltem Gletscherwasser.

Eine Person mit rotem Garn auf dem Kopf

Lustig, mir ist es auf Island ähnlich ergangen. Ich wollte ein Bild auf einer Eisscholle machen, bin aber abgerutscht und lag schließlich im Gletschersee. Ich bin halb erfroren und wollte trotzdem noch das Bild machen, also ging ich noch einmal ins Wasser.

Ja, es war wirklich kalt. Aber ich werde diesen Moment nie vergessen. Ich schwamm zur Mitternachtssonne, neben großen Eisschollen, die friedlich auf dem Wasser trieben, wie Seelen, die für ewig im Eis eingefroren sind.

Eine Frau schwimmt zwischen Eisschollen im Meer

Sind es diese Momente, für die Du fotografiert? Oder was ist Dein innerer Antrieb, zu fotografieren, Dein „Warum“?

Zu Beginn dachte ich, ich erschaffe diese Bilder nur für mich. Ich liebe alles Dunkle, Mysteriöse und Seltsame. Meine Vorstellungskraft und Fantasie Wirklichkeit werden zu lassen, ist das Größte für mich. Aber bald hatte ich festgestellt, dass ich meine Arbeiten auch gern zeige.

Ich liebe es, meine Visionen zu teilen und andere zu motivieren, ihre eigenen Träume Realität werden zu lassen. Jeder besitzt die Kraft, sich selbst auszudrücken und seine Persönlichkeit zu zeigen. Ich liebe es, zu inspirieren und dadurch Menschen Möglichkeiten an die Hand zu geben.

Eine Frau springt mit weißem Pulver

Hat Dich dieser Gedanke auch zu Deiner wohltätigen Arbeit in Indien motiviert?

Ich wollte schon immer etwas zurückgeben. Als ich dann schließlich auf einem meiner Workshops angesprochen wurde mit: „Klingt vielleicht komisch, aber hättest Du nicht Lust, in Indien einen Workshop für wohltätige Zwecke zu geben?“, war die Chance da.

Ich flog 2013 nach Indien, um in Kalkutta für Opfer des Menschenhandels einen Workshop zu geben. Hier ging es nicht nur um Fotografie und die Technik an sich, sondern um viel mehr. Es ging darum, jeden einzelnen zu motivieren, eine Geschichte zu erzählen. Sei es die eigene, persönliche oder eine komplett erfundene.

Es ging darum, wieder Vertrauen bei den Teilnehmer*innen aufzubauen und sie zu ermutigen, ihre Geschichten in die Welt hinauszutragen. Als ich von diesem ersten Workshop zurückkam, fragte ich mich: „Ist das genug? War’s das jetzt? Was bleibt?“ Ich wollte etwas Nachhaltigeres und Längerfristiges aufbauen. So haben wir schließlich „The Light Space“ eröffnet. Eine Schule für die Opfer von sexueller Gewalt und Menschenhandel.

In einem mehrere Monate umfassenden Programm lernen die Schüler*innen sowohl alle technischen Mittel der Fotografie, als auch Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aufzubauen. Diese Kombination ermöglicht eine langfristige Unterstützung. Die Teilnehmer*innen haben somit ein Handwerkszeug, das ihnen eine Zukunft ermöglicht, um selbstständig ein Einkommen zu generieren. Dieses Jahr haben nun die ersten Schüler*innen erfolgreich das Programm absolviert und wir starten nun mit einer neuen Klasse, auf die ich mich sehr freue.

Ich wünsche Dir alles Gute für Eure neue Klasse. Vielen lieben Dank, Brooke, für Dein Engagement, Deine Worte und Deine Zeit.